Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich

Spezialbibliothek in Zürich (Schweiz)

Die Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich ist eine Bibliothek für Judaica und Hebraica im Stadtteil Enge in Zürich, die von der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich betrieben wird.

Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich

Die Bibliothek ist im Gemeindehaus der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich untergebracht.

Gründung 1939
Bestand fast 60'000 Einheiten (2017)
Bibliothekstyp Wissenschaftliche Bibliothek, Gemeindebibliothek
Ort Zürich Welt-IconKoordinaten: 47° 21′ 47″ N, 8° 31′ 57″ O; CH1903: 682631 / 246377
ISIL CH-000667-X
Betreiber Israelitische Cultusgemeinde Zürich
Website icz.org/institutionen/bibliothek

Mit fast 60'000 Werken in Deutsch, Jiddisch, Hebräisch und Englisch gilt sie als bedeutendste Judaica-Bibliothek im deutschsprachigen Raum.[1] Sie wurde im Jahr 2009 zum Nationalen Kulturgut der Schweiz erklärt.[2]

Geschichte Bearbeiten

Im Jahr 1902 eröffnete in Zürich eine Jüdische Lesehalle mit Bibliothek. Die Bibliothek wechselte in der Folge immer wieder ihren Standort. 1923 wurde die Verantwortung an den Verein Jüdische Bibliothek Zürich übertragen. Durch Käufe konnten in den 1930er Jahren zahlreiche wertvolle Bücher vor den Nationalsozialisten gerettet werden. Die Verkäufe ermöglichten den Besitzern mitunter, ihre Flucht aus Deutschland zu finanzieren.[3]

Im Dezember 1939 erhielt die Israelitische Cultusgemeinde Zürich die Bestände des Vereins Jüdische Bibliothek Zürich, um daraus im neu erbauten Gemeindehaus eine eigene Bibliothek zu gründen. Die neu gegründete Bibliothek der ICZ verfügte damals über rund 2500 Bücher. Die Bibliothek wurde im Gegensatz zu den meisten anderen jüdischen Bibliotheken in Europa während der ganzen Zeit des Zweiten Weltkriegs weiterbetrieben. Der Lesesaal diente vielen jüdischen Flüchtlingen als Treffpunkt. Ab 1940 wurde die Erstellung eines zentralen Katalogs aller Judaica und Hebraica in der Schweiz begonnen.[3][4]

Durch Vermittlung des Jewish Cultural Reconstruction Inc. respektive ihrer Geschäftsführerin Hannah Arendt kamen Teile der 1938 aufgelösten Bibliothek des Breslauer Rabbinerseminars in die Schweiz. In den 1950er Jahren erhielt die ICZ einen Teil dieser Sammlung, die anderen gingen an den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund in Basel und an die Bibliothèque «Gérard Nordmann» der Communauté Israélite de Genève in Genf.

Im Jahr 2006 oder nach anderer Quelle im Jahr 2011 ist der Basler Teil der Breslauer Bibliothek nach Zürich gekommen.[4][5] Später kamen auch die Bücher aus Genf nach Zürich.[6]

In der Zeit um das Jahr 2012 wurde diskutiert, den wissenschaftlich bedeutsamen Teil der Sammlung an die Zentralbibliothek Zürich zu geben, um so Kosten zu sparen. Mit dem 2013 gegründeten Verein für jüdische Kultur und Wissenschaft unter Federführung von Charles Lewinsky konnte die Finanzierung sichergestellt werden.[6][7]

Bestände Bearbeiten

Zur Sammlung gehören 27 Werke aus dem 16. Jahrhundert, 106 aus dem 17. Jahrhundert und 691 aus dem 18. Jahrhundert (Stand 2011).[3][8]

„In den Regalen in der Zürcher Enge stehen Bücher, die es sonst nirgendwo auf der Welt mehr gibt: Sie haben den Zweiten Weltkrieg überlebt.“

Martina Läubli: Neue Zürcher Zeitung[9]

Die Breslauer Seminarbibliothek Bearbeiten

Der bedeutendste Teil des Bestands sind die Bücher aus dem Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau, die in den 1950er Jahren in die Bibliothek kamen. Die Bibliothek des Seminars basierte auf der Sammlung des Triester Bibliophilen Leon Vita Saraval (1771–1851). Sie wurde zur Gründung des Seminars im Jahr 1854 erworben.[10] Bereits um die Jahrhundertwende soll der Bestand 22'332 Bücher umfasst haben.[11] Im November 1938 wurden das Seminar und grosse Teile der Bibliothek zerstört. Die Nazis brachten einen Teil der Bücher in das Institut zur Erforschung der Judenfrage in Frankfurt am Main. Rund 11'000 Bücher aus der Bibliothek, etwas mehr als ein Drittel der Sammlung, blieben erhalten. Rund 6000 Werke wurden auf Bitten von Schweizer Juden durch Hannah Arendt in die Schweiz gebracht, der Rest in die USA und nach Israel. Entgegen den Auflagen, dass die Bücher an einem einzigen Ort aufbewahrt werden, wurden sie auf drei Bibliotheken verteilt, da man sich nicht auf einen Standort einigen konnte. In Zürich wurden 2398 Werke gezählt. Erst rund 50 Jahre später wurden alle Werke wieder in Zürich vereint. Die ältesten stammen aus dem 16. Jahrhundert.[5][8]

Weitere Bestände Bearbeiten

Als Wissenschafts- und Gemeindebibliothek werden sowohl wissenschaftliche Werke zum Judentum als auch Belletristik gesammelt, die inhaltlich oder durch den Autor einen jüdischen Bezug hat. Weiter sind Kinderbücher, Neue Medien und rund 500 jüdische Zeitschriften- und Zeitungstitel im Bestand.[4]

Zum Bestand gehören auch eine jiddische Spezialsammlung, die Bibliothek der Schweizerischen Vereinigung für Jüdische Genealogie und der Nachlass des Komponisten Max Ettinger (1874–1951). Das «Florence Guggenheim Archiv zur Geschichte, Sprache und Volkskunde der Juden in der Schweiz» ging hingegen 2013 an das Staatsarchiv Aargau über.[3]

Nutzung Bearbeiten

Für das Jahr 2012 wurden Besucherzahlen von durchschnittlich 80 bis 100 Personen pro Woche genannt.[12] Die Bibliothek im Gemeindehaus der ICZ an der Lavaterstrasse 33 ist öffentlich. Jeder Besucher muss sich aber ausweisen und wird einer mündlichen Sicherheitsüberprüfung unterzogen.[6]

Literatur Bearbeiten

  • Yvonne Domhardt, Kerstin A. Paul (Hrsg.): Quelle lebender Bücher. 75 Jahre Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich. Edition Clandestin, Biel 2014, ISBN 978-3-905297-58-4.
  • Yvonne Domhardt, Zsolt Keller, Kerstin A. Paul: Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich. In: Zentralbibliothek Zürich (Hrsg.): Handbuch der historischen Buchbestände der Schweiz. Band 3. Olms, Zürich 2011, ISBN 978-3-487-14586-0, S. 288–290 (uzh.ch [PDF; abgerufen am 31. März 2018]).
  • Yvonne Domhardt, Zsolt Keller, Guido Kleinberger, Michael Leipziger: Die Breslauer Seminarbibliothek in der Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich. In: Zentralbibliothek Zürich (Hrsg.): Handbuch der historischen Buchbestände der Schweiz. Band 3. Olms, Zürich 2011, ISBN 978-3-487-14586-0, S. 267–269 (uzh.ch [PDF; abgerufen am 31. März 2018]).
  • The Library of the Israelitische Cultusgemeinde Zürich (ICZ). In: Yvonne Domhardt (Hrsg.): European Judaism. Band 42/1, 2009, S. 180–183.
  • Jüdische Bücher und der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (1930–1950). Anmerkungen zu einem bislang wenig beachteten Thema. In: Zsolt Keller (Hrsg.): Bulletin der Schweizerischen Gesellschaft für Judaistische Forschungen. 2005, S. 20–34.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Martina Läubli: Jüdischer Bücherschatz. In: Neue Zürcher Zeitung. 9. Januar 2015 (nzz.ch [abgerufen am 24. Januar 2018]).
  2. Kantonsliste A- und B-Objekte Kanton ZH. Schweizerisches Kulturgüterschutzinventar mit Objekten von nationaler (A-Objekte) und regionaler (B-Objekte) Bedeutung. In: Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS – Fachbereich Kulturgüterschutz, 1. Januar 2024, abgerufen am 23. Oktober 2021. (PDF; 397 kB, 21 S., Revision KGS-Inventar 2021 (Stand: 1. Januar 2023)).
  3. a b c d Yvonne Domhardt, Zsolt Keller, Kerstin A. Paul: Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich. In: Zentralbibliothek Zürich (Hrsg.): Handbuch der historischen Buchbestände der Schweiz. Band 3. Olms, Zürich 2011, ISBN 978-3-487-14586-0, S. 288–290 (uzh.ch [PDF; abgerufen am 31. März 2018]).
  4. a b c Yvonne Domhardt: «… damals war Israel nicht bloß ein Volk des Buches sondern der Bücher». Eine kleine Geschichte der Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich zum 75-jährigen Jubiläum. In: Yvonne Domhardt, Kerstin A. Paul (Hrsg.): Quelle lebender Bücher. 75 Jahre Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich. Edition Clandestin, Biel 2014, ISBN 978-3-905297-58-4, S. 12 f.
  5. a b Yves Kugelmann: Ein Stück weit unersetzbar. In: Tachles. 21. Juli 2017 (icz.org [abgerufen am 24. Januar 2018] Interview mit Yvonne Domhardt).
  6. a b c Dorothee Vögeli: Jüdischer Bücherschatz ins Rampenlicht gezerrt. In: Neue Zürcher Zeitung. 13. Dezember 2017, S. 19 (nzz.ch [abgerufen am 30. März 2018]).
  7. Curdin Vincenz: Charles Lewinskys Engagement für Bibliothek der Cultusgemeinde. Radiobeitrag von SRF 4. Schweizer Radio und Fernsehen SRF, 14. Januar 2015, abgerufen am 30. März 2018.
  8. a b Yvonne Domhardt, Zsolt Keller, Guido Kleinberger, Michael Leipziger: Die Breslauer Seminarbibliothek in der Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich. In: Zentralbibliothek Zürich (Hrsg.): Handbuch der historischen Buchbestände der Schweiz. Band 3. Olms, Zürich 2011, ISBN 978-3-487-14586-0, S. 267–269 (uzh.ch [PDF; abgerufen am 31. März 2018]).
  9. Martina Läubli: Jüdischer Bücherschatz. In: Neue Zürcher Zeitung. 9. Januar 2015, abgerufen am 30. März 2018.
  10. Isidore Singer, Schulim Ochser: Saraval. (Abschrift) In: Jewish Encyclopedia. 1906, abgerufen am 30. März 2018 (englisch).
  11. Gotthard Deutsch: Jüdisch-Theologisches Seminar (Fränckelscher Stiftung). (Abschrift) In: Jewish Encyclopedia. 1906, abgerufen am 30. März 2018 (englisch).
  12. Yvonne Domhardt: «… damals war Israel nicht bloß ein Vold des Buches sondern der Bücher». Eine kleine Geschichte der Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich zum 75-jährigen Jubiläum. In: Yvonne Domhardt, Kerstin A. Paul (Hrsg.): Quelle lebender Bücher. 75 Jahre Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich. Edition Clandestin, Biel 2014, ISBN 978-3-905297-58-4, S. 14.