Unterspezifikation ist ein Konzept der theoretischen Sprachwissenschaft, das unter diesem Namen vor allem in den Bereichen der Phonologie, in der Morphologie und in der Semantik Anwendung findet. Unterspezifikation ermöglicht es, Aussagen über mehrere Elemente aus unterschiedlichen Kategorien zu treffen, indem auf eines oder mehrere von allen Zielelementen geteilten Merkmale Bezug genommen wird.

Ein Nicht-linguistisches Beispiel Bearbeiten

Das Prinzip der Unterspezifikation findet unter anderen Namen in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens Anwendung. Als Beispiel sei hier die Kategorisierung von Tieren herangeführt.

Angenommen sei eine Menge, die aus den Elementen Pinguin, Schwan und Emu besteht. Alle diese in der menge enthaltenen Tiere verfügen über bestimmte, möglicherweise abstrakte, Merkmale, in deren Ausprägung sie sich voneinander unterscheiden, aber auch solche, in denen sie übereinstimmen. So werden beispielsweise alle drei Elemente der Menge unter dem Begriff Vogel zusammengefasst, alle drei Elemente dieser bestimmten Menge verfügen demnach über das Merkmal ist ein Vogel. Wenn man nun Aussagen über diese drei Tiere treffen will, kann man entweder jedes Einzelne der Tiere explizit benennen, etwa „Pinguin, Schwan und Emu haben Federn“, oder man greift auf das Merkmal zurück, das alle drei dieser Tiere teilen: Vögel haben Federn. Diese Aussage ist insofern unterspezifiziert, als dass alle übrigen Eigenschaften der drei Tiere unbenannt bleiben. Durch die Bezugnahme auf nur ein einziges Merkmal ist es so möglich, Aussagen über alle drei Elemente der Menge zu treffen.

Unterspezifikation in der Linguistik Bearbeiten

in der Morphologie Bearbeiten

In der theoretischen Morphologie geht es unter anderem darum, eine bestimmte Menge an grammatischen Merkmalen mit einer bestimmten Kette von Lauten in Beziehung zu setzen (zu assoziieren). Das Merkmalsbündel [1. Person, Plural] ist im Deutschen beispielsweise mit der Lautkette /-ən/ assoziiert. Solche Assoziationen werden gemeinhin durch einen Doppelpfeil (↔) dargestellt.

Dieselbe Lautkette ist aber auch mit dem Merkmalsbündel [3. Person, Plural] verbunden, wie ein Blick auf das Wortformen-Paradigma eines deutschen Verbes zeigt:

Singular Plural
1. Person (ich) spiel-e (wir) spiel-en
2. Person (du) spiel-st (ihr) spiel-t
3. Person (er/sie/es) spiel-t (sie) spiel-en

Ein Paar aus Lautkette und dem damit assoziierten Merkmalsbündel wird in der Morhologie als Marker bezeichnet. Damit man die gemeinsame Verwendung der Lautkette /en/ in der dritten und ersten Person Plural erklären kann, ohne zwei verschiedene Marker

/en/ ↔ [1, pl]

und

/en/ ↔ [3, pl]

annehmen zu müssen, sucht man Wege, beide Personen zusammenzufassen. Ein geläufiges Mittel dafür ist die das Prinzip der Merkmalsdekomposition. Demnach sind die Personenmerkmale keine atomaren Kategorien, sondern Komplexe aus kleineren Merkmalen, beispielsweise [±1, ±2], wobei [+1] bedeutet, ich bin 1. Person, [-2] ich bin nicht zweite Person, u.s.w.

Die klassischen Personenmerkmale lassen sich in diesem Modell dann folgendermaßen subkategorisieren („in kleinere Merkmale zerlegen“):

1. Person = [+1, -2]
2. Person = [-1, +2]
3. Person = [-1, -2]

Die Bezugnahme auf das Subkategorisierungsmerkmal [-2] ermöglicht nun das gemeinsame Ansprechen der ersten und dritten Person. Der Marker, dessen Lautkettenteil /en/ ist, kann deshalb umformuliert werden zu

/en/ ↔ [-2, pl].

Dieser Marker ist unterspezifiziert, da er bezüglich dem Merkmal [±1] keine Aussage macht.

Anmerkung: Die hier vorgestellte Subkategorisierung von Personenmerkmalen ist nur ein Beispiel. In der Literatur wurden und werden noch andere Möglichkeiten vorgeschlagen, Merkmale zu zerlegen. Eine allgemein gültige Festlegung, welche Merkmale wie subkategorisiert werden, gibt es bislang nicht. Viele Linguisten tendieren dazu, Subkategorisierungsmerkmale semantisch (wie in obigem Beispiel) oder syntaktisch (etwa die Subkategorisierung von Kasus in [±reg(iert)] etwa bei Bierwisch (1967)) zu motivieren. Es gibt aber auch Arbeiten, in denen die Merkmalszerlegung rein formaler bzw. abstrakter Natur ist.

in der Phonologie Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Manfred Bierwisch: Syntactic Features in Morphology: General Problems of So-Called Pronominal Inflection in German. In: To Honour Roman Jakobson: Essays on the Occasion of His Seventieth Birthday, Band 2. Mouton, The Hague, 1967.