Chlordecon ist eine chemische Verbindung aus der Gruppe der Organochlorverbindungen und Ketone, die als Insektizid eingesetzt wurde. Technisch reines Chlordecon enthält etwa 5 % Wasser und bis zu 0,1 % Hexachlorcyclopentadien.

Strukturformel
Strukturformel von Chlordecon
Allgemeines
Name Chlordecon
Andere Namen
  • 1,2,3,5,6,7,8,9,10,10-Decachlor-[5.2.1.02,6.03,9.05,8]-decan-4-on
  • Kepon
  • Decachlorpentacyclo-[5.2.1.02,6.03,9.05,8]-decan-4-on
  • Decachloroctahydro-1,3,4-methenocyclobuta[cd]pentalen-2-on
Summenformel C10Cl10O
Kurzbeschreibung

weißer bis hellbrauner geruchloser Feststoff[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 143-50-0
EG-Nummer 205-601-3
ECHA-InfoCard 100.005.093
PubChem 299
ChemSpider 293
Wikidata Q423892
Eigenschaften
Molare Masse 490,64 g·mol−1
Aggregatzustand

fest[1]

Schmelzpunkt

350 °C (Zersetzung)[1]

Dampfdruck

< 3 × 10−7 hPa (bei 25 °C)[2]

Löslichkeit
Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP),[3] ggf. erweitert[1]
Gefahrensymbol Gefahrensymbol Gefahrensymbol

Gefahr

H- und P-Sätze H: 301+311​‐​351​‐​410
P: 201​‐​273​‐​280​‐​301+310+330​‐​302+352+312​‐​501[1]
Toxikologische Daten
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Geschichte Bearbeiten

Chlordecon wurde 1940 von Everett Gilbert entdeckt, einem Forscher aus der General Chemical Division der Allied Chemical Corporation. Allied erhielt 1952 das erste Patent auf die Verbindung. Chlordecon wurde von 1940 bis 1965 in kleinen Mengen entweder von Allied selbst oder von externen Firmen hergestellt, die ihr Produkt an Allied verkauften. 1966 verlegte Allied die Chlordecon-Produktion nach Hopewell (Virginia) (südlich von Richmond) in eine Pilotanlage. Im Jahr 1974 wurde die Herstellung an Life Science Products (LSP) ausgelagert, das ebenfalls in Hopewell ansässig war. Die US-Umweltbehörde EPA wurde zum ersten Mal im Herbst 1974 aktiv, als die städtische Kläranlage von Hopewell aufgrund des Zustroms von Pestiziden ihren Betrieb einstellen musste. Die Produktion von Chlordecon wurde jedoch erst am 24. Juli 1975 eingestellt, nachdem bei den Arbeitern von LSP gesundheitliche Probleme festgestellt worden waren. Weitere Tests der EPA ergaben, dass auch die Umgebung der Anlage mit Chlordecon kontaminiert war. Der damalige Gouverneur von Virginia, Mills E. Godwin, beschloss am 18. Dezember 1975, den Fischfang im James River und seinen Nebenflüssen zu verbieten – von der Grenze der Gezeitenwirkung oberhalb von Hopewell bis zur Mündung in die Chesapeake Bay. Die Fischereibeschränkungen wurden erst ab 1980 teilweise und ab 1989 vollständig aufgehoben, nachdem die Konzentration der Verbindung unter die Grenzwerte gefallen waren.[5][6] Die Schäden an Mensch und Natur zogen gerichtliche Auseinandersetzungen nach sich.[7]

Darstellung Bearbeiten

Chlordecon kann durch Dimerisierung von Hexachlorcyclopentadien und nachfolgender Hydrolyse zu einem Keton dargestellt werden.[8]

Eigenschaften Bearbeiten

Chlordecon ist in der Umwelt sehr stabil mit einer Halbwertszeit von mehreren Jahrzehnten in Böden.[9] Es ist eine Käfigverbindung mit einer Bishomocuban-Grundstruktur, der es seine sehr hohe Stabilität verdankt. Die Chlorierung des Grundstruktur führt zu den hydrophoben Eigenschaften des Moleküls und erklärt seine geringe Löslichkeit in Wasser.[10]

Verwendung Bearbeiten

Chlordecon wurde als Insektizid und als Zwischenprodukt zur Herstellung des Insektizids Kelevan verwendet. Es wurde 1958 unter dem Namen Kepone als Ketonanalogon von Mirex eingeführt und zwischen 1966 und 1975 in den USA als Insektizid gegen Ameisen und Kakerlaken eingesetzt.[11] 1975 wurde sein Einsatz als Insektizid wegen der sich bereits abzeichnenden großen Umweltproblematik und des Verdachts seiner krebserzeugenden Wirkung auf den Menschen in den USA verboten. Nachdem der US-amerikanische Absatzmarkt damit wegfiel, wurden große Mengen in andere Weltgegenden exportiert. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wurden große Mengen in den Bananenplantagen auf Martinique und Guadeloupe eingesetzt. Im Jahr 1979 stellte der französische Arzt Dominique Belpomme hier eine überdurchschnittliche Zahl von Prostatakrebs-Fällen und Missbildungen bei neugeborenen Kindern fest.[12][13] Bis heute sind Gewässer und Böden auf Martinique und Guadeloupe so nachhaltig mit diesem Stoff belastet und die Bewohner ihm gegenüber exponiert, dass die beiden Inseln in die UN-Liste der 50 schlimmsten Opferzonen aufgenommen wurden.[14]

2009 wurde Chlordecon in das Stockholmer Übereinkommen der weltweit verbotenen Stoffe aufgenommen.[15] Die Zulassung als Pflanzenschutzmittel ist erloschen.[16]

Analytischer Nachweis Bearbeiten

Der chemisch-analytische Nachweis in Umweltproben, Lebens- und Futtermitteln erfolgt nach geeigneter Probenvorbereitung zur Abtrennung der Matrix und gaschromatographischer Abtrennung von Nebenkomponenten mittels hochauflösender massenspektrometrischer Techniken wie der Flugzeitmassenspektrometrie (Time-Of-Flight-Massenspektrometrie).[17]

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c d e f g Eintrag zu Chlordecon in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 3. Januar 2023. (JavaScript erforderlich)
  2. a b c Health and Safety Guide (HSG) für Chlordecone
  3. Eintrag zu Chlordecone im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 1. Februar 2016. Hersteller bzw. Inverkehrbringer können die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung erweitern.
  4. Eintrag zu Chlordecone in der Pesticide Properties DataBase (PPDB) der University of Hertfordshire, abgerufen am 1. August 2013.
  5. Drew R. Luellen, George G. Vadas, Michael A. Unger: Kepone in James River fish: 1976–2002. In: Science of The Total Environment. Band 358, Nr. 1, 2006, S. 286–297, doi:10.1016/j.scitotenv.2005.08.046.
  6. Michael R. Reich, Jaquelin K. Spong: Kepone: A Chemical Disaster in Hopewell, Virginia. In: International Journal of Health Services. Band 13, Nr. 2, 1983, S. 227–246, doi:10.2190/UN1H-RH1N-H09G-CRL5.
  7. Kepone Chemical disaster in Hopewell, Virginia, USA. In: Environmental Justice Atlas. Abgerufen am 21. April 2023 (englisch).
  8. Philip J. Chenier: The Chemical Industry and Pollution. In: Survey of Industrial Chemistry. Springer US, Boston, MA 2002, ISBN 978-1-4613-5153-5, S. 484, doi:10.1007/978-1-4615-0603-4_25.
  9. Y.-M. Cabidoche, R. Achard, P. Cattan, C. Clermont-Dauphin, F. Massat: Long-term pollution by chlordecone of tropical volcanic soils in the French West Indies: A simple leaching model accounts for current residue. In: Environmental Pollution (= Special Issue Section: Ozone and Mediterranean Ecology: Plants, People, Problems). Band 157, Nr. 5, 1. Mai 2009, S. 1697–1705, doi:10.1016/j.envpol.2008.12.015.
  10. Chlordecon – Angriff auf ein Umweltgift. In: Spektrum Kompakt – Umweltgifte: Schädliche Stoffe für Mensch und Natur. Spektrum der Wissenschaft, 2023, ISBN 978-3-95892-808-4, S. 28.
  11. 13th Report on Carcinogens (RoC): Kepone, abgerufen am 18. November 2014.
  12. Welt: Bevölkerung der Antillen von Pestiziden vergiftet, 2007.
  13. Pestizide aus den karibischen Bananenplantagen vergiften Mensch und Natur (Memento vom 10. Juli 2010 im Internet Archive).
  14. Boyd, D.R.; Hadley-Burke, M.: Sacrifice zones: 50 of the most polluted places on Earth. Based on a report presented to the Human Rights Council. The University of British Columbia, 2021 (PDF; 5,8 MB)
  15. Governments unite to step-up reduction on global DDT reliance and add nine new chemicals under international treaty. Press Release – COP4 – Geneva, 8. Mai 2009.
  16. Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Europäischen Kommission: Eintrag zu Chlordecone in der EU-Pestiziddatenbank; Eintrag in den nationalen Pflanzenschutzmittelverzeichnissen der Schweiz, Österreichs und Deutschlands, abgerufen am 6. April 2023.
  17. Eric J. Reiner, Adrienne R. Boden, Tony Chen, Karen A. MacPherson und Alina M. Muscalu: Advances in the Analysis of Persistent Halogenated Organic Compounds. In: LC GC Europe. 23, 2010, S. 60–70.