Stiftskirche (Baden-Baden)

Kirchengebäude in Baden-Baden

Koordinaten: 48° 45′ 46,6″ N, 8° 14′ 28,3″ O

Stiftskirche Liebfrauen

Konfession: römisch-katholisch
Patrozinium: Mariä Himmelfahrt (15. August),
St. Peter und Paul (29. Juni)
Weihejahr: erstmals vor 987
Pfarrer: Matthias Koffler (Leiter Seelsorgeeinheit)
Pfarrgemeinde: Seelsorgeeinheit Baden-Baden,
Dekanat Baden-Baden
Anschrift: Marktplatz 15,
76530 Baden-Baden
Stiftskirche von Norden, 2009
Stiftskirche v. Norden 1867, Foto von Henri-Charles Plaut

Die Stiftskirche Liebfrauen ist ein römisch-katholischer Kirchenbau in Baden-Baden, der unterhalb des Neuen Schlosses über der Altstadt thront. Zwischen 1391 und 1793 diente der Chorraum als Grablege der Markgrafen von Baden.[1] Patrone sind die Jungfrau Maria und die Apostel Petrus und Paulus.[2]

Mit ihrem 78 Meter hohen Turm prägt die Stiftskirche die Silhouette der Kur- und Bäderstadt Baden-Baden. Erstmals 987 urkundlich erwähnt, wurde sie im Laufe der Zeit mehrfach neu errichtet, umgebaut und überformt. Aus dem 13. Jahrhundert ist der romanische Turmstumpf erhalten geblieben, während das Kirchenschiff und der Chor bis 1474 im spätgotischen Stil erbaut wurden. Die barocken, welschen Turmhauben gehen auf den Wiederaufbau der Stiftskirche nach dem Stadtbrand 1689 zurück. Der Innenraum beherbergt Ausstattungsgegenstände und Kunstschätze verschiedener Epochen. Dazu gehören ein Kruzifix des Niclas Gerhaert van Leyden und ein Sakramentshäuschen mit Tabernakel aus dem 15. Jahrhundert sowie das Prunkgrab von Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden, genannt „Türkenlouis“, aus dem 18. Jahrhundert.

Obwohl das Kollegiatstift nur zwischen 1453 und 1808 bestand, hat die Bezeichnung als Stiftskirche überdauert.[3] Sie gilt als das älteste noch genutzte Gebäude der Stadt und steht unter Denkmalschutz.[4] Kirche und Kirchengemeinde gehören heute zur Seelsorgeeinheit Baden-Baden im Dekanat Baden-Baden der Erzdiözese Freiburg.

Geschichte Bearbeiten

 
Stiftskirche Turmschaft romanisch
 
Stiftskirche mit floralem Kapitell

Die im romanischen Stil erbaute Basilika liegt direkt am Florentinerberg in der Altstadt von Baden-Baden. In ihr fanden 14 Markgrafen der Markgrafschaft Baden ihre letzte Ruhestätte. Die Kirche wurde das erste Mal im 15. Jahrhundert in den damals üblichen spätgotischen Stil umgestaltet. Ihre heutige Turmspitze erhielt sie im 18. Jahrhundert. Gleichzeitig wurde der Innenraum barockisiert. Das heutige Aussehen schließlich, hat die Kirche einer im Jahr 1867 vorgenommenen Regotisierung zu verdanken.

Die Kirche ist den heiligen Aposteln Peter und Paul geweiht. Die spätgotischen Figuren der Kirchenpatrone flankieren das Hauptportal. Der Kirchturm ist in seinen vier Untergeschossen noch romanischen Ursprungs. Die achteckige Glockenstube darüber ist gotisch ausgeführt und die dreifache Haube wurde 1751 aufgesetzt. Das Kircheninnere birgt neben den bereits erwähnten Grablegen der Markgrafen, die sich im Chor befinden, noch ein bekanntes spätgotisches Sakramentshaus und ein Kruzifix von Nikolaus Gerhaert von Leyden aus dem Jahre 1467.

Eine besondere Stellung unter den Gräbern der Markgrafen nimmt das aufwendig gestaltete Epitaph des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden ein. Die Figur Ludwig Wilhelms ist umgeben von Figuren, die Weisheit, Tapferkeit und Gerechtigkeit symbolisieren.

Regotisierung 1867 Bearbeiten

Im Zuge der Regotisierung im Jahr 1867 erhielt die Kirche ein neues Dach mit zusätzlichen Oberfenstern im Mittelschiff. Gleichzeitig war eine erste Heizung eingebaut worden, welche mit heißem Thermalwasser betrieben wurde, eine wohl einmalige Kirchenheizung. Diese Anlage blieb bis in die 1950er Jahre in Betrieb. Des Weiteren wurde der Innenraum teilweise ausgemalt, die Orgel umgebaut und ein neues Geläute angeschafft.

Renovierung 1952/53 Bearbeiten

Bei einer weiteren Sanierung in den Jahren 1952/53, die hauptsächlich dem Schutz vor der andauernden Bedrohung durch die teils unter der Kirche entspringenden Thermalquellen diente, wurden die Fenster im Mittelschiff wieder zugemauert. Die Dächer der Seitenschiffe wurden wieder auf ihre ursprüngliche Höhe gesetzt. Die heute vorhandenen Buntglasfenster entwarf Willy Oeser 1953.

Innenrenovierung 1967 Bearbeiten

 
Chorraum und Volksaltar seit 1967

Der heutige Zustand des Innenraumes geht wesentlich auf eine purifizierende Renovierung in den Jahren 1966 bis 67 zurück. Im Zuge diverser Maßnahmen gegen erneut eindringendes, mineralreiches Thermalwasser wurde eine Sperre aus Hochofenzement, sowie darüber ein neuer Waschbetonfußboden eingebaut. Nur der Boden des Chorraums blieb wegen der Grabplatten im ursprünglichen Zustand erhalten. Die Bänke wurden unter Verwendung der alten barocken Seitenteile völlig neu erstellt. Unter dem Triumphbogen erstellte man einen neuen Volksaltar, wobei teilweise der Tisch des ehemaligen neugotischen Hochaltars benutzt wurde. Der bis zu diesem Zeitpunkt erhaltene Hochaltar wurde wie alle anderen noch vorhandenen Seitenaltäre und Kanzeln restlos entfernt. Relikte eines ehemaligen neugotischen Seitenaltars lagern noch in der Turmkammer. Der Innenraum wurde mit einer heute eher trist anmutenden grauen Farbe gestrichen.

In den späten 1990er Jahren begann an Haupt- und Seitenschiffen eine Sanierung und Wärmedämmung von Dachgebälk, Fenstern und Außenfassade. Diese Maßnahmen wurden ab 2006 im Bereich des Chorraums fortgesetzt und abgeschlossen.

Nach wie vor ist aufgrund des früheren Kollegiatstifts das Land Baden-Württemberg für den Bereich des Chorraums baupflichtig.

Ausstattung Bearbeiten

Grabmäler Bearbeiten

Grabmäler des Fürstenhauses Bearbeiten

Die Grabmäler des Fürstenhauses befinden sich alle im Chor. Die Reihung erfolgt mit Blickrichtung zum ehemaligen Hochaltar von links nach rechts.

 
Epitaph Ludwig Wilhelms von Baden

Eine Gedenktafel von Friedrich Weinbrenner für die Angehörigen des Fürstenhauses, deren Gebeine unter den namenlosen Grabplatten ruhen befindet sich über dem kleinen Torbogen zur Marienkapelle. Dort befindet sich auch der Hinweis, dass die Gebeine von Markgraf Bernhard I. unter den Stufen des Hochaltars liegen.

Grabmäler für „Beamte am Hof“ im Turmbereich Bearbeiten

  • Johann Anton Wandel, Cantor am Collegiatstift
  • Hans Madriba, Hofbaumeister († 1524)
  • Salome Gressin, „Guttäterin“ des Gotteshauses († 1741)
  • Karl Heinrich Orselaer, Beamter am Markgräflichen Hof († 1646)

Grabmal in der Marienkapelle Bearbeiten

  • Bernhard, erster Propst des Kollegiatstiftes († 5. Juni 1475)

Grabmal gegenüber dem Madonnenbild „Unserer lieben Frau von Petsch“ Bearbeiten

  • Franz Wolfgang Hornus, Stifter des Madonnenbildes

Kunstwerke Bearbeiten

 
Detailansicht des Sakramentshauses
 
Madonna

Steinkreuz des Nikolaus Gerhaert von Leyden Bearbeiten

Im Scheitelpunkt des Chores steht seit 1967 anstelle des Hochaltares das monumentale Steinkreuz des Nikolaus Gerhaert von Leyden aus dem Jahre 1467. Im Steinsockel ist das Wappen Ulrich des Scherers, Baders und Chirurgen eingemeißelt – vermutlich der Auftraggeber des Kreuzes. Bis 1967 stand es auf dem ehemaligen Friedhof der heute altkatholischen Spitalkirche. Das Kreuz ist inklusive des Sockels 6,47 m hoch und aus einem einzigen Kalkstein gefertigt.

Sakramentshaus Bearbeiten

Das äußerst kunstvoll gearbeitete spätgotische Sakramentshäuschen am linken Pfeiler des Chorbogens ist vermutlich um das Jahr 1490 in der Regierungszeit von Markgraf Christoph entstanden. Ein nicht eingestürztes Gewölbeteil hat es beim großen Stadtbrand 1689 wie durch ein Wunder vor der Zerstörung bewahrt. Es erreicht bei fünf Stockwerken an der Spitze der Kreuzblume eine Höhe von 12,85 m und ist mit reichem Ast- und Wurzelwerk umgeben. Die Ähnlichkeit mit einer riesigen Monstranz ist unverkennbar. Um den Tabernakel herum sind Gestalten aus dem Alten und Neuen Testament gruppiert.

St. Christophorus Bearbeiten

Die Darstellung des St. Christophorus, einer Figur aus Sandstein mit einer Höhe von 1,42 Meter, ist vermutlich um 1490 entstanden. Sie wurde an einem Turmpfeiler am südwestlichen Seiteneingang der Kirche angebracht.

Madonna Bearbeiten

Die ebenfalls aus Sandstein gehauene Madonna mit einer Größe von 1,05 Metern befindet sich in der Marienkapelle vor dem linken Seitenschiff der Kirche. Sie wurde um 1500 erschaffen und 1987 restauriert; bei dieser Restaurierung wurde ihr Zepter ergänzt.

Orgeln Bearbeiten

Die Geschichte der Orgeln reicht zurück in das 16. Jahrhundert. Bereits im Jahr 1558 wird von einer Orgelreparatur berichtet. Dieses Werk fiel dem großen Stadtbrand im Jahr 1689 zum Opfer.

Johann Andreas Silbermann-Orgeln, 1753 Bearbeiten

Im Jahre 1753 erbaute der Straßburger Orgelbauer Johann Andreas Silbermann (1712–1783) zwei neue Orgeln für die Stiftskirche. Er erstelle zum einen eine kleine Orgel für den Chor. Dieses Werk hatte vier Register (C–c3: Bourdon 8′, Prestant 4′, Doublette 2′, Fourniture III 1′). Im Zuge der Auflösung des Stifts wurde diese Orgel abgegeben. Sie ist 1944 in den Kriegswirren untergegangen.

1753 erbaute Silbermann zudem eine neue Hauptorgel mit zwei Manualen und selbstständigem Pedal. Die vorgesehenen Zungenregister werden jedoch aus Kostengründen nicht eingebaut. Am 10. November 1753 war die Orgel fertig intoniert. Der Einbau der Zungen Cromorne 8′, Trompettenbass 8′ und Trompette disk. 8′ erfolgte 1797 durch den Baden-Badener Orgelbauer Georg Hladky. Die freie Schleife der Vox humana 8′ wurde jedoch mit einer Viola da Gamba 8′ besetzt.

Im Lauf des 19. Jahrhunderts wurde das Instrument mehrfach durch die Durlacher Orgelbauwerkstatt Louis Voit umgebaut. Voit entfernte das Rückpositiv, disponierte die Orgel nach und nach um, und stellte einen freistehenden Spieltisch auf. 1904 war man mit dem mechanischen Werk nicht mehr zufrieden und verkaufte es an die St. Cyriakus Kirche Karlsruhe-Bulach. Dort befinden sich noch heute das Silbermann-Gehäuse und 49 Pfeifen des Bourdon 8′ von 1753. Das Werk wurde bei der Aufstellung von Voit pneumatisiert. Es ist in diesem Zustand noch erhalten.

Mitte der 1980er plante man, die in Karlsruhe-Bulach noch vorhandenen Reste der einstigen Silbermann-Orgel zurückzukaufen. Fehlende Teile sollten in einem mit den beiden Basler Silbermannorgeln der Prediger- bzw. Leonhardskirche vergleichbaren Projekt rekonstruiert werden. Dieses Unternehmen gelangte, wie auch ein vom Denkmalamt vorgeschlagener Neubau eines „deutsch-romantischen“ Klangkonzeptes mit Weiterverwendung aller erhaltenen Register Voits, nicht zur Ausführung.

20. Jahrhundert Bearbeiten

Die Silbermann-Orgel wurde 1905 durch einen Neubau der Orgelbaufirma Heinrich Voit & Söhne (Dulach) ersetzt. Die neue pneumatische Hauptorgel hatte 43 Register auf drei Manualen und Pedal und wurde aus Platzgründen an der Turmwand aufgehängt. Das Instrument besaß zwei Schwellwerke sowie u. a. die Register Labialoboe 8′ und Labialschalmei 8′. Diese Labialzungen hatte Voit in dieser Zeit auch in der Orgel der St.-Bonifatius-Kirche Karlsruhe (1908) gebaut. 1928 wurde das Werk von Voit noch mit acht „Barockregistern“ erweitert. Die Disposition erstellte der Heidelberger Musikdirektor Philipp Wolfrum.

Nach dem Krieg wurde das Instrument 1953–1954 nach Vorschlägen von Walter Supper (Esslingen) und des Organisten der Stiftskirche Otto Schäfer umgebaut. Es wurde auf 56 Register auf vier Manualen und Pedal erweitert. Als viertes Manual wurde auf einer Empore über einem Seiteneingang ein Fernwerk aufgestellt. Das Gehäuse von 1905 wurde nach Vorschlägen von Walter Supper umgestaltet und der Spieltisch wie schon bei der Voit-Orgel unter die Hauptorgel gestellt. Die Trakturen wurden elektrifiziert. Im Rahmen dieses Umbaus wurden etwa 60 % der Voit’schen Pfeifen eingeschmolzen. Die Arbeiten führte die Karlsruhe-Durlacher Firma Carl Hess Orgelbau für 39.810 DM aus. Für die Anzahl der neugebauten Taschenladen und Register ein sehr niedriger Preis, was sich kurze Zeit später auch bei der Fa. Hess schmerzlich bemerkbar machte.

Aktuelle Situation Bearbeiten

 
Heutige Rohlf-Orgel von 1990

Gegen Ende der 1970er Jahre wurde die Voit/Hess-Orgel zunehmend störanfällig. Eine aufwändige Generalsanierung der desolaten Hauptorgel wurde verworfen, nur das Fernwerk wurde um 1979 einer grundlegenden Überholung unterzogen. 1987 erhielt der Orgelbauer Johannes Rohlf (Neubulach) den Auftrag, unter Verwendung einiger guter Voitpfeifen eine neue Orgel zu erbauen. Die Rohlf-Orgel hat 31 Register auf drei Manualen und Pedal und verfügt über zwei Kanaltremulanten sowie das Effektregister Nachtigall. Das zeitlose Gehäuse orientiert sich an Silbermanns Dimensionen. Die Orgel wurde am 23. Dezember 1990 eingeweiht. Die Trakturen sind mechanisch. Im Frühjahr 2006 wurde die Hauptorgel gereinigt und „klanglich gemildert“.

I Rückpositiv C–g3
1. Rohrflöte 8′
2. Principal 4′
3. Koppelflöte 4′
4. Nasard 223
5. Octave 2′
6. Terz 135
7. Quinte 113
8. Mixtur III 1′
9. Cromorne 8′
Tremulant
II Hauptwerk C–g3
10. Bourdon 16′ V
11. Principal 8′
12. Gemshorn 8′ V
13. Octave 4′
14. Holzflöte 4′
15. Quinte 223
16. Octave 2′
17. Mixtur IV 113
18. Cornett V (ab c1) 8′
19. Trompete 8′
III Echo C–g3
20. Bourdon 8′ V
21. Dulciana 8′ V
22. Traversflöte 4′
23. Flageolett 2′
24. Sesquialter II 223
25. Basson-Hautbois 8′
Tremulant
Nachtigall
Pedalwerk C–f1
26. Subbass 16′ V
27. Octave 8′ V
28. Octave 4′ H
29. Mixtur IV 4′ H
30. Bombarde (Holz) 16′
31. Trompete 8′
  • Koppeln: I/II, III/II, I/P, II/P, III/P
  • Anmerkungen
V = Übernahme aus Voit (1905)
H = Übernahme von Hess (1954)

Im Jahr 1998 wurde für Gottesdienste und Orchestermessen an hohen Feiertagen im Chorraum eine elektronische Orgel mit 30 Registern aufgestellt.

 
Die Fernorgel („Evangelienorgel“), erbaut von der Fa. Carl Hess 1954

Das Fernwerk, das vom vierten Manual der Hess-Orgel aus anspielbar war, ist bis heute erhalten. Es hat 10 Register auf einem Manualwerk und Pedal. Nach knapp 20 Jahren Stillstand wurde das Fernwerk im März 2009 reaktiviert. Die elektrische Traktur ist überarbeitet und um eine zusätzliche Midi-Schnittstelle ergänzt. Alternativ kann das Fernwerk auch mittels optoelektronischer Kontakte vom dritten Manual der Rohlf-Orgel gespielt werden.

Fernwerk C–g3
1. Metallflöte 8′
2. Quintadena 8′
3. Praestant 4′
4. Koppelflöte 4′
5. Oktave 2′
6. Terzian II 135
7. Quintzimbel II 23
Fernwerkpedal C–f1
8. Gedecktbass 16′
9. Hohlflötenbass 8′
10. Dolcan 4′

Glocken Bearbeiten

Auch an den Glocken der Stiftskirche spiegelt sich der Gang der Geschichte. Der Stadtbrand am 24. August 1689, verursacht durch französische Truppen infolge des Pfälzischen Erbfolgekriegs, entzündete den Turm und ließ die Glockenbronze schmelzen.[5] Zahlreiche Unterlagen wurden durch das Feuer vernichtet, weshalb nichts über das Geläut vor dieser Zeit bekannt ist. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Stiftskirche bereits im Mittelalter über mehrere Glocken verfügte.

Im Zuge des Wiederaufbaus schuf Valentin Allgeyer aus Straßburg im Jahr 1700 die Elfuhrglocke und die Ratsglocke, die bis heute in den Stadtgeschichtlichen Sammlungen erhalten sind.[6] Danach kam es je nach Finanzlage und Bedarf immer wieder zu Neubeschaffungen. So fertigte Ludwig Gußmann aus Pforzheim 1716 die Zwölfuhrglocke.[7] Die in der Turmlaterne hängende Schied- oder Totenglocke aus dem Jahr 1728 war ein Werk von Johann Baptist Allgeyer. In den Dachreiter auf dem Chor zog schließlich 1791 das Messglöckchen ein, das Froschauer und Gachot in Rastatt geschaffen hatten, wo es bis heute überdauert hat.[8] Die Gebrüder Bayer aus Freiburg steuerten 1822 die Mariaglocke bei. Während der Regotisierung 1862 erhielt die Stiftskirche vier weitere Glocken, die Carl Rosenlächer in Konstanz gegossen hatte.

Von diesem Geläut bleib nach dem Ersten Weltkrieg lediglich die 52 Zentner schwere Christusglocke erhalten. Auf Vorschlag des Kirchenmusikdirektors Prof. Otto Schäfer ließ die Gemeinde 1935 durch die Gießerei Benjamin Grüninger in Villingen acht neue Glocken hinzugießen, die eine H-Dur-Tonleiter mit Unterterz bildeten.[9] Ebenso wurde ein Glockenstuhl samt Jochen aus Walzstahl errichtet. Im Zuge des Zweiten Weltkriegs musste das Geläut 1942 bis auf die kleinste Glocke abgegeben werden.

Nach Kriegsende wurde Otto Schäfer erneut mit der Beschaffung eines Geläuts beauftragt. Die Wahl fiel auf die Gießerei Albert Junker, die 1948 in Brilon ein neunstimmiges Großgeläut goss.[10] Das Gesamtgewicht beträgt mehr als 13 Tonnen, die Disposition wurde vom Grüninger-Geläut übernommen. Die Glockeninschriften verfasste der Baden-Badener Dichter Reinhold Schneider. Das aus abgewrackten U-Booten der Kriegsmarine stammende, von den Stadtwerken beschaffte Elektrolytkupfer kostete 240.000 Reichsmark. Die Silizium-Bronze-Legierung ist auch unter dem Namen „Briloner Sonderbronze“ bekannt. Der Guss mit Überführung belief sich nach der Währungsreform auf rund 30.000 Deutsche Mark. Die Glocken wurden am 17. Oktober 1948 durch Stadtpfarrer Hugo Heiler auf dem Marktplatz geweiht, das Erstgeläut war sechs Tage darauf. Der vorhandene Walzstahlglockenstuhl von 1935 wurde wiederverwendet. Aufgrund ihres schönen Klangs wurden die Glocken oft als „Reklamegeläut“ Junkers bezeichnet.

Das Messglöckchen im Dachreiter über dem Chor erhielt 2007 eine Läutemaschine. Im Zuge der umfassenden Kirchenrenovierung zwischen 2020 und 2023 wurde auch der Turm saniert, die Junker-Glocken bekamen dabei neue Klöppel und Holzjoche.[11]

Nr. Name Gussjahr Gießer und Gussort Gewicht (kg) Durchmesser (mm) Schlagton Inschrift
1 Christ-König 1948 Albert Junker, Brilon 4.250 1.980 gis0 −3 CHRIST-KÖNIG. / ES HERRSCHT DER HERR. SEIN REICH BRACH AN / DES FEINDES ZEICHEN SCHWANKT UND FÄLLT. / IN CHRISTUS SEI DER TAG GETAN, / DER KÖNIG ÜBERSIEGT DIE WELT.
2 Ave Maria 1948 Albert Junker, Brilon 2.502 1.670 h0 +1 AVE MARIA. / ICH RUFE, DIE DAS HEIL GEBRACHT, / ALS SIE DES ENGELS WORT GEGLAUBT. / VERTRAUT EUCH GLÄUBIG IHRER MACHT, / DIE NIEDERTRITT DES DRACHEN HAUPT.
3 St. Josef 1948 Albert Junker, Brilon 1.796 1.480 cis1 −3 ST. JOSEF. / GEHORSAM KÜND ICH, DER NIE WANKT, / IN LEID UND STERBEN SCHUTZ UND HORT. / AM AUFRUHR IST DIE WELT ERKRANKT: / BEFEHLT EUCH IN DAS EWIGE WORT!
4 St. Petrus 1948 Albert Junker, Brilon 1.317 1.320 dis1 ±0 ST. PETRUS. / DEM FELSEN EHRE, DARAUF GOTT GEBAUT! / FEST STEHT DAS HAUS, WIE AUCH DIE HÖLLE FLAMMT! / GOTT SCHÜTZE, DEM ER PETRI AMT VERTRAUT! / SANKT PETER LEBT IN IHM UND EHERN WÄHRT DAS AMT.
5 St. Paulus 1948 Albert Junker, Brilon 1.116 1.250 e1 +1 ST. PAULUS. / GEIST, DER WIE BLITZESLEUCHTEN SCHEINT, / DER PAULUS IN DIE HERRLICHKEIT ERHOB. / DIE VÖLKER ALLE WECKE DIR ZUM LOB; / SEI DU DER FRIEDE, DER UNS EINT!
6 St. Bernhard 1948 Albert Junker, Brilon 788 1.110 fis1 ±0 ST. BERNHARD. / SANKT BERNHARD, SCHWERT UND LILIE, HALTE WACHT! / DIE REINSTE MACHT IST AUCH DIE STÄRKSTE MACHT!
7 St. Elisabeth 1948 Albert Junker, Brilon 579 990 gis1 +2 ST. ELISABETH. / DER ARMEN TROST, DER HEIMATLOSEN STERN, / O SEGNE UNS ZUR ARMUT UNSRES HERRN!
8 St. Anna 1948 Albert Junker, Brilon 393 880 ais1 +5 ST. ANNA. / WENN ALLE MÜTTER SICH ZUR HEILIGEN MUTTER FINDEN, / WIRD GOTTES REICH DIE ERDE ÜBERWINDEN!
9 Schutzengel 1948 Albert Junker, Brilon 331 830 h1 +4 SCHUTZENGEL. / ZU DEINEM STARKEN ENGEL HÖR MICH FLEHN: / ER STEHT VOR GOTT, WIE DU WIRST VOR IHM STEHN!
10 Messglöckchen 1791 Froschauer und Gachot, Rasatt ca. 50 310 d3 SANCTE PETRE / ORA PRO NOBIS / GEGOSSEN VON / FROSCHAUER UND GACHOT / ZU / RASTATT 1791.

Inschrift um die Schulter der Glocken 1 bis 9: GEGOSSEN, DA PIUS XII. PAPST IN ROM, WEIHBISCHOF WILHELM BURGER KAPITULARVIKAR IN FREIBURG, HUGO HEILER STADTPFARRER IN BADEN-BADEN WAR, VON ALBERT JUNKER IN BRILON 1948.[12][13]

Literatur Bearbeiten

  • Stiftskirche Baden-Baden. 3. Auflage. Schnell & Steiner, Regensburg 2002, ISBN 3-7954-4254-0.
  • Ilas Bartusch: Die Wiederherstellung der markgräflich badischen Grablege in der Stiftskirche der Stadt Baden nach ihrer Zerstörung von 1689, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 157 (2009), S. 249–300.
  • Stiftskirchengemeinde Baden-Baden (Hrsg.): Die Orgel der katholischen Stiftskirche Unserer lieben Frau Baden-Baden, Festschrift zur Einweihung der neuen Rohlf-Orgel, 4. Adventssonntag, 23. Dezember 1990. Baden-Baden 1990.
  • Stiftskirchengemeinde Baden-Baden (Hrsg.): 50 Jahre Geläute der Stiftskirche Liebfrauen in Baden-Baden 1948–1998. Baden-Baden 1998, OCLC 315224792.
  • Stiftskirchengemeinde Baden-Baden (Hrsg.): 1000 Jahre Kirche in Baden-Baden 987–1987. Baden-Baden 1987.

Weblinks Bearbeiten

Commons: Stiftskirche Baden-Baden – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen Bearbeiten

  1. Stiftskirche Baden-Baden. Verlag Schnell & Steiner GmbH, München 1991, S. 3.
  2. Stiftskirche Baden-Baden. Verlag Schnell & Steiner GmbH, München 1991, S. 2.
  3. Kollegiatsstift Baden-Baden. www.leo-bw.de. Aufgerufen am 25. März 2024.
  4. Sanierung der Stiftskirche. www.bnn.de. Aufgerufen am 25. März 2024.
  5. Stiftskirche Baden-Baden. Verlag Schnell & Steiner GmbH, München 1991, S. 6.
  6. Thurm, Sigrid; Leusch, Frank: Deutscher Glockenatlas, Band 4: Baden. Deutscher Kunstverlag, München 1985, S. 118–119.
  7. Die Glocken der katholischen Stiftskirche in Baden-Baden. Katholisches Stadtpfarramt Stiftskirche, Baden-Baden 1948, S. 5
  8. Meine Stiftskirche – Die Glocken. www.meine-stiftskirche.de. Aufgerufen am 24. März 2024.
  9. Die Glocken der katholischen Stiftskirche in Baden-Baden. Katholisches Stadtpfarramt Stiftskirche, Baden-Baden 1948, S. 6
  10. Die Glocken der katholischen Stiftskirche in Baden-Baden. Katholisches Stadtpfarramt Stiftskirche, Baden-Baden 1948, S. 6–8
  11. Meine Stiftskirche – Die Glocken. www.meine-stiftskirche.de. Aufgerufen am 24. März 2024.
  12. Glockeninspektion Erzbistum Freiburg: Kath. Pfarrkirche Liebfrauen in Baden-Baden
  13. Quelle für die Namen und Inschriften: BADEN-BADEN Stiftskirche Liebfrauen auf youtube.com