Postthrombotisches Syndrom

Krankheit
Klassifikation nach ICD-10
I87.0 Postthrombotisches Syndrom
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Als postthrombotisches Syndrom (PTS) bezeichnet man die Auswirkungen des dauerhaften Schadens am tiefen Venensystem des Armes oder des Beines nach einer abgelaufenen Phlebothrombose. Während der Auflösung des Gerinnsels findet an der Venenwand ein Entzündungsprozess statt – aber ohne Bakterien oder Viren. Diese Reaktion ist ein Selbstheilungsversuch des Körpers und macht die Venen wieder durchgängig. Dabei werden jedoch häufig die Venenklappen im betroffenen Bereich angegriffen oder sogar zerstört. Damit fehlt der wichtigste Teil des Rückflussmechanismus, die Venen sind nicht mehr voll funktionstüchtig. Es entwickelt sich das „Postthrombotische Syndrom“. Etwa 50 Prozent aller Thrombose-Patienten sind davon betroffen.[1] Wegen der Seltenheit von Armvenenthrombosen und der geringen statischen Belastung der Arme sind die Arme nur selten von einem PTS betroffen.

Krankheitsbild Bearbeiten

Bei einer Venenthrombose kommt es nur sehr selten zu einer völligen Auflösung des Blutgerinnsels und damit zu einer Wiederherstellung eines normalen Venenflusses. Meist resultieren als Folge der Thrombose Narbenstränge im Gefäß, teils mit dauerhaftem Verschluss einer Vene. Da die narbigen Veränderungen auch die Venenklappen miteinbeziehen, können die Klappen nicht mehr ihre Funktion erfüllen, so dass es zu einem chronischen Blutstau im betroffenen Bein kommen kann.[2] Zudem kommt es in Folge von Entzündungen zur Verdickung der Venenwand. Daraus resultierende Beschwerden sind: Schwere- oder Spannungsgefühl im Bein, Schwellung und Schmerzen. Im weiteren Verlauf – oft erst nach Monaten und Jahren – können sich zunächst Ödeme und sekundäre Krampfadern bilden. Das Bein kann dabei als schwer empfunden werden und es können Beschwerden bis hin zu Spannungsschmerzen auftreten. Bei genügend langem Krankheitsverlauf kann es durch Ablagerung von Eisenpigment (= Hämosiderineinlagerung) zur Braunfärbung der Haut am Unterschenkel und später als Folge einer chronischen Unterversorgung der oberen Hautschichten mit arteriellem Blut zu strukturellen Hautschäden kommen (z. B. Atrophie blanche). Bei weiterer Hautschädigung entwickelt sich dann oft ein chronisches Unterschenkelgeschwür (Ulcus cruris venosum). Die Geschwüre können dabei an fast jeder Stelle des Unterschenkels auftreten, bevorzugt ist die Region um den Innen- und den Außenknöchel betroffen.

Der Schweregrad des postthrombotischen Syndroms hängt von der Ausdehnung der initialen Thrombose und zusätzlichen Faktoren (langes Stehen im Beruf, weibliches Geschlecht, Adipositas) ab.

Das postthrombotische Syndrom kann in vier Stadien unterteilt werden:[3]

  • Stadium I: Ödemneigung ohne Gewebsverhärtung (Gewebssklerose)
  • Stadium II: Verhärtungen der Haut und des Unterhautfettgewebes (Dermatoliposklerose)
  • Stadium III: sklerotische Gewebsveränderungen der Haut und des Subkutangewebes und umschriebener Areale der Faszie (Dermatoliposclerosis regionalis)
  • Stadium IV: wie Stadium III, zusätzlich mit ausgedehnten, manchmal zirkulären Ulzerationen (Ulcus cruris postthromboticum)

Diagnosestellung Bearbeiten

Ist eine früher abgelaufene Thrombose bekannt und liegen typische Beschwerden (s. o.) vor, so ist die Diagnosestellung einfach. Nicht selten verlaufen Thrombosen aber unerkannt und sind manchmal erst Jahre später durch das Vorliegen von postthrombotischen Beschwerden wahrscheinlich zu machen.

Ultraschall Bearbeiten

Mittel der Wahl ist die Untersuchung mittels farbkodierter Duplexsonografie (FKDS)[4], bei der sich strukturelle Schäden des tiefen Venensystems und vor allem Venenklappenschäden vom erfahrenen Untersucher gut nachweisen lassen.

Phlebografie Bearbeiten

Eine Röntgenuntersuchung mit Kontrastmittel (Phlebografie) zeigt einen chronischen Venenverschluss nach Thrombose sehr gut anhand der Vielzahl der kleinen Umgehungsgefäße an. Auch die Venenklappen kann man gut beurteilen. Da die Phlebografie aber im Vergleich zum Ultraschall aufwendiger und unangenehmer für den Patienten ist, wird sie immer seltener durchgeführt.

Villalta-Score Bearbeiten

Villalta und Mitarbeiter haben 1994 einen Score entwickelt, um den Schweregrad des postthrombotischen Syndroms zu objektivieren.[5] Sabina Villalta ist medizinische Direktorin der Klinik für Innere Medizin am Cà Foncello Hospital in Treviso, Italien.

Bewertung (Punkte)
Subjektive Symptome
morphologische Veränderungen
Keine Mild Mittel Schwer
Subjektive Symptome
Schmerz 0 1 2 3
Krämpfe 0 1 2 3
Schweregefühl 0 1 2 3
Parästhesien
(Missempfindungen)
0 1 2 3
Klinische Veränderungen
praetibiales Ödem
(Schwellung; Wassereinlagerung)
0 1 2 3
Induration (Verhärtung) 0 1 2 3
Pigmentierung 0 1 2 3
Schmerz
während der Wadenkompression
0 1 2 3
Venöse Ektasien
(Sackartige Erweiterung der Venen)
0 1 2 3
Ulcus cruris
(Unterschenkelgeschwür)
0 1 2 3

Bewertung des Villalta-Scores Es wird die Summe aller Punktwerte der obigen Tabelle gebildet.

  • Score 0–4: Kein PTS
  • Score 5–9: Mildes PTS
  • Score 10–14: Moderates PTS
  • Score 14 oder Ulcus cruris: Schweres PTS

Therapie Bearbeiten

Grundprinzip der Behandlung ist die Anwendung von Kompression von außen entweder durch Applikation eines Kompressionsverbandes mit Kurzzugbinden oder durch Überziehen eines medizinischen Kompressionsstrumpfes. Verwendet werden hierbei, je nach Schweregrad des PTS und der Beinform, Strümpfe in Rund- oder Flachstrick.[6] Zugleich ist die Aktivierung der Muskelpumpe wichtig, was durch regelmäßiges aktives Bewegen der betroffenen Extremität erreicht wird (Fahrradfahren, Spazierengehen). Eine Überlastung des Beines durch extremen Ausdauersport sollte allerdings vermieden werden. Eine Hochlagerung des Beines entlastet das Venensystem zusätzlich. Harntreibende Medikamente sind nur im Einzelfall und dann auch nur für kurze Zeit sinnvoll. Eine Gerinnungshemmung mit Cumarinen ist bei erneuter Thrombosegefahr sinnvoll. Die Kompressionstherapie mit Strümpfen ist zur Verhinderung von Rezidiven ein Leben lang fortzuführen.[7]

Eine kanadische multizentrische, randomisierte, placebokontrollierte Studie an über 800 Patienten kam 2013 jedoch zu dem Ergebnis, dass die Kompressionstherapie mit Kompressionsstrümpfen die Entwicklung des postthrombotischen Syndroms nicht vermeiden kann. Die Probanden erhielten entweder einen Kompressionsstrumpf mit einem Druck von 30 bis 40 mmHg oder einen Strumpf mit nur 5 mmHg. In den beiden Gruppen gab es kaum Unterschiede bei der Entwicklung des postthrombotischen Syndroms.[8] Diese Studie hat inzwischen aus mehreren Gründen Kritik auf sich gezogen. Hierzu gehört, dass die Strümpfe erst zwei Wochen nach Diagnosestellung ausgegeben wurden, das Trageverhalten der Teilnehmer – oder ob die Probanden die Strümpfe überhaupt anlegten – nicht kontrolliert wurde und eine wöchentliche Tragedauer von nur drei Tagen als "besonders compliant" eingeschätzt wurde.

Die Wirkung der Kompression verbessert sich durch Bewegung, da diese die Wadenmuskelpumpe und die Sprunggelenkpumpe aktiviert. Prinzipiell gilt daher die 3S3L-Regel: Sitzen und Stehen ist Schlecht - Lieber Laufen und Liegen.[9]

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Deutsche Gesellschaft für Angiologie - Gesellschaft für Gefäßmedizin e.V.
  2. Karina Schleimer et al.: Therapie des postthrombotischen Syndroms. Stellenwert der endovaskulären Rekanalisation chronischer venöser Obstruktionen der Beckenetagein Deutsches Ärzteblatt, 50/2016, doi:10.3238/arztebl.2016.0863, S. 863–870.
  3. Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Posttrombotischen Syndroms (einschließlich Ulcus cruris) (Memento des Originals vom 29. August 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.gefaesschirurgie.de auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie, aufgerufen am 16. März 2018.
  4. Eberhard Rabe (Hrsg.): Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von Venenkrankheiten: Grundwerk Deutsche Gesellschaft für Phlebologie. Schattauer, Stuttgart 1999 (online bei Google Books), abgerufen am 20. März 2018.
  5. S Villalta, P Bagatella, A Piccioli, AW Lensing, MH Prins, P Prandoni: Assessment of validity and reproducibility of a clinical scale for the post-thrombotic syndrome (abstract). In: Haemostasis. Band 24, 1994, S. 158a.
  6. Stephanie Reich-Schupke, Markus Stücker (Hrsg.): Moderne Kompressionstherapie. Ein praktischer Leitfaden, Viavital Verlag, Köln 2013, ISBN 978-3-934371-50-7, S. 82.
  7. Stephanie Reich-Schupke, Markus Stücker (Hrsg.): Moderne Kompressionstherapie. Ein praktischer Leitfaden, Viavital Verlag, Köln 2013, ISBN 978-3-934371-50-7, S. 106 f.
  8. Susan R Kahn u. a.: Compression stockings to prevent post-thrombotic syndrome: a randomised placebo-controlled trial. In: The Lancet. 2014;383, S. 880–888. doi:10.1016/S0140-6736(13)61902-9.
  9. Kerstin Protz: Moderne Wundversorgung. Praxiswissen, Standards und Dokumentation, 7. Auflagfe, Elsevier Verlag, München 2014, ISBN 978-3-437-27884-6, S. 98.

Weblinks Bearbeiten

  • Die postthrombotische Krankheit Venenzentrum Frankfurt am Main, abgerufen am 21. März 2018.
  • S2-Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie, Registernummer 065-002, Stand 06/2010, [1]