Ľudovít Ódor

Slowakischer Wirtschaftswissenschaftler, ehemaliger Vizegouverneur der Slowakischen Nationalbank, derzeitiger Premierminister der Slowakei

Ľudovít Ódor (ungarisch Lajos Ódor bzw. Ódor Lajos; * 2. Juli 1976 in Komárno, Tschechoslowakei) ist ein slowakischer Volkswirt und Politiker. Er war Vizegouverneur der Nationalbank der Slowakei und vom 15. Mai 2023 bis zum 25. Oktober 2023 Ministerpräsident der Slowakei.

Ľudovít Ódor (2023)

Leben Bearbeiten

Ausbildung und Karriere als Ökonom Bearbeiten

Ľudovít Ódor gehört der ungarischen Minderheit in der Slowakei an.[1][2] 1999 schloss er sein Studium mit einem Master in Mathematik und Management an der Fakultät für Mathematik und Physik der Comenius-Universität in Bratislava ab.[3] Nach Abschluss seines Studiums trat er im April 1999 die Position eines Finanzmarktanalysten bei der Československá obchodná banka an, wo er zwei Jahre lang arbeitete. Anschließend wurde er Ökonom der slowakischen Ratingagentur und trat nach fast zwei Jahren als Chefökonom des Finanzministeriums der Slowakischen Republik und Direktor des Instituts für Finanzpolitik in die Staatsverwaltung ein.[4]

Im zweiten Kabinett von Mikuláš Dzurinda war Ódor als Berater im Finanzministerium wesentlich an der Erfüllung der EU-Konvergenzkriterien für die Einführung des Euro beteiligt.[5] Im Januar 2006 wurde er Mitglied des Bankenvorstands der Slowakischen Nationalbank und geschäftsführender Direktor für Forschung. Von September 2010 bis April 2012 war er Berater von Premierministerin Iveta Radičová und Finanzminister Ivan Mikloš.[4] Zudem war er in den 2010er-Jahren mehrfach als Regierungsberater bei den jeweiligen Haushaltsaufstellungen tätig.[5]

Im September 2015 wurde er stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung unabhängiger Finanzräte in der Europäischen Union und hatte diese Position bis Oktober 2017 inne. Danach war er ein Jahr und einen Monat lang Mitglied des Aufsichtsrats der Slowakischen Sparkasse und Mitglied des Rats für Haushaltsverantwortung bis Februar 2018.[4] Ľudovít Ódor ist Mitbegründer des Inštitúta finančnej politiky (Institut für Finanzpolitik), des Rada pre rozpočtovú zodpovednosť (Rat für Haushaltsverantwortung) und der Útvar hodnoty za peniaze (Preis-Leistungs-Abteilung). Durch seine Tätigkeit trug er u. a. zur Einführung einer Flat Tax, zur Reform der öffentlichen Finanzverwaltung, zum Gesetz zur Schuldenbremse und zur Reform der ersten und zweiten (privaten) Säule des Rentensystems bei.[4][5] Er war Mitglied mehrerer Kommissionen, Ausschüsse und Vereine, die sich mit Wirtschaftsthemen befassen, und hielt Vorträge bei Wirtschaftsveranstaltungen.

Seit Januar 2016 ist er Gastprofessor an der Central European University. Ľudovít Ódor ist Autor mehrerer Bücher und zahlreicher slowakischer und anderssprachiger Wirtschaftspublikationen.[6][7] Im Februar 2018 wurde Ódor, nominiert durch die ungarisch-slowakische Partei Most-Híd, Vizegouverneur der Nationalbank der Slowakei.[8] Dieses Amt legte er mit seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten nieder.[5]

Ministerpräsident Bearbeiten

Ľudovít Ódor wurde am 7. Mai 2023 nach dem Rücktrittsgesuch des Ministerpräsidenten Eduard Heger von Staatspräsidentin Zuzana Čaputová zu dessen Nachfolger bestimmt.[9] Am 15. Mai wurde er als Ministerpräsident vereidigt.[10][11] Seither führte er eine interimsweise eingesetzte Expertenregierung an, die ihre Arbeit bis zur Bildung der Regierung Fico IV am 25. Oktober 2023 nach den vorgezogenen Nationalratswahlen am 30. September 2023 fortsetze.[12] Wie sämtliche der parteilosen Mitglieder seiner Regierung kandidierte er nicht bei der Nationalratswahl 2023.[5]

Sein Kabinett musste sich wie jede neue Regierung in der Slowakei innerhalb von 30 Tagen nach der Vereidigung einer Vertrauensabstimmung im Nationalrat stellen.[13] Am 15. Juni 2023 verlor Ódors Kabinett diese Abstimmung erwartbar deutlich. Nur 34 der 136 anwesenden Abgeordneten stimmten für das vom Ministerpräsidenten vorgelegte Regierungsprogramm.[14] In der Folge wurde die Regierung Ódor von Staatspräsidentin Zuzana Čaputová beauftragt, die Regierungsgeschäfte mit beschränkten Kompetenzen weiterzuführen.[15] Am 19. Juli 2023 wurde dem Innenminister Ivan Šimko auf Vorschlag von Ľudovít Ódor durch Staatspräsidentin Zuzana Čaputová sein Mandat entzogen. Kommissarisch übernahm Ódor selbst das Amt.[16]

Veröffentlichungen Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Úspešní slovenskí Maďari o svojom živote: Problémy boli, iba keď ich umelo vytvárali politici. refresher.cz, 22. September 2021, archiviert vom Original am 10. Mai 2023; abgerufen am 11. Mai 2023 (slowakisch).
  2. Lili Zemplényi: Lajos Ódor, Slovakia’s Hungarian Prime Minister | Hungarian Conservative. Hungarian Conservative, 28. Mai 2023, archiviert vom Original am 10. Juli 2023; abgerufen am 14. September 2023 (englisch).
  3. Ľudovít Ódor (Memento vom 17. Mai 2023 im Internet Archive) in der Absolventendatenbank der Comenius-Universität Bratislava, abgerufen am 14. September 2023
  4. a b c d Životopis. Ľudovít Ódor, 2019, abgerufen am 15. Mai 2023 (slowakisch).
  5. a b c d e Jindra Kolar: Ľudovít Ódor in der Slowakei: Kalkulierte Zwischenlösung. Neues Deutschland, 10. Mai 2023, abgerufen am 16. Mai 2023.
  6. Ľudovít Ódor (Memento vom 29. September 2020 im Internet Archive) in der Datenbank des Rada pre rozpočtovú zodpovednosť (deutsch: „Rat für Haushaltsverantwortung“), abgerufen am 14. September 2023 (slowakisch).
  7. Ludovit Ódor in der Datenbank der Central European University, abgerufen am 14. September 2023 (englisch).
  8. Stephan Löwenstein: Nicht von gestern. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Mai 2023, abgerufen am 16. Mai 2023.
  9. Stephan Löwenstein: Beamtenkabinett löst Regierung Heger ab. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Mai 2023, abgerufen am 14. September 2023.
  10. Radka Klučárová: Prezidentka Zuzana Čaputová vymenovala úradnícku vládu, novým premiérom je Ľudovít Ódor. refresher.sk, 15. Mai 2023, abgerufen am 14. September 2023 (slowakisch).
  11. Slovakia gets technocratic caretaker government until September's early election. Associated Press, 15. Mai 2023, archiviert vom Original am 15. Mai 2023; abgerufen am 14. September 2023 (englisch).
  12. Die slowakische Interimsregierung tritt zurück – Präsidentin kündigt Expertenregierung an. Neue Zürcher Zeitung, 7. Mai 2023, abgerufen am 8. Mai 2023.
  13. Eine Beamtenregierung soll der Slowakei Stabilität bringen. Die Presse, 15. Mai 2023, abgerufen am 16. Mai 2023.
  14. Slowakische Expertenregierung verlor Vertrauensabstimmung. Der Standard, 15. Mai 2023, abgerufen am 14. September 2023.
  15. Prezidentka poverila Ódorov kabinet vládnutím do vzniku novej vlády. SME, 15. Juni 2023, abgerufen am 14. September 2023 (slowakisch).
  16. Daniela Hajčáková, Andrej Kuzmány: Status bol len poslednou kvapkou, Šimko ako minister skončil. Vnútro povedie Ódor. SME, 19. Juli 2023, abgerufen am 14. September 2023 (slowakisch).