Der Mammen-Stil (auch: Jüngerer Jelling-Stil genannt) ist ein wikingerzeitlicher Kunststil in Dänemark und Skandinavien. Sein Verbreitungszeitraum reicht von der Mitte des 10. bis zum Anfang des 11. Jahrhunderts. Benannt ist er nach dem Axtfund aus einem Kammergrab von Mammen in Jütland. Er tritt an prunkvollen metallenen Gebrauchsgegenständen, Schmuckstücken, Schnitzarbeiten aus Horn sowie Bildsteinen dieser Zeit auf.

Zeittafel der Kunststile der Wikingerzeit

Entstehung Bearbeiten

 
Das große Tier von Jelling. Löwendarstellung im Mammen-Stil, um den Hals eine Schlange, umgeben von Ranken. Runenstein, Jelling, Jütland, Dänemark.

Der Mammen-Stil entstand in der Mitte des 10. Jahrhunderts durch langsame Veränderung der Formen des vorausgehenden Jelling-Stils. Waren die im Jelling-Stil verwendeten Tierfiguren dadurch charakterisiert, dass sie lang, schmal und bänderartig gestaltet wurden, so wuchsen sie im Laufe der Zeit in die Breite und bekamen im Mammen-Stil stattliche Körper. Die Proportionen verringerten ihren Abstraktionsgrad. Die aus dem Jelling-Stil bekannten Hüftspiralen wurden größer. Als weiteres wichtiges Element wurde nun im Gegensatz zu den früheren wikingerzeitlichen Stilrichtungen mehr Wert auf florale Bestandteile gelegt. Anregungen dazu kamen vermutlich aus dem fränkischen und angelsächsischen Raum. In Westeuropa wurden seit dem 9. Jahrhundert in Buchmalerei und Metallkunst Blattmuster verwendet, vor allem Weinreben und Akanthusblätter. Im Mammen-Stil wurden diese Einflüsse aufgenommen und verarbeitet.[1] Der Mammen-Stil näherte sich so in Motiven und Formensprache der gleichzeitigen englischen und deutschen Kunst an.[2]

Charakterisierung Bearbeiten

 
Schrein von Cammin. Original 1945 verloren gegangen, Nachbildung, Danmarks Nationalmuseum, Kopenhagen. Rechts ist die Nachbildung des Bamberger Schreins sichtbar.

Die Kunststile der Wikingerzeit sind Ornamentstile und setzen sich aus drei Motivbereichen zusammen:

  • Figuren, also Menschen und Tierdarstellungen
  • Pflanzendarstellungen (Ranken, Blätter) und
  • geometrische Figuren (Kreise, Dreiecke, Spiralen).

Der Mammen-Stil legt im Gegensatz zu vorhergehenden Stilen nicht mehr nur vor allem Wert auf Figuren. Erstmals tauchen im Mammen-Stil auch Pflanzenmuster auf. Dazu werden Akanthus- und Weinranken aus westeuropäischen Vorbildern in die Formensprache der skandinavischen Künstler aufgenommen und umgearbeitet. In früheren wikingerzeitlichen Stilen werden die Elemente der Ornamente oftmals zu symmetrisch angeordneten Gruppen zusammengestellt. So zum Beispiel oft auf Rundfibeln, die im Borre-Stil aus gleichen Ornament-Dritteln oder -Vierteln bestehen und somit um ein Zentrum angelegt sind. Im Jelling-Stil, dem unmittelbaren Vorgänger, sind die langen, bandförmigen Figuren häufig symmetrisch um eine Mittelachse angeordnet. Der Mammen-Stil hingegen legt keinen besonderen Wert mehr auf Symmetrie.[3] Als zweites Merkmal wird die Darstellung auf die zur Verfügung stehende Fläche des Gegenstandes ausgeweitet, ohne dass dabei mit Verdoppelung, Spiegelung oder sonstiger Füllung durch weitere Nebenmotive gearbeitet wird. Somit stehen im Mammen-Stil die Motive oft einzeln und füllen die zur Verfügung stehende Fläche ohne weitere Hilfsmotive. Drittens werden im Mammen-Stil auch deutlich asymmetrische Linienführungen bei gewundenen rankenartigen Auswüchsen verwendet. Dieses Merkmal entspringt der Notwendigkeit, auch ohne Hilfsmotive den zur Verfügung stehenden Raum auf harmonische Weise zur Gänze auszufüllen. Die kompakteren Tierkörper des Mammen-Stils weisen eine größere Fläche auf, die durch verschiedene Muster gefüllt wird. Entweder werden dafür Punkte verwendet oder es wird eine Billetierung vorgenommen. Analog zu den größeren Tierkörpern werden die schon im Jelling-Stil verwendeten spiralförmigen Hüftgelenke größer. Die Hauptumrisse der Figuren werden oft mit einer innen liegenden zweiten Linie hervorgehoben. Der Kopf wird wie schon im Jelling-Stil weiterhin im Profil dargestellt, an Stirn und Nacken tritt häufig ein Schopf auf.

Der Mammen-Stil wird manchmal als besonders vornehmer Stil angesehen, da er nicht auf Erzeugnissen der Massenproduktion auftritt, sondern überwiegend auf Einzelstücken aus kostbarem Material wie Silber oder Walross-Elfenbein. Möglicherweise liegt diese Einschätzung an den Fundumständen: Aus der späten Wikingerzeit sind nur noch wenige Gräber mit Schmuckbeigaben bekannt und die Funde können deshalb nur schwer verallgemeinert werden.[4]

Mammenaxt Bearbeiten

 
Die Mammen-Axt. Eisenaxt mit Ornament aus tauschierten Silberdrähten und -stiften, Resten von Niello, sowie Goldblecheinlagen in den Furchen zwischen Nacken und Blatt. Auf der zweiten Seite befindet sich ein rein florales Ornament. Aus einem auf 970/971 datierten reichen Männergrab bei Mammen, Jütland, Dänemark.

Die Mammenaxt ist einer der schönsten Funde aus der Wikingerzeit. Sie ist aus Eisen mit silbernen Einlagen. Die Motive der Axt können als christlich oder heidnisch wahrgenommen werden. Auf einer Seite ist ein Baummotiv. Es kann den christlichen Baum des Lebens oder den heidnischen Baum Yggdrasil symbolisieren. Auf der anderen Seite eine Tierfigur – vielleicht der Hahn Gyldenkam[5] oder der Vogel Phönix.

Beispielfunde Bearbeiten

  • eiserne, silbertauschierte Axt sowie verzierte Textilienreste aus dem Kammergrab des Häuptlings von Mammen, Jütland, Dänemark, Danmarks Nationalmuseum, Kopenhagen
  • Großer Stein von Jelling, Jütland, Dänemark
  • Bamberger Schrein aus vergoldetem Kupfer, Zahnbein (vermutlich Walross), Holz, Bayrisches Nationalmuseum München
  • Schrein von Cammin, Horn (vermutlich Elchgeweih), Holz, vergoldete Bronze, Danmarks Nationalmuseum, Kopenhagen (Nachbildung, Original im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen)
  • Stein von Thorleif, Kirk Braddan, Isle of Man, Großbritannien
  • Schwertgriff von Sigtuna, Uppland, Schweden, Sigtuna Museer

Literatur Bearbeiten

  • H. Andersen: Dendrokronologisk datering af Mammengraven. In: Iversen, M. et al., 1991: Mammen. Grav, kunst og samfund i vikingetid. Århus 1991.
  • Reinhard Barth: Taschenlexikon Wikinger. Piper, München Zürich 2002, ISBN 3-492-23420-8 (Kurzdarstellung).
  • Ewert Cagner: Die Wikinger. 3. Auflage. Burkhard-Verlag Ernst Heyer, Essen 1992, ISBN 3-87117-000-3 (mit mehreren detaillierten Beispielzeichnungen und großformatigen Fotos).
  • Torsten Capelle: Kultur- und Kunstgeschichte der Wikinger. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, Darmstadt 1986, ISBN 3-534-02509-1.
  • Hildegard Elsner: Wikinger Museum Haithabu: Schaufenster einer frühen Stadt. 2. Auflage. Karl Wachholtz Verlag, Neumünster 1994 (Übersicht über einzelne Stile mit Beispielzeichnungen).
  • James Graham-Campbell: Das Leben der Wikinger. Universitas Verlag in F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München 1993, ISBN 3-8004-1297-7 (populärwissenschaftlich, ausführliche Darstellung und Fotos).
  • Joachim Hermann [Hrsg.]: Wikinger und Slawen. Akademie-Verlag, Berlin 1982 (Übersicht mit Beispielzeichnungen).
  • Arnold Muhl und Rainer-Maria Weiss: Wikinger, Waräger und Normannen: die Skandinavier und Europa 800 bis 1200. Staatliche Museen, Preussischer Kulturbesitz, Berlin 1992, ISBN 3-88609-304-2 (Ausstellungskatalog mit Text-Beiträgen und Bildern im Katalogteil).
  • Michael Müller-Wille und Lars Olof Larsson: Tiere – Menschen – Götter. Wikingerzeitliche Kunststile und ihre neuzeitliche Rezeption. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-86309-8 (zur zeitlichen Einordnung hölzerner Funde und Dauer einzelner Kunststile).
  • A. G. Smith: Viking Designs. Dover Publications Inc., Mineola 1999, ISBN 0-486-40469-2 (zahlreiche ungeordnete Zeichnungen verschiedener wikingerzeitlicher Stile).

Siehe auch Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Graham-Campbell: Wikinger. Seite 144.
  2. Fuglesang in: Arnold Muhl und Reiner-Maria Weiss: Wikinger, Waräger und Normannen, Seite 179.
  3. Nennung dieses und der beiden folgenden Merkmale nach: Signe Horn Fuglesang: Animal ornament: the late Viking Period. In: Michael Müller-Wille und Lars Olof Larsson: Tiere – Menschen – Götter. Wikingerzeitliche Kunststile und ihre neuzeitliche Rezeption. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, Seite 159f.
  4. Capelle: Kunstgeschichte. Seite 117.
  5. Der Gyldenkam sitzt laut nordischer Mythologie auf dem Baum Yggdrasil. Er weckt jeden Morgen Odin und die Wikingerkrieger.
  6. nach Smith: Viking Design, S. 43.
  7. a b nach Smith: Viking Design, S. 26.

Weblinks Bearbeiten

Voriger Kunststil
Jelling-Stil
Mammen-Stil
Mitte 10. Jh. – Anfang 11. Jh.
Nachfolgender Kunststil
Ringerike-Stil