Wilhelm Girnus

deutscher Literaturwissenschaftler, Redakteur und Kommunist

Wilhelm Karl Albert Girnus (* 27. Januar 1906 in Allenstein, Ostpreußen; † 10. Juli 1985 in Berlin) war ein deutscher Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, Literaturwissenschaftler, Publizist und Politiker (SED). Er war Staatssekretär für das Hoch- und Fachschulwesen der DDR.

Wilhelm Girnus (links) mit Werner Hartke (Mitte) und Robert Havemann auf einem Studentenkongreß gegen Atomrüstung 1959

Leben Bearbeiten

Girnus wurde als einziges Kind des Gerbers und späteren Beamten Karl Girnus und dessen Ehefrau Johanna geboren. Ab 1925 studierte er an der Staatlichen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe Breslau und der Höheren Gewerbeschule am Polytechnikum in Kassel, ab 1926 zudem deutsche und französische Literatur und Kunstgeschichte in Breslau, Paris und Königsberg. Im Sommer 1928 beendete er sein Studium an der staatlichen Kunstschule Berlin, absolvierte danach ein zweijähriges Referendariat und war anschließend als Lehrer tätig.

Girnus, der bereits seit 1926 Mitglied der Roten Hilfe war, trat 1929 in die KPD ein. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde er festgenommen und im KZ Quednau, Zuchthaus Brandenburg und KZ Oranienburg inhaftiert. 1934 konnte er fliehen, wurde aber 1935 erneut festgenommen und später zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach Verbüßung der Haftstrafe wurde er in das KZ Sachsenhausen verbracht und von dort mit weiteren Häftlingen im November 1942 ins KZ Flossenbürg überstellt. Auf einem Todesmarsch gelang ihm im Zuge der Evakuierung von Flossenbürg auf dem Weg ins KZ Dachau mit einem Mithäftling die Flucht.

 
Wilhelm Girnus (rechts) mit Ingenieur Werner Möhring vor der Schalttafel des neu aufgebauten Berliner Rundfunks (1949)

Nach Kriegsende leitete Girnus ab August 1945 das Höhere Schulwesen in Thüringen. Im November 1945 beteiligte er sich am Neuaufbau des Rundfunks in der Sowjetischen Besatzungszone und wurde 1946 stellvertretender Intendant beim Berliner Rundfunk. Von 1949 bis 1953 war er Redakteur der Tageszeitung Neues Deutschland.

Während des Formalismusstreites war Girnus 1951 mit einem diffamierenden Leserbrief aus Ahrenshoop an das Neue Deutschland „Lebensfeindliche Kunstdiktatur in ‚Giebichenstein‘“ Auslöser der „Knispel-Affäre“ um Ulrich Knispel und dessen Studenten der Kunstschule Burg Giebichenstein. Die in Ahrenshoop ausgestellten Studienblätter der Studenten entsprachen nicht dem gewünschten sozialistischen Realismus, sondern zeigten Ansätze der „… amerikanischen Fäulnis-Ideologie … dekadenten Dreck des Westens …“, wie in dem Brief zu lesen war.[1][2]

1953 wurde Girnus mit dem Thema „Goethe. Der größte Realist deutscher Sprache. Versuch einer kritischen Darstellung seiner ästhetischen Auffassungen.“ promoviert.[3] Von 1953 bis 1955 fungierte er als Leiter der Abteilung Schöne Literatur und Kunst im ZK der SED und von 1955 bis 1957 als Sekretär des Ausschusses für deutsche Einheit. Girnus übte vom 28. Februar 1957 bis 4. Juli 1962 das Amt des Staatssekretärs für Hoch- und Fachschulwesen aus.

Von 1962 bis 1971 folgte eine Professur für Allgemeine Literaturwissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin.[4] Ab November 1963 war er außerdem Chefredakteur der Zeitschrift Sinn und Form und blieb dies bis Dezember 1981.

Auszeichnungen Bearbeiten

Werke (Auswahl) Bearbeiten

  • Zukunftslinien: Überlegungen zur Theorie des sozialistischen Realismus. (Band 44 von Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie) Akademie-Verlag, Berlin 1974.
  • Zur „Ästhetik“ von Georg Lukács: Zweitausend Jahre Verfälschung der aristotelischen „Poetik.“ Kunst und Geschichte. Band 13 von Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie. Verlag Marxistische Blätter, 1972.
  • Johann Wolfgang von Goethe: Ausgewählte philosophische Texte: mit einem Essay „Goethes Weltbild“. (Band 2 von Philosophisches Erbe) Dt. Verl. d. Wissenschaften, 1962.
  • Aus den Papieren des Germain Tawordschus: unvollständiger Bericht über eine Lebenserfahrung. Hinstorff Verlag, Rostock 1982. (autobiographischer Roman)
  • Wer macht Geschichte?: Zur Kritik der faschistischen Geschichtsfälschung. Volk und Wissen, Berlin 1946.
  • François Marie Arouet de Voltaire. (Kurzbiographien, Leben und Schaffen). Volk und Wissen, Berlin 1947
  • Die Befreiungsstunde des prometheischen Geistes. (Band 6 von Das Hochschulwesen) Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1957.
  • Literatur in der DDR: Gespräche mit Wilhelm Girnus und Stefan Heym. (Band 4 von Europäische Ideen) Hrsgg. von Andreas W. Mytze. 1974

Literatur Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Commons: Wilhelm Girnus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Wilhelm Girnus: Lebensfeindliche Kunstdiktatur in „Giebichenstein“. Ein Ferienbrief aus Ahrenshoop. In: Neues Deutschland, Nr. 153, 6. Juli 1951, S. 5.
  2. Dorit Litt (et al.): Ulrich Knispel: der Fall Ahrenshoop; eine Dokumentation. Staatliche Galerie Moritzburg (u. a.), Halle 1994, ISBN 3-86105-091-9.
  3. Wie sie „Dr.“ wurden (XV) - Wilhelm Girnus, Dr. phil. In: Die Zeit vom 13. Februar 1970, Ausgabe 7.
  4. Volkhard Knigge: Opfer, Tat, Aufstieg - Vom Konzentrationslager Buchenwald zur Nationalen Mahn- und Gedenkstätte der DDR. In: Versteinertes Gedenken: das Buchenwalder Mahnmal von 1958, Band 2, S. 63