Sven Giegold

deutscher Politiker (Bündnis 90/Die Grünen), MdEP

Sven Giegold (* 17. November 1969 in Las Palmas de Gran Canaria, Spanien) ist ein deutscher Politiker (Bündnis 90/Die Grünen). Er ist seit Dezember 2021 Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und war davor von 2009 bis 2021 Mitglied des Europäischen Parlamentes.

Sven Giegold (2019)

Giegold ist Mitbegründer von Attac Deutschland und war beim Aufbau wie auch bei der europäischen Koordination des Netzwerkes einer der prägenden Aktivisten. Von 2001 bis 2007 war er mit kurzer Unterbrechung Mitglied im bundesweiten Attac-Koordinierungskreis, bis 2008 zusätzlich auch im Attac-Rat. Er ist Mitbegründer des Tax Justice Network, dessen Vorstandsvorsitzender er ab 2005 für einige Jahre war.

Seit September 2008 ist Giegold Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. Er kandidierte 2009 auf der Europawahlliste und war ab Juni 2009 Abgeordneter im Europäischen Parlament. Bei den Europawahlen 2014 und 2019 kandidierte er jeweils auf Platz 2 und war damit männlicher Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen für die Wahlen. Von 2014 bis 2021 war Giegold der Sprecher der deutschen grünen Abgeordneten im Europaparlament.

Leben Bearbeiten

Sven Giegold wuchs bei seiner Mutter, einer Fotolaborantin, und ihrem Partner, einem Schlosser, in Hannover auf.[1] Dort besuchte er die Herschelschule, an der er auch das Abitur ablegte.[2] Er studierte von 1991 bis 1996 Wirtschaftswissenschaften, Politik und Erwachsenenbildung in Lüneburg, Bremen und Birmingham. 1996 schloss er mit dem Abschluss Master in Wirtschaftsentwicklung und -politik in Birmingham ab. Es folgte ab 1999 ein Studium an der Universität Bremen zu Aspekten der Globalisierung, insbesondere internationaler Makroökonomie.[3] Sein Lebenslauf auf der Webseite des Bundeswirtschaftsministeriums macht für die Zeit 2000 bis 2006 und zu Studienabschlüssen keine Angaben.[4]

Politische Entwicklung Bearbeiten

Anfänge Bearbeiten

Sven Giegold engagierte sich als Schüler in der Ökologiebewegung. Er war Landesjugendsprecher der BUNDjugend in Niedersachsen und langjähriger Aktiver beim Jugendumweltnetzwerk sowie am Aufbau des Vereins Ökologisches Zentrum Verden beteiligt, der ein ökologisch-soziales Gründungszentrum betreibt. Er war Mitbegründer und geschäftsführender Vorstand der ökologischen Wohnungsgenossenschaft AllerWohnen e.G.[5]

Attac (2000–2008) Bearbeiten

Als 2000 Attac Deutschland gegründet wurde, gehörte er zu den etwa 200 Gründungsmitgliedern. Er war Mitgründer von Share e.V., dem Verein in Verden/Aller, der bis zur Gründung des Attac-Trägervereins Ende 2004 für die Attac-Finanzen zuständig war.[6] Von 2001 bis Ende 2002 betreute er mit anderen das ehrenamtliche Verdener Attac-Büro. Von 2001 bis 2004 und nach einjähriger Unterbrechung wieder von Oktober 2005 bis November 2007 war Sven Giegold im Attac-Koordinierungskreis, zuerst als einer von mehreren Vertretern des ersten Attac-Büros in Verden, seit 2003 als Vertreter der BUND-Mitgliedsorganisation. Bis Oktober 2008 vertrat er weiterhin den BUND im Attac-Rat. Er war ebenfalls Mitglied der Arbeitsgruppe Finanzmärkte und Steuerflucht von Attac Deutschland. 2002 war er Mitbegründer der europäischen Attac-Koordination der nationalen Attacs. Hierbei hielt er insbesondere den Kontakt zu Attac Frankreich.[7] Des Weiteren brachte er sich in die Initiierung und Koordination mehrerer großer Kongresse (McPlanet.com 2002, Gesteuerte Demokratie 2004, Solidarische Ökonomie 2006, Kapitalismuskongress 2009) ein. 2006 arbeitete er an den „10 Prinzipien für einen demokratischen EU-Vertrag“ mit. Im Jahr 2006 initiierte er das Projekt Europäische Attac-Sommeruniversität,[8] die im August 2008 in Saarbrücken stattfand. Häufig wurde er als ein Sprecher von Attac in deutsche Fernsehsendungen eingeladen.[9]

Giegold wurde von September 2002 bis zu seinem Parteieintritt im September 2008 durch die Bewegungsstiftung als Bewegungsarbeiter unterstützt.[10] Ab Januar 2005 war er jahrelang im internationalen Vorstand des Tax Justice Network (TJN), das er 2003 mitbegründete.[3]

Im Juni 2016 sprach sich Giegold in einem Zeitungsartikel aus Anlass der eidgenössischen Volksabstimmung in der Schweiz zur Initiative Grundeinkommen gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen aus.[11]

Sven Giegold ist seit 2017 Vorsitzender des Vorstands der European Christian Convention.

Weiteres außerparlamentarisches Engagement (seit 2004) Bearbeiten

Er war ab 2004 im Beraterkreis von Campact.[12][13]

Außerdem wurde er 2007 für sechs Jahre in die Präsidialversammlung des Evangelischen Kirchentags gewählt.[12] 2013 wurde er in dieser Funktion wiedergewählt.[14] Dort wirkte er in der Projektleitung für den Ökumenischen Kirchentag 2010 mit und initiierte das Netzwerk „Ökumenischer Kirchentag“.[12] 2015 wurde Sven Giegold in das Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags gewählt und 2021 wiedergewählt.[15][16]

2010 war Giegold einer der vielen Begründer des Instituts Solidarische Moderne (ISM)[17] und 2010[18] bis 2013[19] einer der Sprecher des Vorstands.

Am 11. Oktober 2016 hat Sven Giegold eine Petition bei change.org unter dem Titel „EU-Parlament: Lobbyismus transparent machen, schnelle Seitenwechsel verhindern!“ initiiert, die bereits nach wenigen Tagen eine fünfstellige Unterstützerzahl aufwies.[20]

Bündnis 90/Die Grünen (seit 2008) Bearbeiten

 
Sven Giegold bei der Bundesdelegiertenkonferenz 2009, auf der er erstmals für Bündnis 90/Die Grünen bei der Europawahl kandidierte.

2008 wurde Giegold durch Bündnis 90/Die Grünen NRW als Kandidat für das Europäische Parlament ins Gespräch gebracht. Im September trat Giegold den Grünen bei.[12] Gleichzeitig beendete er sein Engagement bei Attac, „um die parteipolitische Neutralität von Attac nicht zu gefährden.“[21] Innerhalb von Bündnis 90/Die Grünen engagierte er sich neben Claudia Roth als Co-Vorsitzender der Demokratiekommission[22] und arbeitete u. a. zum Thema „Soziale und Solidarische Ökonomie“. Giegold schrieb seitdem (Stand 2010) an allen Beschlüssen und Programmen der Partei zur Eurokrise mit.

2008 wurde er als Wirtschaftsexperte der Grünen von vielen Medien zur Wirtschafts- und Finanzkrise befragt und in zahlreiche TV-Sendungen eingeladen. Auf dem Bundesparteitag der Grünen im November 2008 war er maßgeblich an der Ausarbeitung des Antrags „Green New Deal“ zur Finanzkrise beteiligt, welcher auf dem Grünen-Parteitag Januar 2009 verabschiedet wurde.[23] Er besteht aus vier Teilen: einem sozial-ökologischen Investitionsprogramm, einem Programm zur Regulierung der Finanzmärkte, einer höheren Besteuerung von Kapitaleinkommen und einem Programm zum Ausgleich zwischen armen und reichen Ländern.

Auf dem Europa-Parteitag der Grünen im Januar 2009 in Dortmund wurde Giegold auf Platz 4 der grünen Europaliste gewählt.[24] Bei der Europawahl am 7. Juni 2009 erreichten die Grünen 14 Sitze im Parlament, sodass Giegold ins Parlament einzog. Im Europaparlament trat er der Fraktion Die Grünen/EFA bei, für die er in der 7. Legislaturperiode (2009–2014) Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung sowie im Sonderausschuss zur Finanz-, Wirtschafts- und Sozialkrise war. Des Weiteren war er stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten.[25]

Giegold war auf Vorschlag der Grünen Nordrhein-Westfalen Mitglied der 14. Bundesversammlung, die am 30. Juni 2010 den Bundespräsidenten wählte. Am 16. Juni 2012 wurde Giegold in den Landesvorstand der Grünen Nordrhein-Westfalen gewählt.

 
Die Spitzenkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen – Rebecca Harms und Sven Giegold – bei der Präsentation der Europawahlkampagne 2014

Auf der Bundesdelegiertenkonferenz 2014 nominierten die Parteidelegierten von Bündnis 90/Die Grünen Sven Giegold auf den zweiten Listenplatz hinter Rebecca Harms. Damit kandidierte Giegold als männlicher Spitzenkandidat der Partei. In der achten Legislaturperiode des Parlaments (2014–2019) war Giegold für seine Fraktion, wie zuvor, Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Des Weiteren war er Mitglied in beiden Sonderausschüssen zu Steuervorbescheiden und anderen Maßnahmen ähnlicher Art oder Wirkung (TAXE 1 und TAXE 2), im „Untersuchungsausschuss zur Prüfung von behaupteten Verstößen gegen das Unionsrecht und Missständen bei der Anwendung desselben im Zusammenhang mit Geldwäsche, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung“ sowie im Sonderausschuss zu Finanzkriminalität, Steuerhinterziehung und Steuervermeidung. Als stellvertretendes Mitglied war Giegold im Haushaltsausschuss, Ausschuss für konstitutionelle Fragen, sowie im Sonderausschuss Terrorismus.[26]

Für die Europawahl 2019 nominierten die Parteidelegierten Giegold erneut auf Platz 2 nach Ska Keller, sodass Giegold wieder als männlicher Spitzenkandidat der Partei kandidierte.[27] Auch in der neunten Legislatur (2019–2024) war Giegold Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Des Weiteren war er stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.[28] Nach seiner Ernennung zum Staatssekretär legte er sein Mandat am 15. Dezember 2021 nieder. Für ihn rückte Malte Gallée ins Europaparlament nach.

Im Dezember 2021 wurde er unter Bundesminister Robert Habeck zum Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ernannt.[29]

Kritik Bearbeiten

Am 29. November 2019 wurde Giegold von Twitter-Usern und dem CDU-Politiker Sven Schulze Doppelmoral vorgeworfen, als er am Flughafen Tegel landete. Zuvor hatte er am gleichen Tag im Europaparlament für die Ausrufung eines Klimanotstandes gestimmt. Giegold rechtfertigte den Flug mit einem Termin im Bundesrat.[30]

Am 11. September 2020 forderte Giegold eine strengere Regulierung von Bitcoin und Libra als „Einfallstore für Kriminelle und Betrüger“[31]. Er löste damit einen Shitstorm auf Twitter aus, und sein Blog wurde Ziel eines Hackerangriffs, der von polizeilicher Seite bestätigt wurde.[32][33][34]

Schriften Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Commons: Sven Giegold – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Alexander Marguier: Der Weltverbesserer In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 24. Mai 2009, S. 51 (auf genios.de (kostenpflichtig))
  2. 50 Jahre Herschelschule – Besuch bei meiner alten Schule. 3. November 2010, abgerufen am 12. Februar 2012.
  3. a b Taz: Biografie über Sven Giegold beim tazkongress (Memento vom 26. Dezember 2009 im Internet Archive)
  4. Lebenslauf Sven Giegold. Abgerufen am 12. Juli 2023.
  5. Homepage von Sven Giegold – Kurze (politische) Biographie (Memento vom 7. Dezember 2007 im Internet Archive)
  6. Attac Deutschland: Was ist der attac-Trägerverein e. V. ?
  7. Arbeitsgruppen des Attac-Rats – hier: AG Internationales (Memento vom 26. Dezember 2012 im Internet Archive)
  8. Europäische Sommeruniversität – European Summer University: Aufruf mit europäischer Vorbereitungsgruppe (Memento vom 4. August 2008 im Internet Archive)
  9. „Konfrontation an der Ostsee – Vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm“ (Memento vom 4. Juni 2007 im Internet Archive), Phoenix, 24. Mai 2007, mit Video der Diskussion
  10. „Attac-Gründer wird Grüner“, taz-Interview vom 26. August 2008
  11. Florian Diekmann: Warum wir das Grundeinkommen für eine gute Idee halten - oder auch nicht. In: Spiegel Online, 4. Juni 2016. Abgerufen am 5. November 2016.
  12. a b c d Projekte. Derzeit arbeite ich an folgenden Projekten. In: sven-giegold.de. Sven Giegold, 9. Oktober 2009, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 13. Dezember 2020; abgerufen am 12. Dezember 2020.
  13. Nebeneinkuenfte veroeffentlichen - Der Beraterkreis. 30. Juli 2005, archiviert vom Original am 30. Juli 2005; abgerufen am 12. Dezember 2020.
  14. Meine Biographie. 12. Oktober 2015, abgerufen am 12. Dezember 2020 (deutsch).
  15. Wahl in das Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags. 12. Oktober 2015, abgerufen am 12. Dezember 2020 (deutsch).
  16. Kirchentag mit neuen Präsidiumsmitgliedern | Deutscher Evangelischer Kirchentag. Ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 12. Dezember 2020.@1@2Vorlage:Toter Link/www.kirchentag.de (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
  17. Gründungsmitglieder des Institut Solidarische Moderne e.V., abgerufen am 20. Februar 2017
  18. Vorstand (Solidarische Moderne). 11. April 2010, archiviert vom Original am 11. April 2010; abgerufen am 12. Dezember 2020.
  19. Institut Solidarische Moderne (ISM) - Der Vorstand des Instituts. 24. Dezember 2013, archiviert vom Original am 24. Dezember 2013; abgerufen am 12. Dezember 2020.
  20. Petition bei change.org: EU-Parlament: Lobbyismus transparent machen, schnelle Seitenwechsel verhindern!, abgerufen am 16. Oktober 2016.
  21. „Mein Engagement in den Gremien habe ich mit dem Parteieintritt beendet, um die parteipolitische Neutralität von Attac nicht zu gefährden. Das ändert aber natürlich nichts an meiner Mitgliedschaft und Verwurzelung in der Globalisierungsbewegung und Attac.“ Quelle: Sven Giegold über seine derzeitigen Projekte (Memento vom 29. Juli 2009 im Internet Archive) auf bewegungswerkstatt.org.
  22. Grüne Demokratieoffensive (Memento vom 22. Februar 2019 im Internet Archive)
  23. Die Grünen setzen auf den „Green New Deal“, NRZ, 26. Januar 2009
  24. Handelsblatt: Sven Giegold: Grün hinter den Ohren vom 1. Juni 2009
  25. 7. Wahlperiode | Sven GIEGOLD | Abgeordnete | Europäisches Parlament. Abgerufen am 12. Juli 2019.
  26. 8. Wahlperiode | Sven GIEGOLD | Abgeordnete | Europäisches Parlament. Abgerufen am 12. Juli 2019.
  27. Ska Keller und Sven Giegold sind das grüne Spitzenduo für die Europawahl 2019. 10. November 2018, abgerufen am 1. April 2019.
  28. 9. Wahlperiode | Sven GIEGOLD | Abgeordnete | Europäisches Parlament. Abgerufen am 12. Juli 2019.
  29. Sven Giegold. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, abgerufen am 19. Dezember 2021.
  30. Richard Strobl: „Doppelmoral“ - Erst Klimanotstand ausgerufen, dann ab ins Flugzeug: Grünen-Politiker erntet Shitstorm, Frankfurter Rundschau, 1. Dezember 2019
  31. https://twitter.com/sven_giegold/status/1304462261612883968. Abgerufen am 24. September 2020.
  32. Christoph Bergmann: Europaparlament möchte „Bitcoin, Libra und Co.“ nochmal regulieren. In: BitcoinBlog.de - das Blog für Bitcoin und andere virtuelle Währungen. 24. September 2020, abgerufen am 24. September 2020 (deutsch).
  33. Maik Baumgärtner, Roman Höfner, Max Hoppenstedt, Ann-Katrin Müller, Jonas Schaible: Rechte Desinformationsattacken gegen die Grünen: Im Visier der Hetzer. In: Der Spiegel. 23. Juli 2021, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 27. November 2021]).
  34. Sven Giegold: Hackerangriff. In: sven-giegold.de. Abgerufen am 27. November 2021.