Andreas Reize (* 19. Mai 1975 in Solothurn[1]) ist ein Schweizer Dirigent.[2] Er studierte Kirchenmusik, Orgel, Klavier, Cembalo, Chorleitung und Orchesterleitung an den Musikhochschulen in Bern, Zürich, Luzern, Basel und Graz.[3] Seit dem 11. September 2021 ist Reize der 18. Thomaskantor nach Johann Sebastian Bach.[4]

Andreas Reize, 2022

Leben Bearbeiten

Ausbildung Bearbeiten

Andreas Reize wuchs in Solothurn auf, besuchte dort die Schule und legte 1996 die Matura ab. Er war langjähriges Mitglied der Singknaben der St. Ursenkathedrale Solothurn. Er studierte Kirchenmusik mit den Hauptfächern Orgel und Chorleitung an den Musikhochschulen Bern und Zürich, zusätzlich erlangte er den Master Pädagogik Klavier und den Master Performance (Konzertdiplom) auf der Orgel. Von 1999 bis 2002 absolvierte er ein externes Studium in Orgel und Cembalo an der Schola Cantorum Basiliensis. Von 2001 bis 2004 studierte er im Aufbaustudium Orchesterleitung an der Musikhochschule Luzern. Von 2004 bis 2006 folgte über die Universität für Musik und darstellende Kunst Graz ein postgraduales Studium in Dirigieren bei Johannes Prinz in Wien, das er mit Auszeichnung abschloss. Ausserdem nahm er an Meisterkursen teil, unter anderem bei Anders Eby, Bernard Haitink, Colin Davis und Ralf Weikert. Wegweisend für seine Entwicklung waren die Begegnungen mit Nikolaus Harnoncourt am Opernhaus Zürich sowie an der Styriarte Graz.

Wirken in der Schweiz Bearbeiten

2001 gründete Reize das cantus firmus vokalensemble und consort und 2006 den cantus firmus kammerchor. Seit 2006 ist er Musikdirektor der Oper Schloss Waldegg.[5] Die Aufnahmen von Le Devin du Village und Apollo e Dafne mit cantus firmus sind beim deutschen Label cpo als CD erschienen. Die Monteverdi-Trilogie mit Orfeo 2017 und Il ritorno d’Ulisse in Patria 2019 fand mit L’incoronazione di Poppea 2021 ihren Abschluss. Von der Poppea-Produktion wurde eine Studio-Weltersteinspielung der kompletten Neapel-Fassung mit dem Label Rondeau Production produziert, die im Sommer 2022 erscheinen wird. 2019 und 2021 stand er am Pult des Theaters Biel-Solothurn und realisierte mit grossem Erfolg Dido and Aeneas von Henry Purcell und Zaïs von Jean-Philippe Rameau.[6][7]

Reize war Gastdirigent am Nationaltheater Mannheim, beim Tonhalle-Orchester Zürich und beim Schweizer Kammerchor, 2007 Dozent beim Schweizer Opernstudio. Dazu kamen Einladungen mit cantus firmus u. a. zu den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, den Bachwochen Amsoldingen und den Abonnementskonzerten des Bieler Sinfonieorchesters.

Mit den Singknaben der St. Ursenkathedrale Solothurn, die er von 2007 bis 2021 leitete,[2] erweiterte er das Programm zusätzlich zum klassischen kirchenmusikalischen Repertoire um moderne Stilrichtungen. So kamen speziell für das Schweizer Kinder- und Jugendchorfestival skjf Choreographien zu Popsongs dazu, die mit der Choreographin Rosmarie Grünig einstudiert wurden. Sie gehörten in den vielfältigen Konzertprogrammen genauso zum Standard wie die musikalische Gestaltung der Gottesdienste in der Kathedrale oder die alljährliche Aufführung des Weihnachtsoratoriums von J. S. Bach, das er 2014 und 2015 auch in der Kulturfabrik Kofmehl aufführte. Im Mai 2016 wurde er mit den Singknaben an das Europäische Jugendchorfestival Basel eingeladen. 2016 und 2018 erschienen beim Label Rondeau Production Leipzig die beiden Singknaben-CDs Now sleeps the crimson petal und Sing a cappella!. Die Weihnachts-CD wurde vom amerikanischen Chorverband ausgezeichnet.

Von 2011 bis 2021 leitete er den Gabrielichor in Bern,[8] mit dem die Mehrchörigkeit einen besonderen Stellenwert einnahm. Höhepunkte seiner Arbeit in Bern waren die Aufführungen der Marienvespern von Giovanni Rovetta, Johann Rosenmüller und Monteverdi.

Als Chordirektor des Zürcher Bach Chores[8] arbeitete er von 2011 bis 2021 am anspruchsvollen Spagat zwischen den verschiedenen Stilen von der Renaissance bis in die Neuzeit, wobei neben den Aufführungen der grossen Chorwerke mit Orchester auch dem A-cappella-Chorgesang eine besondere Bedeutung zukam. Besondere Bedeutung hatten die halbszenische Aufführung von Purcells King Arthur, die Schweizer Erstaufführung der Bach’schen Johannes-Passion in der Instrumentierung von Robert Schumann sowie Händels Messias. Eine Gastspieltournee führte ihn im Sommer 2018 in die Augustinerkirche in Erfurt, den Dom zu Meissen und in die Frauenkirche Dresden.

Wirken als Thomaskantor Bearbeiten

Am 18. Dezember 2020 wurde er vom Leipziger Stadtrat zum Leipziger Thomaskantor bestellt[9] – als erster Schweizer und als erster Katholik seit der Reformation.[10] Der bisherige Thomaskantor Gotthold Schwarz blieb noch bis Ende Juni 2021 im Amt.[9] Einige der ältesten Thomaner hatten Widerstand gegen die Wahl Reizes gezeigt und sich in einem Brief an die Stadt gewandt, was jedoch erfolglos blieb.[11]

Am 11. September 2021 trat Reize sein Amt an. Andreas Reize war bis zu seinem Amtsantritt als Thomaskantor römisch-katholischer Konfession. Seit Juli 2021 ist er Mitglied der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde von St. Thomas in Leipzig[12] und zudem Mitglied im Kirchenvorstand der Kirchgemeinde. Seit März 2022 hat er einen Lehrauftrag für Chorleitung im Kirchenmusikalischen Institut der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig inne.[13]

Im April 2022 dirigierte er seine erste Matthäuspassion in Leipzig. Man bescheinigte ihm und dem Gewandhausorchester „einen unerhörten Orchesterklang“.[14] Im darauffolgenden Juni präsentierte sich Reize erstmals einem internationalen Publikum auf dem Leipziger Bachfest. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete den Klang des Thomanerchores als „großartig, erscheint in Bestform.“[15]

Varia Bearbeiten

An der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig ist Andreas Reize seit der Ernennung am 20. Dezember 2023 als Honorarprofessor tätig.[16]

Ehrungen und Auszeichnungen Bearbeiten

Aufnahmen Bearbeiten

  • Jean-Jacques Rousseau: Le Devin du Village. cpo 2007/DRS 2.
  • G. F. Händel: Apollo e Dafne - Orchesterwerke, cpo 2011/Radio DRS 2.
  • Now Sleeps the Crimson Petal. Lieder und Motetten zur Advents- und Weihnachtszeit. Rondeau Production, Leipzig 2016.
  • Sing a cappella. Rondeau Production, Leipzig 2018.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Musikdatenbank, abgerufen am 17. Dezember 2021
  2. a b Musikalische Leitung – Singknaben. Abgerufen am 14. April 2019 (deutsch).
  3. http://andreasreize.com/assets/pdf/bio-andreas-reize-november-2020.pdf, abgerufen am 20. Dezember 2020
  4. Ein Leben für die Musik - Neuer Thomas Kantor Andreas Reize. In: Tabula Rasa Magazin. 3. Januar 2021, abgerufen am 3. Februar 2022 (deutsch).
  5. cantusfirmus vokalensemble & consort Oper Schloss Waldegg. Abgerufen am 14. April 2019.
  6. Berner Zeitung, Tamedia Espace AG: Dido im düsteren Zauberwald. ISSN 1424-1021 (bernerzeitung.ch [abgerufen am 13. April 2019]).
  7. Opern-Highlight mit speziellem Barock-Sound. Abgerufen am 13. April 2019 (Schweizer Hochdeutsch).
  8. a b Dirigent. In: Zürcher Bach Chor. 17. Mai 2018, abgerufen am 14. April 2019 (Schweizer Hochdeutsch).
  9. a b Andreas Reize wird neuer Thomaskantor (Memento vom 18. Dezember 2020 im Internet Archive) leipzig.de, 18. Dezember 2020.
  10. Neuer Thomaskantor Reize: Ein Katholik bricht die protestantische Tradition die-tagespost.de, 22. Dezember 2020.
  11. Christina Rietz: Singe den Zorn. In: Die Zeit. 26. Mai 2021, abgerufen am 1. November 2022.
  12. Katholik in Solothurn Lutheraner in Leipzig. Abgerufen am 16. April 2023.
  13. Personen & Kontakt | Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« Leipzig. Abgerufen am 11. Mai 2022.
  14. Peter Korfmacher: Der Herzschlag des Kreuzwegs. Leipziger Volkszeitung, 16./17. April 2022, S. 13.
  15. Helmut Mauró: Der neue Thomaskantor Andreas Reize eröffnet das Bachfest Leipzig. Abgerufen am 1. November 2022.
  16. Ernennung von Thomasorganist Johannes Lang und Thomaskantor Andreas Reize zu Honorarprofessoren, ThomasBrief Februar/März 2024, Druckseite 4