Absolutes Nichts

Modalbegriff in der Metaphysik

Absolutes Nichts oder schlechthinniges Nichts (nihil simpliciter) ist ein Modalbegriff der Metaphysik und Schöpfungstheologie des Johannes Duns Scotus (1266–1308), der sich auf Nichtexistentes bezieht, das nicht einmal möglicherweise existieren könnte, auch nicht als nur-im-Geiste-seiend.[1] Als „absolut nichtig“ bezeichnet Duns Scotus sogenannte incompossibilia, fiktive Objekte (Figmente), deren Wesensform eine Kombination von miteinander unverträglichen Komponenten wäre, die sich nicht einmal gedanklich zu einem Gegenstand verbinden lassen und daher prinzipiell nicht verursachbar sind.[2]

Absolutes Nichts, Einfachheit und Möglichkeit Bearbeiten

Incompossibilia sind also nicht nur im Verhältnis zu anderem (zu bestimmten Umständen, zu existenten Objekten oder zum Willen Gottes) unmöglich, sondern ihrer eigenen Wesensform nach, weshalb Duns Scotus von einer formalen Unmöglichkeit (d. i. einer Unmöglichkeit der Form nach) spricht und von einem „nihil simpliciter“, also einem Nichts-einfachhin (statt Nichts-relativ-auf-Anderes). Ausgeschlossen sind daher ihr Sein an sich, ihr Wirklich-Sein wie auch ihr Möglich-Sein und mithin ihre widerspruchsfreie Denkbarkeit.

Dagegen müsse z. B. bei Gottes Schöpfung als creatio ex nihilo das Nichts, aus welchem Gott alles Seiende erschafft, als (nur) relatives Nichts verstanden werden; ihm kann und muss durchaus die Möglichkeit, zu sein, zugeschrieben werden; Gott erwägt gleichsam die schaffbaren Objekte in seinem Geiste und schafft sie aus absoluter Freiheit, d. h. ohne absolute oder relative Notwendigkeit. Einzig Gott kommt absolute Notwendigkeit zu, umgekehrt gibt es keineswegs ein in sich Eines, das der Form nach in sich unmöglich ist; vielmehr erklärt Duns Scotus das schlechthin Nichtige eben durch Inkompossibilität von per se mehreren Komponenten einer (fiktiven) Wesensform.[3]

Duns Scotus schlägt (im Unterschied zu Aristoteles, Thomas von Aquin und vielen anderen) eine allgemeine Verwendung des Terminus ‚seiend‘ (ens) vor, der in ein und demselben Sinne (univok) sowohl von endlichen Objekten als auch z. B. vom Göttlichen ausgesagt werden könne. In dieser allgemeinen Verwendung gilt als ‚seiend‘ alles, dem eine Wesenheit (quidditas) zukommt – ob ein Objekt auch aktual existiert, ist für diese Verwendung von „seiend“ unerheblich. Zum Umfang des ‚Seienden‘ zählt daher sowohl das, was in Wirklichkeit existiert, als auch das, was möglicherweise existieren kann (possibilia). Seiendes oder ein Ding ist also alles, was nicht Nichts ist, sei es nun auch in Wirklichkeit oder nur im Geiste. Dieser Unterscheidung entspricht umgekehrt diejenige von relativem und absolutem Nichts.[4]

Rezeption Bearbeiten

Vermutlich seit dem Scotismus und dann auch in der deutschen Schulphilosophie (etwa bei Alexander Gottlieb Baumgarten, Christian Wolff) wurde außerdem unterschieden zwischen einem nihil privativum (Nichtexistentes, dessen Existenz aber möglich ist) und einem nihil negativum, das unmöglich existieren kann.[5] Auch neuzeitliche Diskussionen über die Kompossibilität von Begriffen und Substanzen, wie sie insbesondere von Leibniz weitergeführt werden, stehen in der Tradition dieser scotistischen terminologischen Unterscheidungen und ihren Anwendungen.[6]

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Vgl. Duns Scotus: Ordinatio II d. 1 q. 2: „nihil simpliciter, id est nullo modo ens, nec simpliciter, nec secundum quid“ und n. 81–84 insg.; vgl. dazu Stanislav Sousedík: Der Streit um den wahren Sinn der scotistischen Possibilienlehre. In: Ludger Honnefelder, Rega Wood, Mechthild Dreyer (Hgg.): John Duns Scotus. Metaphysics and Ethics. Brill, Leiden 1996, S. 191–204, hier 199.
  2. Vgl. z. B. Duns Scotus: Ordinatio I d. 43 q. unica n. 16 = Opera Omnia v. 6, Rom 1963, S. 359: „‚impossibile simpliciter‘ includit incompossibilia, quae ex rationibus suis formalibus sunt incompossibilia, et ab eo sunt principiative incompossibilia, a quo principiative habent suas rationes formales […]“; Ordinatio I d. 36 n. 60–61; Quodlibet q. 3 n. 2.
  3. Vgl. dazu Ludger Honnefelder: Scientia transcendens: Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit, Meiner, Hamburg 1990, 55: „Das schlechthin Nichtige (simpliciter nihil) enthält in sich immer mehrere Inhalte, so daß es nicht Nichts ist aus sich selbst, sondern aufgrund der Inhalte, die in seiner fiktiv gedachten Einheit enthalten sind und die als solche einander widerstreiten und somit jedwedem Wirklichsein dieser fiktiven Einheit widersprechen.“
  4. Vgl. dazu auch: Ludger Honnefelder Possibilien / I. Mittelalter, in: Joachim Ritter und Karlfried Gründer (Hgg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 7, 1126–1135, hier 1131 mit dem Hinweis, dass die possibilitas ad esse der „compossibilitas der formalen Gehalte“ folgt und das „einfach Mögliche“ sich auch bezieht auf die „Festigkeit (ratitudo), die dem erkannten Gehalt formal aus sich zukommt und ihn dem Sein nicht widerstreiten läßt. Vorweg zu seinem Verursachtsein besitzt dieses ens ratum im weiten Sinn keinerlei Wirklichsein, doch ist es gleichsam auf andere Weise Nichts als das schlechthinnige Nichts desjenigen, das aufgrund der Widersprüchlichkeit seiner Gehalte nicht nur nicht verursacht ist, sondern nicht einmal verursacht werden kann.“ Ludger Honnefelder: Scientia transcendens: Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit, Meiner, Hamburg 1990, 55 et passim; Allan B. Wolter: The transcendentals and their function in the metaphysics of Duns Scotus. The Catholic University of America Press, Washington, D.C. 1946, S. 150 f.
  5. Vgl. etwa Theo Kobusch: Sein und Sprache, Brill, Leiden 1984, 434.
  6. Vgl. etwa Fabrizio Mondadori: Leibniz on Compossibility: Some Scholastic Sources, in: Russell L. Friedman, Lauge Olaf Nielsen (Hgg.): The Medieval Heritage in Early Modern Metaphysics and Modal Theory, 1400–1700, Kluwer, Dordrecht 2003, 309–338, hier bes. 330.