Der Begriff starrer Gang (auch „starre Nabe“ oder „Starrlauf“ genannt) stammt aus dem Radsport und bezeichnet das Nichtvorhandensein eines Freilaufs an einem Fahrrad. Fahrräder ohne Freilauf werden im Bahn- und Hallenradsport sowie von Fahrradkurieren und beim Wintertraining von Rennradfahrern auch auf der Straße eingesetzt.

Fahrrad mit starrem Gang.
Rennrad mit starrem Gang
Bahnrad mit starrem Gang

Ab der Jahrtausendwende kamen Rennräder mit starrem Antrieb in Großstädten in Mode. Sie werden auch „Fixie“ genannt (von englisch fixed gear). Bereits in den 1980er Jahren hatten Fahrradkuriere in New York begonnen, Bahnfahrräder auf der Straße einzusetzen. Aufgrund der in der Innenstadt ohnehin häufigen Ampelstopps lässt sich die begrenzte Höchstgeschwindigkeit des starren Antriebs verschmerzen. Die ständige Ankopplung der Beine zum Antrieb wird als sportliche Herausforderung verstanden und führte zur Entwicklung neuer Bewegungsmuster, etwa beim Abstieg vom Fahrrad.[1] Durch leichtes Anheben des Hinterrades bei gleichzeitigem energischem Durchstrecken eines Beins lässt sich eine Vollbremsung mit blockiertem Hinterrad ausführen.

Im Kunstradsport ermöglicht der starre Gang das Rückwärtsfahren und erleichtert das Balancieren mit angehobenem Vorderrad. Im Bahnradsport, wo Rennräder mit starrem Gang eingesetzt werden, sind die im Straßenrennsport üblichen Rennräder nicht zugelassen.[2]

Der starre Gang wird aus trainingsmethodischen Gründen (Zwang zu hoher Trittfrequenz, bessere Kontrollierbarkeit des gleichmäßigen Vortriebs = „runder Tritt“) in der Vorbereitungsperiode auch beim Straßentraining eingesetzt. Im Straßenrennen ist er dagegen nicht zugelassen, da die zwangsläufig mitdrehenden Pedale bei starker Kurvenlage und beim Fahren im engen Pulk zu Unfällen führen können.

Auch wenn bei Geländefahrten Äste, Steine oder andere Hindernisse überwunden werden müssen, ist das nach unten drehende Pedal hinderlich. Selbst beim Auffahren auf eine hohe Bordsteinkante kann es zum Bodenkontakt kommen.

Fahrradtechnik Bearbeiten

 
Nabenschaltung mit starrem Gang

Fahrräder mit starrem Antrieb werden üblicherweise als Eingangrad ohne Gangschaltung eingesetzt. Eine Kettenschaltung ist wegen des dafür nötigen federnden Kettenspanners nicht möglich. Nabenschaltungen verfügen üblicherweise entweder über eine Rücktrittbremse oder einen integrierten Freilauf. Speziell für Fahrräder mit starrem Antrieb wird die Nabenschaltung SunRace bzw. Sturmey-Archer S3X angeboten. In den 1950er Jahren war die 3-Gang-Nabenschaltung ASC ohne Freilauf erhältlich. Alternativ ist auch die Verwendung eines im Innenlager integrierten Getriebes möglich.[3] Fahrräder mit starrem Gang können nicht mit Rücktrittbremse ausgestattet werden.

 
Ausfallenden an einem Bahnrad. Die Achse kann waagerecht verschoben werden, die Kette wird über die Schrauben gespannt.

Da die Verwendung eines federnden Kettenspanners zu einem großen „Spiel“ im Antrieb und dem häufigen Abspringen der Kette führen würde, muss die Kettenspannung entweder durch Drehung eines exzentrisch gelagerten Innenlagers (überwiegend nur bei Tandems üblich) oder durch das Verschieben des Hinterrads in einem waagerechten oder schrägen Ausfallende eingestellt werden. Sportliche Fahrradrahmen zur Verwendung mit Kettenschaltung verfügen heute meist über senkrechte Ausfallenden und sind daher für einen starren Antrieb nicht geeignet.

Falls das Fahrrad nicht über zwei zusätzliche Handbremsen verfügt, ist die sorgfältige Einstellung der Kettenspannung sicherheitsrelevant. Denn sollte die Kette abspringen, so ist es nicht mehr möglich, das Fahrrad über die Antriebskurbeln abzubremsen. Üblicherweise bestehen am Kettenblatt leichte Abweichungen zum genauen Rundlauf. Dadurch ist es oft nicht möglich, eine Einstellung zu finden, bei welcher die Kette weder zu stark durchhängt, noch sich beim Drehen der Kurbeln an anderer Stelle verspannt. Falls das Kettenblatt nicht fest vernietet ist, empfiehlt es sich, die vier oder fünf Befestigungsbolzen des Kettenblatts etwas zu lösen und durch Spannen der Kette und anschließendes Drehen der Kurbeln herauszufinden, an welcher Stelle der Antrieb verspannt. An diesem Punkt kann durch leichte Schläge auf die Kette mit einem Schraubenschlüssel erreicht werden, dass sich das Kettenblatt leicht verschiebt. Nun dreht man die Kurbeln weiter, bis sich die Kette erneut spannt und fährt so fort, bis das Kettenblatt zentriert ist.[4]

Geschichte Bearbeiten

Die ersten Fahrräder hatten weder einen Freilauf noch eine Kette. Die anfangs gebräuchlichen Hochräder haben gewissermaßen einen starren Gang. Ihre Entfaltung entspricht genau einem Reifenumfang (außen) pro Kurbelumdrehung.

Das Sicherheitsniederrad ab 1880 führte dann eine Kette mit verschieden großen Zahnrädern ein, und kurze Zeit später wurden Freilauf und 1898 die dadurch mögliche Rücktrittbremse erfunden. Die Gangschaltung in der Hinterradnabe mit Freilauf wurde 1902 erfunden und fand ab 1924 nennenswerte Verbreitung. Die Eingangräder mit starrem Gang wurden für Alltagsräder hernach weniger nachgefragt. Im Rennsport blieb der starre Gang allerdings erhalten.

Bis in die 1950er Jahre existierten Hinterradnaben, die auf der Bahn und der Straße benutzt werden konnten. Sie hatten auf einer Seite einen starren Gang und auf der anderen Seite einen 3-fach-Zahnkranz mit Freilauf. Auch die bis in die 1980er Jahre verwendeten Hinterradnaben konnten ohne große Mühe auf starren Gang umgerüstet werden, weil der Freilauf in den Zahnkranz integriert war. Der Zahnkranz mitsamt Freilauf konnte somit leicht gegen ein starres Ritzel ausgetauscht werden.

Mit dem Aufkommen des in die Nabe integrierten Freilaufs existiert diese einfache Möglichkeit nicht mehr. Weitere Verbesserungen an den Gangschaltungen, wie Indexschalthebel (1960er Jahre) und bessere Kettenschaltung (1980er Jahre) führten zu einem Aussterben des starren Gangs für Alltagsfahrräder. Der Gebrauch des starren Gangs auf der Straße war dann nur noch unter Verwendung der weiterhin produzierten Bahnrad-Naben möglich.

Unter Fahrradkurieren blieben Eingangräder mit starrem Gang erhalten, die damit auf Verschleißteile verzichten konnten. Diese führten Alleycat-Rennen auf der Straße durch, die ab 2000 in organisierten Veranstaltungen der Öffentlichkeit bekannt wurden. In der zweiten Hälfte der 2000er begannen Hersteller, aus dieser Subkultur entlehnte Technik für den Alltagsgebrauch zu produzieren, die allgemein als „Fixie“-Fahrräder bekannt wurden.[5]

 
Flip-Flop-Nabe

Mit einer Flip-Flop-Nabe kann zwischen starrem Gang und Freilauf gewechselt werden. Diese besitzt beidseitig jeweils ein Ritzel, welches einseitig starr und auf der anderen Seite über einen Freilauf mit der Nabe verbunden ist. Für den Wechsel zwischen starrem Gang und Freilauf muss das Hinterrad herausgenommen und umgedreht wieder eingesetzt werden. Alternativ kann an der speziellen Nabe „SRAM Torpedo-Singlespeed“ die Umschaltung zwischen Freilauf und starrem Gang mittels eines Schraubendrehers vorgenommen werden. Ein Umschalten während des Fahrens ist aus Sicherheitsgründen nicht vorgesehen.

Rechtliches Bearbeiten

Deutschland Bearbeiten

In Deutschland ist strittig, ob der starre Gang selbst als Fahrradbremse gilt.[6][7] Nach der deutschen Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung müssen Fahrräder über zwei unabhängige Bremseinrichtungen verfügen.[8]

Österreich Bearbeiten

Im November 2017 wurde vom österreichischen Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass der starre Gang nicht als Bremseinrichtung anzusehen ist. Daher entspricht ein Fahrrad, das neben dem starren Gang nur über eine eigenständige Vorderradbremse verfügt, nicht den Anforderungen der österreichischen Fahrradverordnung.[9]

Vor- und Nachteile Bearbeiten

Vorteile Bearbeiten

  • Direkte Kraftübertragung, nur wenige bewegte Bauteile befinden sich zwischen Fahrer und Straße, dadurch geringfügig höherer Wirkungsgrad (1–2 %)
  • Niedriges Gewicht der Kraftübertragung
  • Pflege, Wartung und Reparatur von Komponenten der Gangschaltung entfällt
  • Rückwärtsfahren möglich

Nachteile Bearbeiten

  • Es sind Bodenberührungen des kurveninneren Pedals möglich, da man beim Befahren der Kurven weitertreten muss. Ebenso beim Überfahren von Hindernissen.
  • Das Bremsen mit den Pedalen kann in Gefahrensituationen nicht ausreichend sein.
  • Eine Anpassung der Trittfrequenz an Steigung, Gefälle und sonstige Umstände ist ebenso wenig möglich, wie das Ausruhen der Beine beim freien Rollen des Fahrrads.
  • Aufgrund fehlender Schaltung wird insbesondere bergauf und beim Anfahren häufig mit höherem Drehmoment getreten, wodurch Kette, Kettenblatt und Zahnkranz etwas schneller verschleißen.[10]

Weblinks Bearbeiten

Commons: Fahrräder mit starrem Gang – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Sheldon Brown: Fixed Gear Bicycles for the Road, Abschnitt Mounting Technique und Dismounting Technique
  2. Wettkampfbestimmungen für den Bahnrennsport. (PDF) Ausgabe 04/2011. In: rad-net.de. Bund Deutscher Radfahrer e.V., April 2011, S. 53, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 20. Dezember 2013; abgerufen am 16. November 2022: „Bahnmaschinen mit Freilaufzahnkränzen, Bremsen oder Schaltungen (...) sind nicht zugelassen“
  3. Sheldon Brown: Articles about Fixed Gear and Singlespeed Cycling and Equipment
  4. Sheldon Brown: Fixed Gear Bicycles for the Road, Abschnitt „Centering Chainwheels“
  5. Andrew Edwards, Max Leonard: Fixed: Global Fixed-Gear Bike Culture. Laurence King Publishing, London 2009, ISBN 978-1-85669-645-6, S. 6.
  6. Zur rechtlichen Bewertung aus dem Blog eines Berliner Fahrradladens vom 6. August 2009
  7. Das Amtsgericht Bonn beurteilte 2009 in einem Fall den starren Gang als eine Bremse, vgl. Aktenzeichen: AG Bonn 337 Js 1152/09. Hierzu: Der Spiegel vom 6. August 2009
  8. § 65 Abs. 1 StVZO
  9. Österreichischer Verwaltungsgerichtshof – „Fixie“-Fahrrad nur mit „starrem Gang“ und Vorderbremse nach Fahrradverordnung unzulässig. Abgerufen am 4. Dezember 2017.
  10. Michael Gressmann: Fahrradphysik und Biomechanik, Delius Klasing, 11. Auflage, ISBN 978-3-7688-5222-7, S. 34f Drehmoment an der Kurbel