Kontaktmechanik

ingenieurwissenschaftliche Disziplin

Die Kontaktmechanik beschäftigt sich mit der Berechnung von elastischen, viskoelastischen oder plastischen Körpern im statischen oder dynamischen Kontakt.

Spannungen in einem Kontaktgebiet unter gleichzeitiger Belastung durch eine Normalkraft und eine Tangentialkraft. Die Spannungen wurden mittels Spannungsoptik sichtbar gemacht.

Kontaktmechanik ist eine grundlegende ingenieurwissenschaftliche Disziplin, die für einen sicheren und energiesparenden Entwurf technischer Anlagen unabdingbar ist. Sie ist zum Beispiel wichtig bei Rad-Schiene-Systemen, Kupplungen, Bremsen, Reifen, Gleit- und Wälzlagern, Verbrennungsmotoren, Gelenken, Dichtungen, Umformungen, Materialbearbeitungen, Ultraschallschweißen, elektrischen Kontakten und vielen anderen. Ihre Aufgaben reichen vom Festigkeitsnachweis von Kontakt- und Verbindungselementen über die Beeinflussung von Reibung und Verschleiß durch Schmierung oder Materialdesign bis hin zu Anwendungen in der Mikro- und Nanosystemtechnik.

Geschichte Bearbeiten

Die klassische Kontaktmechanik ist vor allem mit Heinrich Hertz verbunden. Im Jahr 1882 löste Hertz das Problem des Kontaktes zwischen zwei elastischen Körpern mit gekrümmten Oberflächen (siehe dazu den Artikel Hertzsche Pressung). Die Hertzsche Kontakttheorie bildet auch heute eine Grundlage der Kontaktmechanik. Das Hertzsche Kraftgesetz lautet

 

mit dem Verformungsweg   und der Konstante  , die von „der Form der Oberflächen und den Elasticitätsverhältnissen in unmittelbarer Nähe des Stosspunktes“ abhängt.[1]

Weitere frühe analytische Arbeiten zu diesem Thema gehen auf Joseph Boussinesq sowie V. Cerruti zurück.

Erst ein knappes Jahrhundert später fanden Kenneth L. Johnson, Kevin Kendall und Alan D. Roberts eine ähnliche Lösung wie die von Hertz für einen adhäsiven Kontakt (JKR-Theorie).[2]

Ein weiterer Fortschritt unserer Kenntnisse über Kontaktmechanik liegt in der Mitte des 20. Jahrhunderts und ist mit den Namen Bowden und Tabor verbunden. Sie haben als Erste auf die Wichtigkeit der Rauheit der kontaktierenden Körper hingewiesen. Durch die Rauheit ist die wahre Kontaktfläche zwischen Reibpartnern typischerweise um Größenordnungen kleiner als die scheinbare Fläche. Diese Einsicht veränderte schlagartig die Richtung auch vieler tribologischer Untersuchungen. Die Arbeiten von Bowden und Tabor haben eine Reihe von Theorien zur Kontaktmechanik von rauen Oberflächen angestoßen.

Als Pionierarbeiten auf diesem Gebiet sollen vor allem die Arbeiten von John F. Archard (1957) erwähnt werden, der zu dem Schluss gekommen ist, dass auch im Kontakt von elastischen, rauen Oberflächen die Kontaktfläche ungefähr proportional zur Normalkraft ist. Weitere wichtige Beiträge sind mit den Namen J. A. Greenwood und J. B. P. Williamson (1966), Bush (1975) und Bo N. J. Persson (2002) verbunden. Das Hauptergebnis dieser Arbeiten ist, dass die wahre Kontaktfläche bei rauen Oberflächen im Groben proportional zur Normalkraft ist, während die Bedingungen in einzelnen Mikrokontakten (Druck, Größe des Mikrokontaktes) nur schwach von der Belastung abhängen.

Heute werden viele Aufgaben der Kontaktmechanik mit Simulationsprogrammen bearbeitet, die auf der Methode der Finiten Elemente oder der Randelementmethode basieren. Hierzu gibt es eine große Anzahl von wissenschaftlichen Beiträgen, einige sind neben den Grundlagen der numerischen Kontaktmechanik in den Büchern von Laursen (2002) und Wriggers (2006) zu finden.

Klassische Kontaktaufgaben Bearbeiten

Kontakt zwischen einer Kugel und einem elastischen Halbraum Bearbeiten

 
Kontakt zwischen einer Kugel und einem elastischen Halbraum. Der Verformungsweg   ist hier mit   bezeichnet.

Ist eine elastische Kugel mit dem Radius   in einen elastischen Halbraum um den Betrag   eingedrückt (Verformungsweg oder Eindrucktiefe), so bildet sich ein Kontaktgebiet mit dem Radius  . Die dafür erforderliche Kraft ist gleich

 

wobei

 

  und   sind hier die Elastizitätsmoduln sowie   und   die Poisson-Zahlen beider Körper.

Kontakt zwischen zwei elastischen Kugeln Bearbeiten

 
Kontakt zwischen zwei Kugeln

Sind zwei Kugeln mit den Radien   und   im Kontakt, so gelten diese Gleichungen weiterhin mit dem Radius   gemäß

 

Die Druckverteilung im Kontaktgebiet ist gegeben durch

 

mit

 

Die maximale Schubspannung liegt im Inneren, für   bei  .

Kontakt zwischen zwei gekreuzten Zylindern mit gleichen Radien R Bearbeiten

 
Kontakt zwischen zwei gekreuzten Zylindern mit gleichen Radien

ist äquivalent zum Kontakt zwischen einer Kugel mit dem Radius   und einer Ebene (s. oben).

Kontakt zwischen einem starren Zylinder und einem elastischen Halbraum Bearbeiten

 
Kontakt zwischen einem starren zylindrischen Indenter und einem elastischen Halbraum

Wird ein starrer zylindrischer Stempel mit dem Radius   in einen elastischen Halbraum eingedrückt, so ist die Druckverteilung durch

 

gegeben mit

 

Der Zusammenhang zwischen der Eindrucktiefe und der Normalkraft lautet

 

Kontakt zwischen einem starren kegelförmigen Indenter und dem elastischen Halbraum Bearbeiten

 
Kontakt zwischen einem Kegel und einem elastischen Halbraum

Bei Indentierung eines elastischen Halbraumes durch einen starren kegelförmigen Indenter sind die Eindrucktiefe und der Kontaktradius durch die Beziehung

 

gegeben.   ist der Winkel zwischen der Ebene und der Seitenfläche des Kegels. Die Druckverteilung hat die Form

 

Die Spannung hat an der Spitze des Kegels (im Zentrum des Kontaktgebietes) eine logarithmische Singularität. Die Gesamtkraft berechnet sich zu

 

Kontakt zwischen zwei Zylindern mit parallelen Achsen Bearbeiten

 
Kontakt zwischen zwei Zylindern mit parallelen Achsen

Im Falle eines Kontaktes zwischen zwei Zylindern mit parallelen Achsen ist die Kraft linear proportional zur Eindrucktiefe:

 .

Der Krümmungsradius erscheint in dieser Beziehung überhaupt nicht. Die halbe Kontaktbreite wird durch dieselbe Beziehung

 

mit

 

gegeben, wie im Kontakt zwischen zwei Kugeln. Der maximale Druck ist gleich

 

Kontakt zwischen rauen Oberflächen Bearbeiten

Wenn zwei Körper mit rauen Oberflächen aneinander gedrückt werden, so ist die reale Kontaktfläche   zunächst viel kleiner als die scheinbare Fläche  . Bei einem Kontakt zwischen einer „zufällig rauen“ Oberfläche und einem elastischen Halbraum ist die reale Kontaktfläche proportional zur Normalkraft   und ist durch die Gleichung

 

gegeben, wobei   der quadratische Mittelwert der Steigung der Oberfläche ist und  . Der mittlere Druck in der wahren Kontaktfläche

 

berechnet sich in guter Näherung als die Hälfte des effektiven elastischen Moduls   multipliziert mit dem quadratischen Mittelwert der Steigung   des Oberflächenprofils. Ist dieser Druck größer als die Härte   des Materials und somit

 

sind die Mikrorauigkeiten vollständig im plastischen Zustand. Für   verhält sich die Oberfläche beim Kontakt elastisch. Die Größe   wurde von Greenwood und Williamson eingeführt und wird Plastizitätsindex genannt. Die Tatsache, ob sich das System elastisch oder plastisch verhält, hängt nicht von der angelegten Normalkraft ab.[2]

Adhäsiver Kontakt Bearbeiten

Das Phänomen der Adhäsion wird am leichtesten beim Kontakt eines Festkörpers mit einem sehr weichen elastischen Körper, beispielsweise einem Gelee, beobachtet. Infolge der Van-der-Waals-Kräfte entsteht zwischen den Körpern ein adhäsiver Hals. Damit die Körper wieder auseinandergenommen werden können, ist es notwendig, eine minimale Kraft aufzubringen, welche als Adhäsionskraft bezeichnet wird. Adhäsion kann sowohl von technologischem Interesse sein, beispielsweise in einer Klebeverbindung, als auch ein störender Faktor, wie beim schnellen Öffnen von Elastomerventilen. Adhäsionskraft zwischen einem parabolischen starren Körper und einem elastischen Halbraum wurde 1971 von Johnson, Kendall und Roberts gefunden[2]. Sie ist gleich

 

wobei   die Trennungsenergie pro Flächeneinheit und   der Krümmungsradius des Körpers ist.

Die Adhäsionskraft eines flachen starren Stempels mit dem Radius   wurde ebenfalls 1971 von Kendall gefunden[3]:

 

Kompliziertere Formen beginnen von den „Rändern“ des Kontaktes ausgehend abzureißen.[4][5]

Methode der Dimensionsreduktion Bearbeiten

 
Kontakt zwischen einer Kugel und einem elastischen Halbraum und das eindimensionale Ersatzmodell. Der Verformungsweg   ist hier mit   bezeichnet.

Einige Kontaktprobleme lassen sich mit der Methode der Dimensionsreduktion lösen. In dieser Methode wird das ursprüngliche drei-dimensionale System durch einen Kontakt mit einer elastischen oder viskoelastischen Winklerschen Bettung ersetzt (s. Bild). Die makroskopischen Kontakteigenschaften stimmen dabei exakt mit denen des Originalsystems überein, vorausgesetzt, dass die Parameter der Winklerschen Bettung und die Form der Körper nach den Regeln der Methode gewählt werden.[6] Die Methode der Dimensionsreduktion liefert analytisch exakte Ergebnisse für achsensymmetrische Systeme, deren Kontaktfläche kompakt ist. MDR basiert auf der Lösung für achsensymmetrische Kontaktprobleme, die erstmals von Ludwig Föppl (1941) und Gerhard Schubert (1942) erhalten wurde[7]. Die Anwendbarkeit auf reale, zufällig raue Oberflächen, wie zum Beispiel bearbeitete Metall- oder Straßenoberflächen, ist umstritten.[8][9][10][11]

Literatur Bearbeiten

  • Kenneth L. Johnson: Contact mechanics. Cambridge, 1985, ISBN 978-0-521-25576-9.
  • Valentin L. Popov: Kontaktmechanik und Reibung. Ein Lehr- und Anwendungsbuch von der Nanotribologie bis zur numerischen Simulation. Springer, 2009, ISBN 978-3-540-88836-9.
  • Ian Sneddon: The Relation between Load and Penetration in the Axisymmetric Boussinesq Problem for a Punch of Arbitrary Profile. Int. J. Eng. Sci. 3, 1965, S. 47–57, doi:10.1016/0020-7225(65)90019-4.
  • Sangil Hyuna, Mark O. Robbins: Elastic contact between rough surfaces: Effect of roughness at large and small wavelengths. Tribology International 40, 2007, S. 1413–1422, doi:10.1016/j.triboint.2007.02.003.
  • Tod A. Laursen: Computational Contact and Impact Mechanics: Fundamentals of Modeling Interfacial Phenomena in Nonlinear Finite Element Analysis. Springer, 2003, ISBN 978-3-540-42906-7.
  • Peter Wriggers: Computational Contact Mechanics. Springer, 2006, ISBN 978-3-540-32608-3.
  • Valentin L. Popov: Method of reduction of dimensionality in contact and friction mechanics: A linkage between micro and macro scales. Friction 1, 2013, S. 1–22, doi:10.1007/s40544-013-0005-3.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Kristof Heck, Simon Huppertz: Jugend-forscht 2014, Physik: Untersuchungen zur Kugelstoß-Pendelkette und zur Hertzschen Kontakt-Theorie. (mgm-monschau.de9 [PDF; 3,3 MB; abgerufen am 29. Dezember 2016]).
  2. a b c K. L. Johnson, K. Kendall, A. D. Roberts: Surface energy and the contact of elastic solids. In: Proc. R. Soc. Lond. A. Band 324, Nr. 1558, 8. September 1971, ISSN 0080-4630, S. 301–313, doi:10.1098/rspa.1971.0141 (royalsocietypublishing.org [abgerufen am 25. Dezember 2017]).
  3. K. Kendall: The adhesion and surface energy of elastic solids. In: Journal of Physics D: Applied Physics. Band 4, Nr. 8, 1971, ISSN 0022-3727, S. 1186, doi:10.1088/0022-3727/4/8/320 (iop.org [abgerufen am 25. Dezember 2017]).
  4. Valentin L. Popov, Roman Pohrt, Qiang Li: Strength of adhesive contacts: Influence of contact geometry and material gradients. In: Friction. Band 5, Nr. 3, 1. September 2017, ISSN 2223-7690, S. 308–325, doi:10.1007/s40544-017-0177-3.
  5. Friction Physics: Science friction: Adhesion of complex shapes. 6. Dezember 2017, abgerufen am 25. Dezember 2017.
  6. Valentin L. Popov, Markus Heß: Methode der Dimensionsreduktion in Kontaktmechanik und Reibung. Springer, 2013, ISBN 978-3-642-32673-8.
  7. Elena Popova, Valentin L. Popov: Ludwig Föppl and Gerhard Schubert: Unknown classics of contact mechanics. In: ZAMM - Journal of Applied Mathematics and Mechanics / Zeitschrift für Angewandte Mathematik und Mechanik. Band 100, Nr. 9, 2020, S. e202000203, doi:10.1002/zamm.202000203.
  8. Bo N.J. Persson: Contact Mechanics for Randomly Rough Surfaces: On the Validity of the Method of Reduction of Dimensionality. Tribology Letters 58, 2015, doi:10.1007/s11249-015-0498-1.
  9. V.L. Popov.: Comment on “Contact Mechanics for Randomly Rough Surfaces: On the Validity of the Method of Reduction of Dimensionality” by Bo Persson in Tribology Letters. Tribology Letters 60, 2016, S. 1–7, doi:10.1007/s11249-015-0608-0.
  10. Iakov A. Lyashenko, Lars Pastewka, Bo N.J. Persson: On the validity of the method of reduction of dimensionality: area of contact, average interfacial separation and contact stiffness. Tribology Letters 52, 2013, doi:10.1007/s11249-013-0208-9 (arxiv:1303.0965).
  11. Li et al.: A Reply to the Comment by I.A. Lyashenko et al. Phys Rev Lett 111, 2013, doi:10.1103/PhysRevLett.111.189402.

Weblinks Bearbeiten