Büchsenwurfspiel

Achtelfinal-Hinspiel zwischen Borussia Mönchengladbach und Inter Mailand im Europapokal der Landesmeister 1971/72

Als Büchsenwurfspiel (ital. „Partita della Lattina“) ging das am 20. Oktober 1971 im Europapokal der Landesmeister ausgetragene Achtelfinal-Hinspiel zwischen Borussia Mönchengladbach und Inter Mailand in die Fußballgeschichte ein. Die Borussia gewann das Hinspiel im heimischen Bökelbergstadion zunächst mit 7:1; das Spiel wurde später von der UEFA annulliert, da der italienische Stürmer Roberto Boninsegna in der 28. Spielminute beim Spielstand von 2:1 von einer Coca-Cola-Dose – geworfen von einem Zuschauer – getroffen wurde, zu Boden ging und daraufhin ausgewechselt wurde.

Zum legendären Status dieses Spiels trägt auch die Tatsache bei, dass es wegen Vertragsproblemen zwischen der ARD und dem Manager der Borussia, Helmut Grashoff, nicht im deutschen Fernsehen übertragen wurde und es deshalb – abgesehen von kurzen Filmausschnitten – lediglich Rundfunk-, Zeitungs- und Augenzeugenberichte gibt. Es ging seinerzeit um die Frage, wer die Übertragungskosten von 60.000 DM und die fällige Mehrwertsteuer von damals elf Prozent zu leisten habe.[1]

Die Disziplinarkommission der UEFA ordnete danach eine Platzsperre für die nächsten drei Heimspiele der Borussia im europäischen Wettbewerb sowie eine Geldstrafe von 10.000 Schweizer Franken an. Nach einem 2:4 im Rückspiel in Mailand und einem 0:0 im Wiederholungsspiel am 1. Dezember 1971 im Berliner Olympiastadion schied Borussia Mönchengladbach aus dem Wettbewerb aus.

Luggi Müller erzählte später:

„Ich habe gesehen, wie die Dose Boninsegna an der Schulter traf. Zunächst schaute er nur ganz verdutzt. Dann kam Inter-Kapitän Sandro Mazzola auf ihn zugestürmt und rief, er solle sich fallen lassen. Und schon sank er wie vom Blitz getroffen zu Boden. Dabei war die Dose so gut wie leer. Das habe ich gemerkt, als ich sie Richtung Bande gekickt habe. Boninsegna wollte aufstehen, doch ein Inter-Masseur drückte ihn immer wieder zu Boden. Dann ließ er sich auf einer Trage abtransportieren. Wir haben aber gesehen, dass er dabei noch seinen Mitspielern zugezwinkert hat. Es war eine große schauspielerische Leistung.“

Luggi Müller, Augenzeugenbericht[2]

Roberto Boninsegna hat immer bestritten, dass eine Inszenierung stattgefunden hat:

„Ich weiß nicht, was als nächstes passiert ist, weil ich auf dem Boden lag. Ich war auf dem Weg, um einen Einwurf auszuführen, als ich einen Schlag verspürte und ohnmächtig wurde. Nachdem ich wieder zu mir gekommen war, wollte ich weiterspielen, aber der Arzt brachte mich in die Umkleidekabine.“

Laut der italienischen Zeitung „La Stampa“, stellte der Arzt, der Boninsegna untersuchte, fest, dass der Stürmer eine starke parietale Kontusion wegen des Werfens der Dose erlitt.[4]

Die Blechdose stand bis Juni 2012 im Vereinsmuseum von Vitesse Arnheim, nachdem der Schiedsrichter der Partie, Jef Dorpmans, sie nach Arnhem mitgenommen hatte.[1][5] Im Herbst 2011 bemühte sich Borussia Mönchengladbach, die Büchse anlässlich des 40. Jahrestages des Büchsenwurfes zu erwerben. Im Juni 2012 wurde die Büchse in einem feierlichen Rahmen an die Vereinsführung von Borussia Mönchengladbach übergeben.[6] Sie ist seit dessen Eröffnung am 3. Mai 2019 im vereinseigenen Museum, der Fohlenwelt, ausgestellt.[7]

Borussia Mönchengladbach Inter Mailand
Borussia Mönchengladbach
20. Oktober 1971 in Mönchengladbach (Bökelbergstadion)
Ergebnis: 7:1 (5:1)
Zuschauer: 27.500 Zuschauer[1][8]
Schiedsrichter: Jef Dorpmans (Niederlande Niederlande)
Inter Mailand


Wolfgang Kleff, Berti Vogts (C)ein weißes C in blauem Kreis, Ludwig Müller, Klaus-Dieter Sieloff, Hartwig Bleidick, Rainer Bonhof, Günter Netzer (83. Hans-Jürgen Wittkamp), Christian Kulik, Herbert „Hacki“ Wimmer, Jupp Heynckes, Ulrik le Fevre
Cheftrainer: Hennes Weisweiler
Lido Vieri (46. Ivano Bordon), Gabriele Oriali, Mario Giubertoni, Tarcisio Burgnich, Giacinto Facchetti, Bernardino Fabbian, Gianfranco Bedin, Mario Corso, Sandro Mazzola (C)ein weißes C in blauem Kreis, Jair da Costa, Roberto Boninsegna (28. Gian Piero Ghio)
Cheftrainer: Giovanni Invernizzi
Tor nach 7 Minuten 7′ 1:0 Jupp Heynckes

Tor nach 21 Minuten 21′ 2:1 Ulrik le Fevre
Tor nach 34 Minuten 34′ 3:1 Ulrik le Fevre
Tor nach 42 Minuten 42′ 4:1 Günter Netzer
Tor nach 44 Minuten 44′ 5:1 Jupp Heynckes
Tor nach 52 Minuten 52′ 6:1 Günter Netzer
Strafstoß nach 83 Minuten 83′ (Strafstoß) 7:1 Klaus-Dieter Sieloff

Tor nach 19 Minuten 19′ 1:1 Roberto Boninsegna

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c Karsten Kellermann: Der Büchsenwurf vom Bökelberg. Vor 40 Jahren machten Borussia Mönchengladbach beim 7:1-Sieg gegen Inter Mailand ihr bestes Spiel im Europapokal. Das Spiel wurde annulliert, weil eine Cola-Dose Inter-Star Boninsegna am Kopf getroffen haben soll. In: Rheinische Post Verlagsgesellschaft mbH (Hrsg.): Rheinische Post. 20. Oktober 2011, S. D2.
  2. Thomas Grulke: „Es schmerzt heute immer noch“. Borussias Verteidiger Luggi Müller spricht über den Büchsenwurf. In: Rheinische Post Verlagsgesellschaft mbH (Hrsg.): Rheinische Post. 20. Oktober 2011, S. D3.
  3. Simone Galli: La partita della lattina. 20. Oktober 2017, abgerufen am 5. Januar 2020 (italienisch).
  4. Bruno Bernardi: Per l'arbitro non cambierà il risultato. La Stampa, 21. Oktober 1971, abgerufen am 5. Januar 2020 (italienisch).
  5. Karsten Kellermann und Thomas Grulke: Besuch bei der Dose. Die Rheinische Post fuhr nach Arnheim. Dort im kleinen Klubmuseum von Vitesse steht die Blechdose, wegen der am 20. Oktober 1971 Borussias wohl größter Sieg annulliert wurde: das 7:1 gegen Inter Mailand. Schiedsrichter Jef Dorpmans nahm das Beweisstück mit in die Heimat. In: Rheinische Post Verlagsgesellschaft mbH (Hrsg.): Rheinische Post. 20. Oktober 2011, S. D3.
  6. Boninsegna-Büchse kehrt nach 41 Jahren zurück. RP online GmbH, 14. Juni 2012, abgerufen am 5. Juli 2012.
  7. Sebastian Hochrainer: Legenden gefällt Borussias Schatzkammer. Rheinische Post, 3. Mai 2019, abgerufen am 19. September 2019.
  8. Spielstatistik Borussia M'gladbach – Inter Mailand 7:1. Sport-Dienst-Agentur Merk, abgerufen am 3. Januar 2010.