Arbeiterbildungsverein

Vorläufer moderner Gewerkschaften

Unter Arbeiterbildungsverein ist ein Zusammenschluss von Arbeitern und Handwerkern zu verstehen, der deren Bildung dient und im Vormärz zur Entwicklung eines proletarischen Klassenbewusstseins führte.

Arbeiterbildungsvereine vor 1848 Bearbeiten

 
Wilhelm Weitling

Bereits seit den 1830er Jahren entstanden auf dem Gebiet des Deutschen Bundes Arbeiterbildungsvereine. Teilweise wurden sie unter Mitwirkung des liberalen Bürgertums und teilweise von Arbeitern und Handwerkern selbst gegründet. In ihnen lag der Hauptschwerpunkt in der Vermittlung von Wissen und Bildung allgemeiner und fachlicher Art.

Hinzu kamen von Beginn aber auch die Diskussion von politischen Tagesereignissen sowie Formen der Geselligkeit. Politische Aktivitäten im engeren Sinne entfalteten dann die Bildungsvereine der wandernden (deutschen) Gesellen im Ausland. Wie im Fall des radikalen „Bundes der Gerechten“ um Wilhelm Weitling war der Übergang vom Bildungsverein zu einer Vorform einer politischen Partei bei den Auslandsvereinen fließend.

Vor dem März 1848 sind folgende Arbeiterbildungsvereine nachweisbar:

Exemplarisch genannt werden kann hier die Hamburger Bildungsgesellschaft – Bildungsverein zur Hebung der arbeitenden Klasse. 1847 hatte sie 450 Mitglieder, hauptsächlich Tischler, Schuster, Schneider. Es gab Vorträge und Kurse in Deutsch, Fremdsprachen, Geschichte, so wie technisches Zeichnen. Redeübungen dienten der politischen Bildung. Die Gesellschaft besaß eine Bibliothek sowie 17 Journalen mit den „radikalen Blättern“ der Zeit.

Mitglieder von Arbeiterbildungsvereinen Bearbeiten

Zunächst waren vornehmlich emigrierte Intellektuelle und Handwerker Mitglieder in Arbeiterbildungsvereinen, später vergrößerte sich die Mitgliederbasis und zahlreiche Arbeiter aus anderen Wirtschaftszweigen traten bei. Dies führte dazu, dass die Mehrzahl der Arbeitervereine meist mehrere hundert Mitglieder aufwies.

Bekannte Gründer oder Mitglieder in Arbeiterbildungsvereinen waren:

Arbeiterbildungsvereine nach 1848 Bearbeiten

 
Tafel am Haus des deutschen Arbeiterbildungsvereins Eintracht in Zürich, Neumarkt 5

Nach der Niederschlagung der Revolution von 1848/49 wurden viele Vereine aufgelöst. Auf Beschluss des Frankfurter Bundestages vom 13. Juli 1854 verpflichteten sich alle Bundesländer der verschärften Verfolgung aller Arbeiter- und Arbeiterbildungsvereine.

Wie das politische Leben insgesamt, begann mit dem Nachlassen der politischen Repression auch für die Arbeiterbildungsvereine eine neue Expansionsphase. In Berlin lebte der „Handwerkerverein“ wieder auf und in Leipzig wurde 1861 der Gewerbliche Bildungsverein gegründet. In Halberstadt wurde 1862 ein Arbeiterbildungsverein ins Leben gerufen. Ähnliches geschah auch in zahlreichen anderen deutschen Städten. Diese Vereine standen der liberalen Fortschrittspartei oder ihren entsprechenden Pendants auf der Ebene der Einzelstaaten nahe. Andere knüpften an die wenige Jahre zuvor verbotenen Vereine der Allgemeinen Deutschen Arbeiterverbrüderung an.

Am Beispiel Leipzigs lässt sich die Lösung des örtlichen Arbeitervereins aus der Tradition der demokratischen bürgerlichen Bewegung hin zur (sozialdemokratischen) Arbeiterbewegung beobachten. Dort spaltete sich eine Minderheit der Mitglieder ab, die sich vom Liberalismus distanzierten und eine stärker politische Ausrichtung forderten. Diese Gruppe bildete die Keimzelle des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV). Dieser wurde am 23. Mai 1863 in Leipzig gegründet und gilt als die erste von mehreren Vorläuferparteien der späteren SPD. Nachhaltiger als im Vormärz und der Revolution von 1848/49 wurden die Arbeiterbildungsvereine zum Nukleus einer Parteibildung.

Als Gegengründung entstand ebenfalls 1863 der Vereinstag Deutscher Arbeitervereine (VDAV). Stand dieser Anfangs noch der bürgerlichen demokratischen Bewegung nahe, wandte er sich unter dem Einfluss von August Bebel und Wilhelm Liebknecht ebenfalls der sozialistischen Bewegung zu und bildete eine der Wurzeln der SDAP.

Damit war bereits der Großteil der Arbeitervereine in das Lager der Sozialdemokraten übergegangen. Zunächst hat die Parteibildung die Bedeutung der Arbeiterbildungsvereine geschwächt. Aber unter dem Sozialistengesetz von 1878 bis 1890 erhielten die Arbeiterbildungsvereine wieder Zulauf. Unter der äußerlichen Form von Gesangs-, Lese- und Sportvereinen wurde das sozialistische Gedankengut weitergegeben und der politische Zusammenhalt der Arbeiter gesichert.

 
Bodenmosaik im Eingangsbereich

Nach dem Ende des Sozialistengesetzes verloren die Arbeiterbildungsvereine ihre politische Bedeutung im engeren Sinn und wurden zu Organisationen, die ihren Schwerpunkt tatsächlich in der Bildungsarbeit hatten. Indirekt hatte ihre Ausrichtung aber durchaus auch politische Bedeutung. In den letzten Jahrzehnten des Kaiserreichs und während der Weimarer Republik waren die Arbeitervereine ein wichtiger Bestandteil des breit gefächerten sozialdemokratischen Vereinswesens. Neben der nach wie vor wichtigen allgemeinen und fachlichen Bildung, trugen sie durch Vermittlung des sozialistischen Weltbildes zur Reproduktion des Milieus über Generationen bei. In dieser Zeit hatten auch Frauen und Mädchen Zugang zu den Arbeiterbildungsvereinen. Ottilie Pohl, Rosi Wolfstein und andere engagierten sich in einem Arbeiterbildungsverein für Mädchen und Frauen. Eine besondere Bedeutung hatten die Arbeiterjugend-Bildunggsvereine für den sozialdemikratischen Nachwuchs, weil sich in ihnen Personen unter 18 Jahren organisieren konnten, denen die Mitgliedschaft in Parteien und Gewerkschaften gesetzlich verboten war.[2] Sie gründeten eigene lokale Vereine, z. B. den Jugendbildungsverein der Dresdner Arbeiterschaft, dessen Vorsitzende Wella Henker am 1. Mai 1917 eine Friedensdemonstration in Potschappel (Freital) organisierte.[3]

Arbeiterbildungsvereine nach 1933 Bearbeiten

Die Nationalsozialisten beendeten 1933 den Traditionsstrang. Nicht zuletzt die Auflösung der „historischen“ Milieus war nach 1945 der Grund, dass die Arbeiterbildungsvereine kaum noch eine nennenswerte Bedeutung hatten. Die demokratische Gesellschaft in Deutschland hat diesen Bruch nicht behoben.

Siehe auch Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Max Quarck: Die erste Frankfurter Arbeiterzeitung. In: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung. Hrsg. Carl Grünberg. Leipzig, 1925, S… 122–141. Friedrich Ebert Stiftung
  • Hilde (Hildegard) Reisig: Die Lehren vom politischen Sinn der Arbeiterbildung, ein Rückblick auf das politische Denken der deutschen Arbeiter-Bewegung von den 40er Jahren bis zum Weltkrieg. In: Friedrich Manns Pädagogisches Magazin. Heft 1372. H. Beyer & Söhne, Langensalza 1933.
  • Hans Stein: Der Amsterdamer Arbeiterbildungsverein von 1847 und die Vorläufer der modernen sozialen Bewegung in Westeuropa. In: International Review for social history. Brill, Leiden 1937, S. 105–170.
  • Herbert Steiner: Arbeiterbewegung Österreichs, 1867–1889. Beiträge zu ihrer Geschichte von der Gründung des Wiener Arbeiterbildungsvereines bis zum Einigungsparteitag in Hainfeld. (= Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft für Geschichte der Arbeiterbewegung in Österreich 2). Europa-Verlag, Wien 1964
  • Helga Grebing: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. dtv, München, 1966, ISBN 3-423-00647-1.
  • Hans Pelger: Der Osnabrücker Arbeiterbildungsverein 1849–1851. In: Osnabrücker Mitteilungen. Band 77. Meinders & Elstermann, Osnabrück 1970, S. 165–194.
  • Karl Birker: Die deutschen Arbeiterbildungsvereine 1840–1870. Colloquium-Verlag, Berlin 1973, ISBN 3-7678-0320-8.
  • Dirk H. Axmacher: Erwachsenenbildung im Kapitalismus. Ein Beitrag zur politischen Ökonomie des Ausbildungssektors in der BRD. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1974, ISBN 3-436-01837-6.
  • Adolf Brock, Hans Dieter Müller, Oskar Negt (Hrsg.): Arbeiterbildung. Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen in Theorie, Kritik und Praxis Reinbek bei Hamburg 1978, ISBN 3-499-17250-X.
  • Hilde Reisig: Der politische Sinn der Arbeiterbildung. Mit einem Vorwort von Lutz von Werder. VSA-Verlag, Berlin 1975, ISBN 3-87975-064-5.
  • Marianne Schmidt: Vor 125 Jahren gegründet. Der Dresdner Arbeiterbildungsverein (1861–1878). In: Jahrbuch 1986 zur Geschichte Dresdens. Dresden 1986, S. 63–69.
  • Jacques Grandjonc; Karl-Ludwig König und Marie-Ange Roy-Jacquemart (Hrsg.): Statuten des „Communistischen Arbeiter-Bildungs-Vereins“ London 1840–1914. (= Schriften aus dem Karl-Marx-Haus Trier. Heft 23). Trier 1979
  • Wolfgang Schröder: Leipzig – die Wiege der deutschen Arbeiterbewegung. Wurzeln und Werden des Arbeiterbildungsvereins 1848/1849 bis 1870/71. Karl Dietz Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-320-02214-3.
  • Elke Brünle: Bibliotheken von Arbeiterbildungsvereinen im Königreich Württemberg 1848–1918. (= Mainzer Studien zur Buchwissenschaft 20). Harrassowitz, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-447-06195-7.
  • Mit Brudergruß und Handschlag. 150 Jahre Arbeiterbildungsverein Stuttgart. ABV, Stuttgart 2013.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Vgl. Dieter Lent: Findbuch zum Bestand Nachlaß des Demokraten Georg Fein (1803–1869) sowie Familie Fein (1737-) ca. 1772–1924. Niedersächsische Archivverwaltung, Wolfenbüttel 1991, insbes. S. 88f., 95f. m.w.Nachw, ISBN 3-927495-02-6.
  2. Siehe hierzu am Beispiel Friedrich Ebert junior: René Schroeder: Friedrich Ebert (1894–1979). Ein Leben im Schatten des Vaters. Be.Bra Wissenschaft, Berlin 2021, ISBN 978-3-95410-272-3, S. 27–29.
  3. Frauenwiki Dresden: Wella Henker