Postexpositionsprophylaxe

Maßnahmen nach möglichem Kontakt mit Infektionserregern

Als Postexpositionsprophylaxe (PEP) bezeichnet man Maßnahmen nach möglichem Kontakt mit Erregern einer Infektionserkrankung, um deren Ausbruch zu verhindern oder deren Verlauf zumindest abzumildern.

Die Maßnahmen können in einer medikamentösen Behandlung oder einer oder mehreren Impfungen bestehen. Wenn mehrere Impfungen notwendig sind, kombiniert man zur aktiven Impfung eine passive Impfung (Tetanus, Tollwut). Die passive Impfung bietet den Vorteil des Sofortschutzes. Ein Sofortschutz ist mit der aktiven Impfung, bei der das Immunsystem so stimuliert wird, dass es nach einiger Zeit einen eigenen Abwehrschutz hervorbringt, nicht zu erreichen. Bei der passiven Immunisierung werden Antikörper von anderen Menschen eingesetzt, die selbst gegen die betreffende Krankheit immun sind. Dazu wird das Blut einiger tausend Blutspender entsprechend aufbereitet. All diese Maßnahmen haben das Ziel, die Vermehrung der Erreger im Körper zu unterbinden und dadurch zu verhindern, dass nach einer möglichen Infektion die Erkrankung ausbricht.

HIV Bearbeiten

Indikation zur HIV-PEP bei sexueller Exposition
laut Deutsch-Österreichischer Leitlinien der DAIG (Stand 2022)[1]
Expositionsereignis PEP-Indikation
Ungeschützter insertiver oder rezeptiver vaginaler oder analer Geschlechtsverkehr mit einer bekannt HIV-infizierten Person PEP soll erfolgen, wenn Indexperson unbehandelt, VL > 1000 Kopien/ml oder Behandlungsstatus nicht eruierbar
PEP kann erfolgen, wenn VL der Indexperson 50–1000 Kopien/ml
Keine PEP-Indikation wenn Indexperson wirksam behandelt (VL < 50 Kopien/ml) oder bei Oralverkehr
Ungeschützter Geschlechtsverkehr bei unbekanntem HIV-Status des Partners
Ungeschützter Analverkehr zwischen Männern PEP kann erfolgen
Ungeschützter heterosexueller Vaginal- oder Analverkehr mit aktiv intravenös Drogen konsumierendem Partner (Chemsex), mit bisexuellem Partner oder Partner aus HIV-Hochprävalenzregion
Ungeschützter heterosexueller Vaginal- oder Analverkehr bei Vergewaltigung / sexualisierte Gewalt
Ungeschützter heterosexueller Vaginal- oder Analverkehr (auch mit Sexarbeiterin) Keine PEP-Indikation
Oralverkehr
Küssen / Kontakt von HIV mit Haut

Bei HIV-Risikokontakt (zum Beispiel ungeschützter Geschlechtsverkehr, Nadelstichverletzung, Schleimhautexposition) wird empfohlen, nach Durchführung von Sofortmaßnahmen, vor Ablauf von 24 Stunden mit einer postexpositionellen Prophylaxe zu beginnen.[1] Zu den Sofortmaßnahmen zählen beispielsweise die Blutflussförderung (potentiell infektiöses Material soll dadurch ausgespült werden), anschließende Wundspreizung und Spülung mit Antiseptikum, Waschen und Reinigen der Haut, bzw. das Ausspülen des Auges, sofortiges Ausspucken infektiösen Materials aus der Mundhöhle und anschließende, mehrfache Spülung.

Die besten Ergebnisse einer HIV-PEP sind innerhalb eines Zeitfensters von zwei Stunden zu erwarten.[1] Bei Schleimhautexposition soll spätestens nach 72 Stunden begonnen werden. Mehr als 72 Stunden nach dem Ereignis wird im Allgemeinen keine PEP mehr empfohlen. In jedem Falle muss eine entsprechend kundige Einrichtung aufgesucht werden, um im Einzelfall zu klären, ob eine solche Vorbeugung notwendig ist.

Die Standardtherapie besteht derzeit aus einer Kombination von Raltegravir zusammen mit Tenofovir-Disoproxil-Fumarat(TDF)/Emtricitabin(FTC), Dolutegravir mit TDF/FTC oder Bictegravir/TAF/FTC (außer bei bestehender Schwangerschaft).[1] Falls diese nicht verfügbar sind, soll auf Darunavir/Ritonavir mit TDF/FTC oder Elvitegravir/Cobicistat/TAF/FTC (außer bei bestehender Schwangerschaft) ausgewichen werden.

Die HIV-PEP ist vergleichsweise nebenwirkungs- und wechselwirkungsarm. Als Nebenwirkungen werden hauptsächlich Übelkeit, Antriebslosigkeit und Durchfall beschrieben. Je mehr Zeit vor Therapiebeginn vergeht, umso geringer sind die Erfolgschancen, eine möglicherweise erfolgte Infektion noch abzuwehren. In keinem Fall besteht ein 100%iger Schutz vor einer HIV-Infektion.

Die PEP soll über 28 bis 30 Tage erfolgen.

Hepatitis B Bearbeiten

Bei nicht oder (entsprechend dem durch anti-HBs-Testung ermittelbaren Impfstatus) nicht ausreichend[2] Geimpften, die sich beispielsweise eine Nadelstichverletzung mit Blut eines Infizierten zuziehen, wird die Simultanimpfung durch Gabe von Hepatitis-B-Immunglobulin (passive Immunisierung) zusammen mit einer aktiven HBV-Impfung empfohlen. Auch Neugeborene von infizierten Müttern (feststellbar durch den Nachweis von HBs-Antigen im Blut), erhalten innerhalb der ersten 24 Lebensstunden eine gleichzeitige (simultane) aktive und passive Impfung gegen das Virus.[3]

Hepatitis C Bearbeiten

Gegen Hepatitis C gibt es noch keine Impfung. Es wird gegenwärtig keine sofortige Postexpositionsprophylaxe bei HCV empfohlen.[4] Der Empfänger sollte jeweils 2–4, 12 und 24 Wochen nach der Exposition untersucht werden (Serostatus bzw. HCV-RNA-Test). Bei Nachweis einer akuten Infektion sollte mit Anstieg der Transaminasen und bei Nachweis von Anti-HCV-Antikörpern eine Interferon-Monotherapie zur Verhinderung einer Chronifizierung eingeleitet werden.

Tetanus Bearbeiten

Zur Tetanus-Prophylaxe wird, nach unverzüglicher Reinigung aller Wunden und kontaminierten Körperstellen mit Seife oder Detergentien sowie gründlichem Spülen mit Wasser und 70%igem Alkohol oder einem Jodpräparat,[5] bei entsprechend gefährdenden Verletzungen bei ungeimpften Personen die umgehende gleichzeitige Gabe von Tetanusimmunglobulin (passive Impfung) und einer aktiven Impfung empfohlen. Bei Personen, die in der Vergangenheit bereits einmal eine komplette Immunisierung für Tetanus durchgemacht haben, jedoch mehr als fünf bis zehn Jahre keine Auffrischungsimpfung erhalten haben, sollte eine einmalige Auffrischimpfung durchgeführt werden.[3]

Tollwut Bearbeiten

Die postexpositionelle Tollwutprophylaxe nach Biss (aber auch Kratzwunden, Kontamination von Schleimhäuten mit Speichel sowie mit Impfflüssigkeit eines Impfköders) besteht nach der Reinigung aller Wunden und kontaminierten Körperstellen mit Seife oder Detergentien sowie gründlicher Spülung mit Wasser und 70%igem Alkohol oder einem Jodpräparat in der postexpositionellen Impfung. Hierzu erfolgt eine aktive Impfung und (bei deutlicher Exposition) die zusätzliche bzw. simultane Gabe eines Tollwutimmunglobulins (Postexpositionelle Immunprophylaxe) zur passiven Immunisierung. Bei Berühren, Füttern oder Belecken der intakten Haut ist keine Impfung erforderlich. Die Indikation für eine Tollwut-Impfprophylaxe besteht bei tollwutverdächtigen Tieren wie Fuchs, Dachs und anderen Fleischfressern. Bei Hunden und Katzen, die gesund und geimpft sind kann bei Beobachtung des Tiers über zehn Tage abgewartet werden. Bei kleinen Nagetieren, Hasen und Kaninchen ist bei unverdächtigen Tieren keine Impfung erforderlich, es sollte jedoch bei Tierarzt oder Gesundheitsamt nachgefragt werden. Bei unklarer Situation oder nicht beobachtbaren Tieren sollte eine Impfung erfolgen bzw. beim Tierarzt und Gesundheitsamt nachgefragt werden.[6] Die Indikation wird auch von speziell als Tollwutberatungsstellen benannten Stellen, meist größeren Krankenhäusern, gestellt, die dann auch die entsprechenden Präparate vorrätig haben. Die rechtzeitige Intervention kann einen Krankheitsausbruch zu 100 Prozent verhindern. Unterbleibt die Prophylaxe und kommt es zum Ausbruch einer Tollwuterkrankung, so verläuft diese immer tödlich[7] – jedoch ist das Zeitfenster bei der Tollwut relativ groß.

Bissverletzungen Bearbeiten

Neben der chirurgischen Versorgung von Bisswunden ist zu prüfen, ob eine postexpositionelle Tollwutimpfung (s. o.) nötig ist. Nach Bissverletzungen durch Katzen oder Hunde ist eine prophylaktische antibiotische Behandlung mit Amoxicillin-Clavulansäure in Kombination mit Sultamicillin oder Doxycyclin erforderlich, nach Bissverletzungen durch Menschen Amoxicillin-Clavulansäure oder Sultamicillin in Kombination mit Cefuroxim-Axetil. Bei Penicillinallergie steht Moxifloxacin zu Verfügung.[8]

Meningokokkenmeningitis Bearbeiten

Meningokokkenerkrankungen und hier insbesondere die Meningitis sind hochansteckend und lebensbedrohlich. Daher wird auch für die Kontaktpersonen eines Erkrankten eine schnellstmögliche Chemoprophylaxe mit einem Antibiotikum durchgeführt, wobei sich der Personenkreis nach der Art des Kontakts richtet, jedoch sollten im selben Haushalt Lebende immer behandelt werden. Eine Therapie ist bis zu zehn Tage nach dem Kontakt mit dem Erkrankten sinnvoll.

Eine Risikoreduktion mittels Chemoprophylaxe soll vor allem durch die Keimeliminierung von Erregern aus dem Nasenrachenraum erfolgen.[9]

Meningitis durch Haemophilus influenzae Bearbeiten

Wie bei der Meningokokkenmeningitis liegt bei einer Meningitis durch Haemophilus influenzae Typ B das Erkrankungsrisiko für enge Kontaktpersonen etwa 200 bis 1000 Mal über dem Risiko der Allgemeinbevölkerung. Eine Chemoprophylaxe erfolgt mit Rifampicin, in der Schwangerschaft mit Ceftriaxon.[9]

Pneumokokken Bearbeiten

Wie bei den Meningitiden erfolgt vor allem bei Patienten ohne Milz nach Exposition mit Pneumokokken eine Chemoprophylaxe. Hier wird insbesondere Penicillin V über sieben Tage gegeben.[9]

Prophylaxe nach Nadelstichverletzungen Bearbeiten

  • Blutung anregen
  • Desinfektion
  • Abschätzen der Infektionsgefahr
  • Dokumentation
  • serologische Untersuchung
  • Nachbetreuung

Siehe auch Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Quellen und Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c d Deutsch-Österreichische Leitlinie zur medikamentösen Postexpositionsprophylaxe (PEP) nach HIV-Exposition. (PDF) Deutsche AIDS-Gesellschaft e.V. (DAIG), 2022, abgerufen am 17. August 2023.
  2. Marianne Abele-Horn (2009), S. 322 f.
  3. a b Impfempfehlungen des Robert Koch-Instituts, Stand 2013
  4. U.S. Public Health Service Guidelines for the Management of Occupational Exposures to HIV and Recommendations for Postexposure Prophylaxis
  5. Marianne Abele-Horn (2009), S. 319 f.
  6. Marianne Abele-Horn (2009), S. 318.
  7. Kayser, F. H. et al.: Taschenlehrbuch Medizinische Mikrobiologie. 11. Auflage. Thieme Verlag, 2005, ISBN 3-13-444811-4.
  8. Marianne Abele-Horn (2009), S. 319.
  9. a b c Marianne Abele-Horn: Antimikrobielle Therapie. Entscheidungshilfen zur Behandlung und Prophylaxe von Infektionskrankheiten. Unter Mitarbeit von Werner Heinz, Hartwig Klinker, Johann Schurz und August Stich, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Peter Wiehl, Marburg 2009, ISBN 978-3-927219-14-4, S. 320 und 322.