Bestimmte Negation ist ein von Georg Wilhelm Friedrich Hegel geprägter Begriff[1], der vornehmlich in der Marx’schen Ideologiekritik und Kritischen Theorie verwendet wird.

„Dass die Philosophie Hegels von Anfang an der bestimmende Kontext der theoretischen Entwürfe von Marx gewesen ist, zeigt bereits seine Dissertation von 1841, in der er sich Rechenschaft ablegt von deren alle philosophischen Neuansätze der 1830er Jahre bestimmenden Monumentalität wie von ihrer hermetischen Gestalt.“[2]

Hegel entwickelte den Begriff in der Unterscheidung von Nichts als Gegensatz zum reinen Sein und Nichts als Gegensatz von Etwas. Nichts als Gegensatz von Etwas bezeichnete er als bestimmte Negation. Diese hat per definitionem einen Inhalt und ist ein neuer Begriff. So ist Kälte eine bestimmte Negation von Wärme. Die bestimmte Negation wird von Hegel folgerichtig auch als Positivität begriffen.[3]

Damit ist gemeint, dass die Existenz der einen Sache von der anderen abhängig ist, aber zugleich kann man auch sagen, dass die eine Sache nicht ohne die andere empfunden, bzw. auch wahrgenommen würde.

Für Theodor W. Adorno ist die bestimmte Negation ein Schlüsselbegriff seiner Philosophie und Gesellschaftskritik.[4] Er verwendet ihn gleichbedeutend mit Ideologiekritik.[5]

Das lässt sich auch daraus erklären, dass die Marx‘sche Lehre von Basis und Überbau eine Abhängigkeit bestimmter Wahrnehmungsstrukturen an wieder andere Gesellschaftszustände koppelt, z. B. die Produktionsverhältnisse, woraus bestimmte Vorurteile resultieren. Diese Vorurteile entsprechen dann schließlich einer bestimmten Ideologie, die dann auch eventuell kritisiert werden kann.

Als gesellschaftlich ohnmächtig gilt Adorno auch, folgerichtig, Kritik, die allgemein bleibt, sich nicht auf den jeweiligen Tatbestand einlässt und diese Abhängigkeiten nicht berücksichtigt.[6] So kritisiert er Friedrich Nietzsche wegen dessen „abstrakter Negation der Moral“: nicht die Abschaffung der Moral kann das Ziel sein, sondern eine andere Moral. Das Negierte sollte durch die Negation nicht ausgelöscht, sondern in einer neuen Form „aufgehoben“ werden. Auch sollte durch konkrete Bezeichnung und bestimmte Negierung des „Falschen“ indirekt auf das verwiesen werden, „was sein soll“. In diesem Sinne hat Adorno viele der Aphorismen seiner Minima Moralia formuliert.

Wolfgang Fritz Haug sah es so:

„Der Sozialismus ist wissenschaftlich oder er ist nicht. Andererseits kann nur der Sozialismus den humanistischen Charakter der Wissenschaft gewährleisten. Mit Marcuse müßte man den Begriff repressiver Unmittelbarkeit prägen, ihn aber nicht allein auf die Triebe, sondern zuvor auf die ‚kritische Theorie‘ selbst anwenden. Denn wenn die Kritik ihre Form, historische Arbeit zu sein, abstreift und sich gehen läßt in abstrakt-totale Negation, bleibt sie innerhalb der Unfreiheit stehen.“[7]

Literatur Bearbeiten

  • Wolfgang Fritz Haug: Bestimmte Negation. „Das umwerfende Einverständnis des braven Soldaten Schwejk“ und andere Aufsätze. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1973.
  • Wolfgang Fritz Haug: bestimmte Negation. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Bd. 2: Bank bis Dummheit in der Musik. Argument, Hamburg 1985, Sp. 177–188.

Anmerkungen Bearbeiten

  1. „Hegel endorses Spinoza's claim that ‚determination is NEGATION‘ (Spinoza, Letter 50), that is, that a thing or concept is determinate only in virtue of a contrast with other things or concepts, which are determined in a way that it is not. (In a typical move, Hegel argues that the indeterminacy (Unbestimmtheit) of being, with which the section begins, is itself a sort of determinacy, since being's indeterminacy contrasts with, and distinguishes it from, the determinacy of QUALITY.)“ Michael Inwood: A Hegel Dictionary. Blackwell, Oxford 2003 (1992), art. determination and determinateness.
  2. Eberhard Rüddenklau: Marx’sche Theorie. In: Metzler Lexikon Philosophie. Springer-Verlag Deutschland GmbH, 2008, abgerufen am 21. Juni 2023.
  3. Gerhard Schweppenhäuser: Theodor W. Adorno zur Einführung. 5. Auflage. Junius, Hamburg 2009, S. 32.
  4. Das Begriffsregister von Adornos Ästhetischer Theorie weist allein zwanzig Textstellen mit diesem Begriff aus. Vgl. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. In: ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 7, 6. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996, S. 560.
  5. Theodor W. Adorno: Beitrag zur Ideologienlehre. In: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 8: Soziologische Schriften I. 3. Auflage, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990, S. 466.
  6. Theodor W. Adorno: Drei Studien zu Hegel. In. ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 5, 5. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996, S. 318.
  7. W. F. Haug: Das Ganze und das ganz Andere. Zur Kritik der reinen revolutionären Transzendenz. In: Bestimmte Negation ... Aufsätze. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1973, S. 119. Zuerst veröffentlicht in: Antworten auf Herbert Marcuse, hrsg. v. J. Habermas, Ffm. 1968.