Biografie: Ein Spiel

Theaterstück von Max Frisch

Biografie: Ein Spiel ist ein Theaterstück des Schweizer Schriftstellers Max Frisch, das 1967 entstand und am 1. Februar 1968 im Schauspielhaus Zürich unter der Regie von Leopold Lindtberg uraufgeführt wurde.[1] 1984 legte Frisch eine überarbeitete Neufassung vor. Das von Frisch als Komödie bezeichnete Stück greift eines seiner zentralen Themen auf: die Möglichkeit oder Unmöglichkeit des Menschen, seine Identität zu verändern.

Mit Biografie: Ein Spiel wandte sich Frisch von der Parabelform seiner Erfolgsstücke Biedermann und die Brandstifter und Andorra ab und postulierte eine „Dramaturgie der Permutation“. Darin sollte nicht, wie im klassischen Theater, Sinn und Schicksal im Mittelpunkt stehen, sondern die Zufälligkeit von Ereignissen und die Möglichkeit ihrer Variation. Dennoch handelt Biografie: Ein Spiel gerade von der Unmöglichkeit seines Protagonisten, seinen Lebenslauf grundlegend zu verändern. Frisch empfand die Wirkung des Stücks im Nachhinein als zu fatalistisch und die Umsetzung seiner theoretischen Absichten als nicht geglückt. Obwohl das Stück 1968 als unpolitisch und nicht zeitgemäß kritisiert wurde und auch später eine geteilte Rezeption erfuhr, gehört es an deutschsprachigen Bühnen zu den häufiger aufgeführten Stücken Frischs.

Cover der Buchausgabe von Biografie: Ein Spiel des Suhrkamp Verlages

Inhalt Bearbeiten

Motto Bearbeiten

Frisch stellte dem Stück ein Motto voran, ein Zitat des Werschinin aus Anton Tschechows Drei Schwestern: „Ich denke häufig; wie, wenn man das Leben noch einmal beginnen könnte, und zwar bei voller Erkenntnis? Wie, wenn das eine Leben, das man schon durchlebt hat, sozusagen ein erster Entwurf war, zu dem das zweite die Reinschrift bilden wird! Ein jeder von uns würde dann, so meine ich, bemüht sein, vor allem sich nicht selber zu wiederholen […].“[2]

Handlung Bearbeiten

Der todkranke Verhaltensforscher Hannes Kürmann erhält die Möglichkeit, sein Leben noch einmal neu zu beginnen. Ein Registrator führt ihn durch vergangene Schlüsselerlebnisse und lässt ihm die Wahl, sich mit dem Wissen um die Zukunft zu den Ereignissen und Menschen anders zu verhalten und dadurch seine Biografie zu verändern. Im Vordergrund steht Kürmanns Wunsch nach einer „Biografie ohne Antoinette“, seine Frau, deren Ehe mit ihm nach sieben Jahren zerrüttet ist. So wiederholt Kürmann als erstes jenen Abend, an dem er zum Professor ernannt wurde und bei einer Feier Antoinette Stein kennenlernte. Doch wie er die Begegnung auch zu gestalten versucht, stets mündet sie in einer gemeinsamen Nacht des künftigen Paares. Der Registrator wirft Kürmann vor, er verhalte sich nicht zur Gegenwart, sondern zu einer Erinnerung und gerate deswegen jedes Mal in die gleiche Geschichte.

Kürmann weigert sich zu glauben, dass sein Leben nicht auch ganz anders hätte verlaufen können. Der Registrator führt ihn weiter zurück in seine Jugend. Auch dort gelingt Kürmann keine nachträgliche Korrektur seiner Biografie: ein Schulkamerad verliert durch seinen Schneeball ein Auge, während eines Auslandssemesters in den Vereinigten Staaten stirbt seine Mutter, mit seiner Abreise lässt er die geliebte Mulattin Helen im Stich, um sie zu vergessen heiratet er seine erste Frau, die nach einem Streit Suizid begeht. Kürmann behauptet, er habe sich an seine Schuld gewöhnt. Nur in einem Punkt ist er zu einer geänderten Haltung fähig. Als ein Kollege an der Universität wegen seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei entlassen wird, begnügt sich Kürmann nicht ein zweites Mal mit einer unverfänglichen Protestnote, sondern tritt selbst in die KP ein. Daraufhin verliert auch Kürmann seine Professur.

Kürmanns Leben erreicht wieder den Abend seiner Begegnung mit Antoinette. Dieses Mal verlässt ihn Antoinette und scheint in der Lage, ein Leben ohne ihn zu führen. Erst dadurch begreift Kürmann, dass er seine Frau über all die Jahre unterschätzt hat. Nun will er sie nicht mehr gehen lassen. Der Registrator wiederholt die Begegnung, bis Antoinette an Kürmanns Seite bleibt. Sie heiraten erneut, und erneut gerät ihre Ehe in die Krise. Kürmann bemüht sich, seine Eifersucht zu zügeln, als Antoinette eine Affäre mit dem Architekten Egon Stahel beginnt. Der Registrator lobt sein tadelloses Verhalten, da er sich keine Wutanfälle oder Ohrfeigen zuschulden kommen lässt. Dennoch kann Kürmann Antoinette nicht zurückgewinnen. Als der Registrator ihm vorwirft, dass er nichts in seinem Leben verändert habe, außer in die KP einzutreten und Antoinette nicht zu ohrfeigen, greift Kürmann nach dem Revolver, mit dem er sich selbst umbringen wollte, und erschießt Antoinette.

Der Registrator macht die Tat rückgängig. Ein Jahr lang lebt Kürmann im Schatten seiner unabhängig gewordenen Frau. Dann wird er ins Krankenhaus eingeliefert und erfährt von seiner Krebserkrankung. Sein Zustand lässt Kürmann nur mehr die Wahl, wie er sich dazu verhält, dass er verloren ist. Der Registrator wendet sich statt seiner Antoinette zu und macht nun ihr das Angebot, ihre Biografie zu verändern. Noch einmal kehren beide zurück zum Abend ihrer ersten Begegnung. Im Gegensatz zu den vergeblichen Versuchen ihres Mannes verlässt Antoinette Kürmann, ohne zu zögern. Daraufhin verkündet ihm der Registrator, er sei nun frei und habe noch sieben Jahre zu leben.

 
Buchcover der Neufassung von 1984

Anmerkungen des Autors Bearbeiten

Der ersten Fassung fügte Max Frisch einen Abschnitt mit Anmerkungen bei. Darin formulierte er die Intention seines Stückes, das den Zuschauer nicht darüber täuschen solle, dass es auf einer Bühne spiele. Ein Wechsel von Arbeitslicht und Spiellicht solle anzeigen, „daß jetzt eine Variante probiert wird, eine Variante zur Realität, die nie auf der Bühne erscheint.“ Das Stück bleibe Probe, es wolle nichts beweisen. Der Registrator vertrete keine „metaphysische Instanz“, sondern eine Instanz des Theaters. „Er spricht aus, was Kürmann selber weiß oder wissen könnte.“ Nicht die banale Biografie des Herrn Kürmann sei das Thema, sondern die der nachträglichen Analyse einer Schachpartie vergleichbare Frage, „ob und wie die Partie wohl anders zu führen gewesen wäre.“ Keine Szene passe Kürmann derart, dass sie nicht auch anders vorstellbar wäre. „Nur er kann nicht anders sein.“ Frisch schloss mit den Worten: „Ich habe es als Komödie gemeint.“[3]

Neue Fassung von 1984 Bearbeiten

In der überarbeiteten Fassung entfernte Frisch die Anmerkungen, betonte dafür aber im Stück selbst stärker den Charakter einer Versuchsanordnung, eines Spiels der Möglichkeiten. Der Registrator erhielt die Rollenbezeichnung Spielleiter. Zwei Assistenten des Spielleiters stellten nun die ursprünglich über 30 Nebenrollen dar und verstärkten damit den Verfremdungseffekt der Bühnenhandlung. Frisch strich die zeitliche Einbettung in die 1960er Jahre mit der Benennung tagespolitischer Ereignisse von Adenauer bis Chruschtschow. Eine ebenfalls zeittypische Auseinandersetzung zwischen Kürmann und seinem Sohn als Vertreter der Pilzkopf-Generation entfiel wie die Gefängnisszene nach Kürmanns Schuss. Stattdessen fügte Frisch eine, am Ende von Kürmann abgelehnte, Aussprache mit dessen Nebenbuhler Stahel ins Stück ein.

Form Bearbeiten

Max Frisch selbst bezeichnete Biografie: Ein Spiel als Komödie. Das Stück weicht allerdings von der klassischen Komödienstruktur ab und entspricht eher dem Entwurf einer tragischen Komödie Friedrich Dürrenmatts, bei der die Handlung nicht auf einen positiven Ausgang zusteuert, sondern das Komödienhafte des Ablaufs betont, die Groteske und Paradoxie der Situation. Das Stück wird dadurch zu einer „Komödie der Handlung“.[4] Es wird als „Spiel im Spiel“ präsentiert, als „mise en abyme“, bei der das Publikum dem Entstehungsprozess des Spiels beiwohnt.[5] Unterstrichen wird dies durch den Wechsel der Beleuchtung für die unterschiedlichen Realitätsebenen des Registrators und der gespielten Biografie Kürmanns. Frisch verwendet hier eine Form des epischen Theaters Bertolt Brechts.[6] Die Figuren treten immer wieder „aus ihrer Rolle“. Der Registrator mischt sich in Kürmanns Biografie ein, gibt Anweisungen oder weist ihn zurecht; „Sie benehmen sich unmöglich, das wissen Sie, wie ein Rohling.“[7] Kürmann seinerseits verweigert das Spiel, das er bereits kenne, oder unterbricht es, um den Registrator anzurufen: „Halt! Wer hat hier das Licht gelöscht?“[8][9]

Ulrike Landfester sieht in Biografie: Ein Spiel einen „virtuos modulierten“ Text, ein „Sprach-Spiel“, das in seiner Poetologie „alle Register des Spielens zieht“. Worte und Wortstämme aus dem Italienischen, Griechischen oder Latein werden zu durchgängigen Motiven, etwa wenn die italienische Sprache in der Tradition Goethes zum Symbol der „Sehnsucht einer poetischen Existenz“ wird, die Kürmann in seinem Leben missglückt. Auch Musik dient als motivische Begleitung, vom wiederholten Klaviergeklimper einer Ballettschule, dem Orgelspiel zu Kürmanns erster Hochzeit, einem „Harmonium mit Halleluja“[10] einer nahen Sekte bis zu Antoinettes und Stahels Spinettspiel, das Kürmanns zweite Ehe begleitet.[11]

Interpretation Bearbeiten

 
Max Frisch (1967)

Bereits der Titel Biografie: Ein Spiel legt das Programm des Stücks offen. Er zieht den Bogen von bios, Kürmanns Leben, zu graphein, der Registration, und dem einen Spiel, das auf andere mögliche Spielarten verweist. Das vorgeführte Leben Kürmanns wird zum Spiel auf mehrere Arten. Es gleicht der Spieluhr, von der sich Antoinette in der Eingangsszene fasziniert zeigt: „Figuren, die immer die gleichen Gesten machen, sobald es klimpert, und immer ist es dieselbe Walze, trotzdem ist man gespannt jedesmal.“[12] Gleichzeitig wird es nach den festen Regeln eines Schachspiels gespielt, bei dem die Bauern nicht zurückkönnen, die Dame aber alles darf, wie Kürmann im Vorgriff auf seine und Antoinettes unterschiedliche Fähigkeiten, aus ihrer gemeinsamen Biografie auszubrechen, erklärt.[13]

Eine weitere Form des Spiels ist die des Theaters. Kürmanns Leben wird auf der Bühne einer „theatralischen Überprüfung“ ausgesetzt. Die spielerische Darstellung der Möglichkeiten mit den Mitteln des Theaters gibt dem Leben das zurück, was es in der Festlegung durch die Wirklichkeit verloren hat: die Freiheit. Das Bühnenspiel wird für den Zuschauer zum glaubhafteren, gemäßeren Leben. Doch während Kürmanns Name nahelegt, dass er die Freiheit der Wahl habe, wird er in der Schlusspointe selbst zum „nicht mehr Gewählten“. Mit der gleichen Ironie gerät Kürmann durch seinen Eintritt in die KP in den Verdacht, die Welt verändern zu wollen, obwohl es ihm in Wahrheit nur darum geht, seine Biografie zu verändern.[14]

Kürmanns Korrekturen scheitern, weil jede Veränderung seines Lebenslaufs Konsequenzen nach sich zieht, die er nicht tragen will. Er will nicht „nochmals Volksschule“, „nochmals Pubertät“, „nochmals Militär“ durchleben.[15] Somit bestimmt nicht eine Verkettung von veränderbaren Zufällen Kürmanns Biografie, sondern sein Verhalten zu ihnen, seine Persönlichkeit. Diese neu zu wählen, bleibt ihm versagt: „Das ist das einzige, was ich wünsche, wenn ich nochmals anfangen kann: eine andere Intelligenz.“[16] Die Spielregeln des Registrators lassen lediglich Varianten seines Verhaltens zu, keine Varianten seiner Persönlichkeit. Kürmanns Ich bleibt eine unveränderbare Konstante.[17]

Die Einschränkungen des Spiels beschränken Kürmanns kreative Möglichkeiten, sich eine von Grund auf neue Biografie zu erschaffen. Denn das Spiel beruht auf bereits Erlebtem, von dem sich Kürmann nicht zu lösen vermag. Das Spiel bleibt so ein „Erinnerungsspiel“. Kürmanns Fixierung auf Antoinette ist dabei beliebig. Sie wird zu seinem Schicksal, weil er sie selbst dazu macht. Als Antoinette Kürmann verlassen will, hält er sie zurück. Er könnte es nicht ertragen, ohne sie und damit ohne Schicksal zu sein. Er gleicht Sisyphos, der sich ebenfalls vergeblich mit seinem geliebten „Stein“ – der Nachname Antoinettes – abmüht. Ihre Wahl verurteilt Kürmann am Ende zur Freiheit – und zum Tod. Die auf den Tod zurückgeworfene Wirklichkeit wird zur Antwort auf die zuvor bloß gespielte Ermordung Antoinettes.[18]

Intention und Umsetzung Bearbeiten

 
Max Frisch bei Proben zu Andorra 1961

Trotz des großen Publikumserfolgs seiner zuvor entstandenen Stücke Biedermann und die Brandstifter und Andorra zeigte sich Frisch unzufrieden mit den Missverständnissen, die deren Aufnahme begleitet hatten. In einem Gespräch mit Heinz Ludwig Arnold wandte er sich explizit gegen die gleichnishafte Parabelform der vorigen Stücke: „Ich habe einfach festgestellt, daß ich durch die Form der Parabel mich nötigen lasse, eine Botschaft zu verabreichen, die ich eigentlich nicht habe.“[19]

In Anlehnung an seinen 1964 erschienenen Roman Mein Name sei Gantenbein wandte sich Frisch auch auf der Bühne dem Spiel mit den Möglichkeiten zu, der Erkundung, wie sich eine Ausgangssituation durch unterschiedliche Handlungen verändern ließe. In seiner Rede zum Schiller-Gedächtnispreis 1965 kreierte er dafür den Begriff „Dramaturgie des Zufalls“ oder „Dramaturgie der Permutation“ und setzte ihn in Gegensatz zur „Dramaturgie der Fügung“ oder „Dramaturgie der Peripetie“ des klassischen Theaters mit ihrer „Unterstellung eines Sinns“, die eine Fabel bediene, wenn sie den Eindruck erwecke, sie hätte nicht anders verlaufen können. „Tatsächlich sehen wir, wo immer Leben sich abspielt, etwas viel Aufregenderes: es summiert sich aus Handlungen, die oft zufällig sind, und es hätte immer auch anders sein können, es gibt keine Handlung und keine Unterlassung, die für die Zukunft nicht Varianten zuließe.“[20]

In seinem veröffentlichten Tagebuch 1966–1971 führte Frisch die Gedanken in Skizzen „Zum Stück“ weiter aus: „Spiel gestattet, was das Leben nicht gestattet […]: daß wir die Kontinuität der Zeit aufheben, […] daß sich eine Handlung unterbrechen läßt […] und erst weiterläuft, wenn wir ihre Ursache und ihre möglichen Folgen begriffen haben […]. Leben ist geschichtlich, in jedem Augenblick definitiv, es duldet keine Variante. Das Spiel gestattet sie.“ Er wandte sich gegen das von Martin Walser so bezeichnete „Imitier-Theater“, Theater, das bloß die Realität abzubilden vorgebe, und ergriff Partei für ein „Bewußtseins-Theater“: „Darstellung nicht der Welt, sondern unseres Bewußtseins von ihr.“[21]

 
Im Schauspielhaus Zürich wurde Biografie: Ein Spiel am 1. Februar 1968 uraufgeführt

Frisch begann im Frühjahr 1966 mit der Arbeit an Biografie: Ein Spiel und legte im März 1967 eine erste Fassung vor. Für den 7. Oktober 1967 wurde die Uraufführung am Zürcher Schauspielhaus angesetzt. Doch die Zusammenarbeit zwischen Frisch und Regisseur Rudolf Noelte endete zehn Tage vor der Premiere in einem Eklat und der Absetzung Noeltes. Dieser hatte umfangreiche Textänderungen verlangt, die Frisch zuletzt nicht mehr akzeptieren wollte. Insbesondere Kürmanns Eintritt in die KP sorgte für Differenzen.[22] In einer Notiz im Briefwechsel mit Uwe Johnson, dem damaligen Lektor des Suhrkamp Verlages, schrieb Frisch: „Krach mit Regisseur Rudolf Noelte, der alle politischen Aspekte eliminiert und jedes Mal mit Abreise droht, wenn der Autor sich nicht fügt. Ich ziehe das Stück zurück.“[23] Der Streit fand ein gerichtliches Nachspiel, bei dem Noelte aufgrund seiner Bearbeitungen eine Mitautorenschaft einzuklagen versuchte, allerdings unterlag.[24] Die Premiere musste verschoben werden. Als Regisseur sprang der scheidende Direktor der Zürcher Schauspielhauses Leopold Lindtberg ein. Am 1. Februar 1968 gelangte die Zürcher Inszenierung unter der Mitwirkung von Ullrich Haupt, Ellen Schwiers und Peter Frankenfeld als Registrator zur Uraufführung. Zwei Tage später folgten Premieren von Aufführungen in München, Frankfurt und Düsseldorf. Weitere 15 Bühnen nahmen das Stück in der folgenden Spielzeit ins Programm.[25]

Max Frisch zeigte sich mit den Aufführungen nicht zufrieden. In seinem Tagebuch vermerkte er in einem Eintrag vom 8. Februar 1968: „Stück aufgeführt, BIOGRAFIE EIN SPIEL, mit vierfachem Sieg der Bühne (Zürich, München, Frankfurt, Düsseldorf) über den Autor; er bestreitet die Fatalität, die Bühne bestätigt sie – spielend.“[26] In einem Brief an Walter Höllerer führte er weiter aus: „ich war bei der Arbeit konsterniert: Das wird ja genau, was ich nicht haben will, ein Schicksalslauf!“ Die Reaktion des Publikums schien seine Befürchtungen zu bestätigen: „Die Zuschauer applaudierten der biederen Einsicht, wir können ja doch an unserer Biografie eigentlich nichts ändern.“[27] Frischs Unzufriedenheit mit dem eigenen Stück führte dazu, dass er sich elf Jahre lang von der Bühne zurückzog, ehe er 1978 mit Triptychon ein neues Theaterstück vorlegte. 1984 schuf er eine Neufassung von Biografie: Ein Spiel, die trotz Änderungen im Detail das Grundkonzept des Stückes, dass Kürmann nicht in der Lage ist, die gelebte Biografie zu verändern, beibehielt. Die Erstaufführung dieser Fassung fand am 15. September 1984 im Ludwigshafener Pfalzbau statt.

1970 wurde Biografie: Ein Spiel vom Hessischen Rundfunk in einer Fernsehfassung verfilmt. Auch bei dieser Fassung gab es inhaltliche Differenzen in der Zusammenarbeit Frischs mit dem Regisseur Rolf Hädrich. Während Frisch das Modellhafte seines Stückes zu betonen versuchte, legte der Regisseur seinen Fokus auf die Authentizität der handelnden Figuren. So wurde etwa sein Registrator zu einem „menschlich fühlenden Mitwisser“.[28]

Rezeption Bearbeiten

1968, im Jahr seiner Uraufführung, wurde Biografie: Ein Spiel nach den zuvor politisch interpretierten Parabeln als Max Frischs „Rückzug ins Privatleben“[25] verstanden. Insbesondere in der bundesdeutschen Kritik wurde das Stück als „unzeitgemäß“ und „radikale Verinnerlichung“ etikettiert und der Autor für seinen „Rückzug aus dem politischen Engagement“ und einer „Hinwendung zur Ästhetik des reinen Spiels“ kritisiert und teilweise diskreditiert.[29] Hellmuth Karasek sah das Stück als ein „bürgerliches Drama“, in dem politische Schritte lediglich wegen ihrer privaten Wirkung erfolgen, und eine allgemeine Ohnmacht gegenüber der Politik zum Ausdruck gebracht werde.[30] Es gab allerdings auch politische Deutungsversuche des Stückes. Marianne Biedermann erkannte keinen Bruch zu Biedermann und die Brandstifter oder Andorra und zog das Fazit: „Es bleibt, wie in den Parabeln, die Anklage gegen bedenkliche Zustände in unserer Gesellschaft und bei den Einzelnen, mit dem Ziel, vielleicht langfristig auf dem Weg über die Reflexion des Zuschauers den Boden für mögliche Veränderungen zu schaffen.“[31]

Im Mittelpunkt vieler späterer Bewertungen lag Frischs selbst eingestandenes Scheitern an seinen Intentionen. Jürgen H. Petersen sah den „Fundamentalmangel des Stücks“ darin, dass für den Zuschauer das Mögliche durch die Darstellung einer vergangenen Wirklichkeit überlagert werde. Dies unterscheide das Stück vom Gelingen des Romans Mein Name sei Gantenbein, bei dem die Varianten durch die Erzählsituation stets als Fiktion, als Gedachtes erkennbar blieben.[32] Hans Heinz Holz stellte die Relevanz der Ausgangssituation für ein Spiel der Möglichkeiten in Frage: „Kann man nicht Schicksale imaginieren, die wichtiger sind als die Lebenslüge eines ichbezogenen Professors, und in denen mehr Wahl, Möglichkeit, auch Zufall auftauchen mögen?“[33] Für Hans Mayer schien Biografie: Ein Spiel „den Vergleich nicht auszuhalten […] mit dem Öderland, dem Biedermann und mit Andorra.“[34] Beda Allemann sah in dem Stück „eine verborgene Form des Fatalismus“ zu Tage treten, die sich auch in Frischs Prosa Stiller oder Homo faber wiederfinden lasse.[35]

Andere Stimmen werteten das Misslingen von Frischs Absicht nicht als Misslingen des Stückes. So urteilte Klaus Müller-Salget: „Wenn man Frischs ursprüngliche Absicht beiseite läßt, dann kann Biografie: Ein Spiel als gelungene sarkastische Komödie der Wiederholung gelten“.[36] Für Hellmuth Karasek sprach es für „Frischs Unvoreingenommenheit gegenüber seinen eigenen Ansichten“, dass das Stück nicht zum gleichen eindeutigen Ergebnis komme wie der Autor in seinen Äußerungen. Biografie zeige, „wie wenig ‚Reinschriften‘ zu gelingen vermögen, selbst dann, wenn sie das Theater ermöglicht.“[37] Walter Schmitz sah „die Frage, ob die Praxis nun Frischs theoretische Vorüberlegungen bestätige oder widerlege, […] falsch gestellt“. Die Poetologie sei „nicht eine Voraussetzung sondern ein Teil des Werkes“ als Untersuchung, „wie ein Stück, das den vorgelegten Thesen entspräche, verfaßt werden könne.“ Dass sich die „Dramaturgie der Permutation“ nicht wahrmachen lasse, sei „kein überraschendes Nebenprodukt, sondern die Antwort auf die theoretische Frage des ‚Spiels‘ Biografie“.[38] Für Elisabeth Brock-Sulzer machte die Tatsache, dass Frisch als Autor „das Gegenteil von dem beweisen muß, was er beweisen will“, das Stück zur selbstironischen Komödie.[39] Frisch selbst zog in einem Gespräch mit Dieter E. Zimmer die Parallele seiner eigenen Rolle zu der Kürmanns: „Auch dem Stückschreiber könnte dieser Registrator sagen: Warum wählen Sie denn jedes Mal dasselbe Thema? Worauf ich wie Kürmann sagen möchte: Fangen wir noch einmal an!“[40]

Biografie: Ein Spiel hatte nicht den Publikumserfolg von Biedermann und die Brandstifter oder Andorra, aber das Stück avancierte an den deutschsprachigen Bühnen nach Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie zum viertmeistgespielten Theaterstück Max Frischs.[41] Dennoch ist die literaturwissenschaftliche Forschung zum Stück bislang nicht sehr umfangreich.[42]

Literatur Bearbeiten

Textausgaben Bearbeiten

  • Max Frisch: Biografie: Ein Spiel. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1969, ISBN 3-518-01225-8
  • Max Frisch: Biografie: Ein Spiel. Neue Fassung 1984. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-518-01873-6

Sekundärliteratur Bearbeiten

  • Hellmuth Karasek: Max Frisch. Friedrichs Dramatiker des Welttheaters Band 17. Friedrich Verlag, Velber 1974, S. 90–97, 124–127
  • Jürgen H. Petersen: Max Frisch. Metzler, Stuttgart 2002, ISBN 3-476-13173-4, S. 137–150
  • Walter Schmitz: Max Frisch: Das Spätwerk (1962–1982). Eine Einführung. Francke, Tübingen 1985, ISBN 3-7720-1721-5, S. 67–75
  • Ulrike Landfester: Ein Pult, das nicht zum Zimmer gehört. In: Davide Giuriato, Martin Stinglin, Sandro Zanetti (Hrsg.): System ohne General. Schreibszenen im digitalen Zeitalter. Wilhelm Fink, München 2006, ISBN 3-7705-4350-5, S. 65–85 (Online-Version)
  • Cegienas de Groot: Zeitgestaltung im Drama Max Frischs: Die Vergegenwärtigungstechnik in „Santa Cruz“, „Die Chinesische Mauer“ und „Biografie“. Rodopi, Amsterdam 1977, ISBN 90-6203-150-1

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Christian Jauslin: Leopold Lindtberg. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Band 2, Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0715-9, S. 1115 f.
  2. Frisch: Biografie: Ein Spiel (1969), S. 5
  3. Frisch: Biografie: Ein Spiel (1969), S. 119
  4. Beda Allemann: Die Struktur der Komödie bei Max Frisch. In: Walter Schmitz (Hrsg.): Max Frisch, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1987, ISBN 3-518-38559-3, S. 333
  5. Landfester: Ein Pult, das nicht zum Zimmer gehört, S. 65–67
  6. Allemann: Die Struktur der Komödie bei Max Frisch, S. 328
  7. Frisch: Biografie: Ein Spiel (1969), S. 26
  8. Frisch: Biografie: Ein Spiel (1969), S. 28
  9. Vgl. de Groot: Zeitgestaltung im Drama Max Frischs, S. 185–192
  10. Frisch: Biografie: Ein Spiel (1969), S. 76
  11. Vgl. zum Abschnitt: Landfester: Ein Pult, das nicht zum Zimmer gehört, S. 73–75
  12. Frisch: Biografie: Ein Spiel (1969), S. 8–9
  13. Vgl. zum Abschnitt: Landfester: Ein Pult, das nicht zum Zimmer gehört, S. 68–70
  14. Vgl. zum Abschnitt: Karasek: Max Frisch, S. 90–97
  15. Frisch: Biografie: Ein Spiel (1969), S. 32
  16. Frisch: Biografie: Ein Spiel (1969), S. 30
  17. Vgl. zum Abschnitt: Petersen: Max Frisch, S. 140–142
  18. Vgl. zum Abschnitt: Schmitz: Max Frisch: Das Spätwerk (1962–1982), S. 69–75
  19. Zitiert nach: Lioba Waleczek: Max Frisch. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2001, ISBN 3-423-31045-6, S. 127
  20. Max Frisch: Gesammelte Werke in zeitlicher Folge, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1976, Band 5, ISBN 3-518-37905-4, S. 366–369
  21. Max Frisch: Tagebuch 1966–1971. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979, ISBN 3-518-36756-0, S. 89–90
  22. Das zweifache Leben. In: Der Spiegel. Nr. 43, 1967, S. 182 (online).
  23. Zitiert nach: Landfester: Ein Pult, das nicht zum Zimmer gehört, S. 83–84
  24. Noelte verliert gegen Frisch. In: Die Zeit, Nr. 14/1968
  25. a b Abend mit Antoinette. In: Der Spiegel. Nr. 5, 1968, S. 136 (online).
  26. Frisch: Tagebuch 1966–1971, S. 111
  27. Max Frisch: Dramaturgisches. Ein Briefwechsel mit Walter Höllerer. Literarisches Colloquium, Berlin 1969, ISBN 3-920392-17-5, S. 28
  28. Luis Bolliger (Hrsg.): jetzt: max frisch. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-518-39734-6, S. 193
  29. Marianne Biedermann: Politisches Theater oder radikale Verinnerlichung?. In: text + kritik 47/48, ISBN 3-921402-10-7. S. 44
  30. Karasek: Max Frisch, S. 96
  31. Biedermann: Politisches Theater oder radikale Verinnerlichung?, S. 55–56
  32. Vgl. Petersen: Max Frisch, S. 144–150
  33. Zitiert nach: Lioba Waleczek: Max Frisch, S. 128
  34. Hans Mayer: Über Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch. Neske, Pfullingen 1977, ISBN 3-7885-0081-6, S. 123
  35. Allemann: Die Struktur der Komödie bei Max Frisch, S. 328–329
  36. Klaus Müller-Salget: Max Frisch. Reclam, Stuttgart 1996, ISBN 3-15-015210-0, S. 34
  37. Karasek: Max Frisch, S. 96–97
  38. Walter Schmitz: Max Frisch: Das Spätwerk (1962–1982), S. 69, 73
  39. Bolliger (Hrsg.): jetzt: max frisch, S. 196–197
  40. Bolliger (Hrsg.): jetzt: max frisch, S. 199
  41. Volker Hage: Max Frisch, Rowohlt, Hamburg 1997, ISBN 3-499-50616-5, S. 82
  42. Landfester: Ein Pult, das nicht zum Zimmer gehört, S. 67.