Miklós Radnóti

ungarischer Dichter

Miklós Radnóti (geboren als Miklós Glatter, 5. Mai 1909 in Budapest, Österreich-Ungarn; gestorben 9. November 1944 bei Abda nahe Győr) war ein jüdischer ungarischer Dichter.

Miklós Radnóti (um 1935)
Statue in Mohács von Imre Varga (1970)

Leben Bearbeiten

Die frühen Jahre Bearbeiten

Miklós Radnóti entstammte einer integrierten jüdischen Familie. Sein Vater, Jakob Glatter, war Handelsreisender. Bei seiner Geburt verlor er seine Mutter, Ilona Grósz, und seinen Zwillingsbruder. An dieses Trauma erinnert er in seiner Sammlung Ikrek hava (Monat der Zwillinge), 1939.

Sein Vater starb 1921, als er zwölf Jahre alt war. Radnóti wuchs bei Verwandten auf. Sein Onkel Dezső Grósz ermutigte ihn, die Geschäfte der Familie weiter zu führen. So verfolgte Radnóti nach dem Abitur zunächst eine kaufmännische Ausbildung und nahm eine Stelle im Großhandelsunternehmen seines Onkels an.

Erste Veröffentlichungen Bearbeiten

1928 veröffentlichte Radnóti seine ersten Gedichte in einer mit Freunden gegründeten Literaturzeitschrift. 1930 erschien seine erste Gedichtsammlung Pogány köszöntő (Heidnischer Gruß), die den Einfluss des französischen Expressionismus widerspiegelte und soziale Ungerechtigkeiten angriff. Im selben Jahr begann er sein Studium und hörte ungarische und französische Literatur an der Universität von Szeged. 1931 erschien sein nächstes Buch Újmódi pásztorok éneke (Lied neumodischer Hirten). Es wurde wegen angeblicher Obszönität von der Staatsanwaltschaft konfisziert. Er verbrachte drei Monate in Paris, wo er die Exposition coloniale besuchte. Hier übersetzte er afrikanische Gedichte und Märchen. Ab 1934 nach Abschluss seines Studiums versuchte er mit wenig Erfolg, eine Stelle als Lehrer für ungarische Literatur zu finden. Er arbeitete als Übersetzer und Privatlehrer. Damals unterstützte ihn Babits Mihály, der Redakteur der literarischen Zeitschrift Nyugat. Seine Werke wurden hier erstmals unter dem Namen Miklós Radnóti veröffentlicht. Den Namen wählte er nach dem Geburtsort seines Vaters.

1935 heiratete er Fanni Gyarmati (1912–2014), die er schon seit 1926 kannte, und zog nach Budapest. In den folgenden Jahren erschienen mehrere Gedichtbände.

1937 folgte eine Auslandsreise nach Frankreich, wo er Kontakte zu linksgerichteten Parteien knüpfte. Bereits seit Anfang der 1930er Jahre war er Mitglied der illegalen Ungarischen Kommunistischen Partei.

Der spanische Bürgerkrieg und der Tod des Dichters Federico García Lorca übten einen tiefen Einfluss auf ihn aus, und er begann sich mehr auf Übersetzungen zu konzentrieren.

 
Stolperstein für Miklós Radnóti in Budapest

Der Zweite Weltkrieg Bearbeiten

1942 und 1943 wurde er wegen seiner jüdischen Abstammung mehrfach zum Arbeitsdienst eingezogen. Im Mai 1943 konvertierte er zum katholischen Glauben, was ihn allerdings nicht vor weiterer Verfolgung schützen konnte. Im gleichen Jahr wurden seine Gedichtübersetzungen unter dem Titel Orpheus nyomában (Auf den Spuren von Orpheus) herausgegeben. Übersetzungen vor allem von Arthur Rimbaud, Stéphane Mallarmé, Paul Éluard, Guillaume Apollinaire und Blaise Cendrars.

 
Grabstein von Miklós Radnóti

Im Mai 1944 wurde er zunächst an die ukrainische Front beordert und später im Lager Bor in Serbien interniert. Seine hier entstandenen Gedichte sammelte er in einem Notizheft (Bori notesz). Das Notizheft wurde bei seiner Exhumierung in seiner Jackentasche gefunden. Diese Sammlung erschien später unter dem Titel Bori notesz (Notizen aus Bor). Als Titos Truppen vorrückten, wurde er mit mehreren tausend jüdischen Zwangsarbeitern in Gewaltmärschen quer durch Ungarn zur österreichischen Grenze getrieben. Wie viele seiner Mitgefangenen war er den Strapazen dieses Gewaltmarsches nicht mehr gewachsen und wurde nach seinem Zusammenbruch mit 21 seiner Mitgefangenen bei Abda, nahe der österreichischen Grenze, ermordet. Das Massengrab wurde nach dem Krieg 1946 exhumiert. Dabei wurden seine letzten Gedichte gefunden, die in der Sammlung Tajtékos ég (Schäumender Himmel) 1948 erschienen.

Heute befindet sich sein Grabstein auf dem Kerepesi temető, einem Friedhof in Budapest. Die an dem Massengrab bei Abda aufgestellte Statue wurde 2013 geschändet. Nach Miklós Radnóti ist ein ungarischer Antirassismus-Preis benannt.

Literarisches Wirken Bearbeiten

In seinen Gedichten vermischen sich expressionistische und avantgardistische Elemente mit klassischen Formen und einer starken Heimatverbundenheit. Bis in seine letzten Tage kritzelte er erschütternde Gedichte über sein Leben im Lager auf Notizblätter.

Einige seiner Gedichte (Nem tudhatom (1944), Erőltetett menet (1944)) gehören heute zu den Klassikern ungarischer Lyrik.

Werke Bearbeiten

 
Gedenktafel für Miklos Radnoti in Budapest
 
Radnóti war 1939 im Hôtel des 3 Collèges im Quartier Latin
  • Pogány köszöntő (= Heidnischer Gruß) (1930)
  • Újmódi pásztorok éneke (1931)
  • Lábadozó szél (1933)
  • Újhold (= Neumond) (1935)
  • Járkálj csak, halálraítélt! (1936)
  • Meredek út (1938)
  • Ikrek hava (1940)
  • Válogatott versek (1930–1940) (1940)
  • Naptár (1942)
  • Karunga, a holtak ura (übersetzte Märchen aus Afrika) (1944)
  • Apollinaire versei (Gedichte von Apollinaire)
  • La Fontaine meséi (Märchen von La Fontaine)

Posthum herausgegebene Werke Bearbeiten

  • Tajtékos ég (1946)
  • Bori notesz (1970)
  • Napló (1989)
  • Ikrek hava – Napló (2003)

Werke in deutscher Übersetzung Bearbeiten

  • Ansichtskarten: Gedichte. Nachdichtung und Nachwort Franz Fühmann. Volk & Welt, Berlin 1967
  • Gewaltmarsch. Ausgewählte Gedichte. Nachdichtungen von Markus Bieler. Corvinus Verlag Budapest 1979. ISBN 963 13 0833 2
  • Offenen Haars fliegt der Frühling: Tagebücher, Gedichte, Fotos, Dokumente. Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki – Tagebücher und Franz Fühmann – Gedichte. Hrsg. von Siegfried Heinrichs. Lucas Presse-Oberbaum, Berlin 1993. ISBN 3-928254-20-0
  • Monat der Zwillinge: Prosa, Gedichte. Fotos, Dokumente. Aus dem Ungar. von Hans Skirecki, Uwe Kolbe, Franz Fühmann. Interlinearübers. Paul Kárpáti. Hrsg. von Siegfried Heinrichs. Lucas Presse-Oberbaum, Berlin 1993 ISBN 3-928254-03-0
  • Kein Glück zurück, kein Zauber. Gedichte und Chronik. Nachdichtungen Markus Bieler, Chronik Ulrich Schuster, Gabriella Tuntunsisz. Hrsg. von György Dalos. Gutke Verlag Köln 1999. ISBN 978-3-928872-32-4

Film Bearbeiten

  • Radnóti. DEFA-Studio für Dokumentarfilme 1984. Regie: Eduard Schreiber. Länge 16'30"

Preise Bearbeiten

  • Baumgarten-Preis (1937)

Weblinks Bearbeiten

Commons: Miklós Radnóti – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien