Reinhart Wolff

deutscher Erziehungswissenschaftler und Soziologe

Reinhart Wolff (* 20. Oktober 1939 in Battenberg (Eder)) ist ein deutscher Erziehungswissenschaftler und Soziologe. Er lehrte bis zu seiner Emeritierung die Fächer Sozialarbeit und Sozialpädagogik, Erziehungswissenschaft, Soziologie mit Schwerpunkt Jugendhilfe, Kinderschutz, Hilfesystemforschung, Qualitätsentwicklung, Handlungsmethoden und Selbstreflexion in der Sozialen Arbeit an der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin.

Leben und Werk Bearbeiten

Reinhart Wolff wuchs im Zweiten Weltkrieg in einer bildungsbürgerlichen Familie mit vier Geschwistern auf dem Lande auf, studierte in den 1960er und 1970er Jahren und war dann als junger Erziehungswissenschaftler und Soziologe an der Freien Universität Berlin tätig Dort hatte er im Jahr 1966 promoviert, 1976 erfolgte die Habilitation.[1] Wolff engagierte er sich in der 68er-Bewegung und beteiligte sich an den Versuchen mit neuer, antiautoritärer Erziehung. Er ist Vater von zwei Söhnen.

Wolff war ein bekannter Vertreter der antiautoritären Kinderladenbewegung und gab zusammen mit Lutz von Werder einige für die Entwicklung der antiautoritären Erziehung wichtige Grundlagenschriften heraus. Mitgewirkt hat Wolff auch in dem Film von Gerhard Bott: Erziehung zum Ungehorsam – ein bedeutsames Dokument antiautoritärer Erziehung, das in vielen Ausbildungsstätten für Erzieher und Sozialpädagogen Beachtung fand.

Wolff gehörte zu jenen Wissenschaftlern, die sexuelle Verhältnisse zwischen Kindern und Erwachsenen nicht grundsätzlich ablehnten.[2] Er konzipierte für den Deutschen Kinderschutzbund eine Strategie „Hilfe statt Strafe“ für Täter von sexuellem Missbrauch von Kindern. Diese Strategie gründete auf einem „familienorientierten Ansatz“, der die gemeinsame Therapie von Tätern und Opfern an die Stelle der Bestrafung der Täter setzen wollte. In der Zeitschrift Sozial Extra kritisierte er 1990 in einem zusammen mit seiner Frau verfassten Artikel die Kampagnen gegen Kindesmissbrauch: „Der ganze Eifer richtet sich darauf. Normen einer desexualisierten Kindheit wieder aufzurichten.“[3]

1994 beschrieb er „sexuelle Anmache eines Kindes oder Jugendlichen“, „Exhibitionismus“ wie zum Beispiel „Zeigen von Brust, Penis, Vagina /Masturbation vor einem Kind“ sowie Voyeurismus als „Vorformen der sexuellen Kindesmißhandlung“ und schätzte diese wie folgt ein: „Insgesamt: Keine bis geringe Traumatisierung.“[4]

Das Handbuch Sexueller Mißbrauch gab er zusammen mit Katharina Rutschky als Ergebnis eines Kongress heraus.[5] Sowohl auf dem Kongress als auch im Buch gaben Wolff und Rutschky Helmut Kentlers Thesen, der heute als ein Hauptakteur pädophiler und auch pädokrimineller Netzwerke gilt[6], Raum. In dem Werk schildert Kentler in seinem Beitrag, dass „sich päderastische Verhältnisse sehr positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Jungen auswirken können…“.[7]„Echte Päderasten“ seien keine Schädiger: „Schädigungen entstehen im allgemeinen nicht, hingegen ist der Nutzen oft groß.“[8] Dabei behauptet Kentler, dass etwa ab dem „12., 13., 14. Lebensjahr von einverständlichen sexuellen Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern und Jugendlichen gesprochen werden könne“; unter einem „echten Päderasten“ versteht Kentler „hier einen Mann, der seine sexuelle Festgelegtheit kennt, akzeptiert und lebt“ und dabei angeblich keinerlei – auch keine strukturelle – Gewalt anwende.[9] „Echte Pädophile“ beschreibt Kentler als „hochsensibel gegen Schädigungen von Kindern“, bei sexualisierter Gewalt, die von Vätern ausgeht, resümiert Kentler: „Es ist im allgemeinen nicht der eigentliche sexuelle Mißbrauch, worunter Jungen bei ihren Vätern zu leiden haben, sondern es ist die Aggressivität…“[10]

Der Akademische Senat der Alice Salomon Hochschule, an der Wolff zuletzt lehrte, widmete sich am 12. Dezember 2023 der Aufarbeitung der Hochschulaktivität rund um die Debatte „Missbrauch mit dem Missbrauch“.[11]

Beim Streit um das Jugendfreizeitprogramm Story Dealer engagierte Wolff sich vehement für dessen angegriffenen Veranstalter Hans Geißlinger.[2] Gegnern des Programms wie dem Potsdamer Erziehungswissenschaftler Detlef Knopf warf er vor, ihre Kritik nicht durch empirische Erkenntnisse untermauern zu können. Beim Streit um dieses Programm ginge es nicht um die „Story-Dealer“, sondern um den Umgang mit sexueller Misshandlung. Es gebe eine Kampagne gegen die Gruppe, weil ein Mitglied persönlich von dieser Diskussion betroffen sei.[12]

Auszeichnungen Bearbeiten

Herausgeberschaft Bearbeiten

  • Siegfried Bernfeld: Antiautoritäre Erziehung und Psychoanalyse. Ausgewählte Schriften. 3 Bände. Herausgegeben von Lutz von Werder und Reinhart Wolff. März, Frankfurt am Main 1969.
  • Otto Rühle: Zur Psychologie des proletarischen Kindes. Herausgegeben von Lutz von Werder und Reinhart Wolff. März, Frankfurt am Main 1969. Fischer Taschenbuch, Frankfurt 1975, ISBN 3-436-02068-0.
  • Edwin Hoernle: Grundfragen proletarischer Erziehung. Herausgegeben von Lutz von Werder und Reinhart Wolff. März, Frankfurt am Main 1969. 2. Auflage 1970, 3. Auflage 1971.
  • Schulkampf. Dokumente und Analysen Band 1. Herausgegeben von Lutz von Werder und Reinhart Wolff. März, Frankfurt am Main 1970.
  • Handbuch Sexueller Mißbrauch. Herausgegeben von Reinhart Wolff und Katharina Rutschky. Berlin 1994, Ingrid Klein Verlag, Hamburg, 1. Auflage 1994, ISBN 3-89521-021-8.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Wolff-Deutsches Kinderbulletin. Abgerufen am 8. Oktober 2018.
  2. a b Jens Anker: „Phantastische Reisen“ unter Verdacht. Berliner Morgenpost, 3. Juni 2015, archiviert vom Original am 3. September 2023; abgerufen am 3. September 2023.
  3. Falsche Kinderfreunde. EMMA, 1. September 1993, archiviert vom Original am 12. November 2013; abgerufen am 3. September 2023.
  4. Reinhart Wolff: Der Einbruch der Sexualmoral. In: Reinhart Wolff, Katharina Rutschky (Hrsg.): Handbuch Sexueller Mißbrauch. 1. Auflage. Ingrid Klein Verlag, Hamburg 1994, ISBN 3-89521-021-8, S. 83.
  5. Katharina Rutschky, Reinhart Wolff: Vorwort. In: Reinhart Wolff, Katharina Rutschky (Hrsg.): Handbuch Sexueller Mißbrauch. 1. Auflage. Ingrid Klein Verlag, Hamburg 1994, S. 8.
  6. Meike S. Baader, Carolin Oppermann, Julia Schröder, Wolfgang Schröer: Ergebnisbericht „Helmut Kentlers Wirken in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe“. 2020, S. 49, doi:10.18442/129 (uni-hildesheim.de [abgerufen am 18. Dezember 2023]).
  7. Helmut Kentler: Täterinnen und Täter beim sexuellen Mißbrauch von Jungen. In: Reinhart Wolff, Katharina Rutschky (Hrsg.): Handbuch Sexueller Mißbrauch. 1. Auflage. Ingrid Klein Verlag, Hamburg, S. 149.
  8. Helmut Kentler: Täterinnen und Täter beim sexuellen Mißbrauch von Jungen. In: Reinhart Wolff, Katharina Rutschky (Hrsg.): Handbuch Sexueller Mißbrauch. 1. Auflage. Ingrid Klein Verlag, Hamburg, S. 150.
  9. Helmut Kentler: Täterinnen und Täter beim sexuellen Mißbrauch von Jungen. In: Reinhart Wolff, Katharina Rutschky (Hrsg.): Handbuch Sexueller Mißbrauch. 1. Auflage. Ingrid Klein, Hamburg 1994, S. 147, 149.
  10. Helmut Kentler: Täterinnen und Täter beim sexuellen Mißbrauch von Jungen. Hrsg.: Reinhart Wolff, Katharina Rutschky. 1. Auflage. Handbuch Sexueller Mißbrauch. Ingrid Klein Verlag, Hamburg, S. 151, 152.
  11. Akademischer Rat der Alice Salomon Hochschule: Einladung zum öffentlichen Teil der Sitzung des Akademischen Rats am 12.12.2023. Abgerufen am 18. Dezember 2023.
  12. Hella Kloss: Streit um „Story-Dealer“ kocht weiter. taz, die Tageszeitung, 13. Mai 1993, archiviert vom Original am 16. November 2018; abgerufen am 3. September 2023.
  13. Info auf bildungsklick.de.

Weblinks Bearbeiten