Ilse Ester Hoffe

israelische Nachlassverwalterin Max Brods

Ilse Ester Hoffe (geboren als Ilse Esther Reich 8. Mai 1906 in Troppau, Österreich-Ungarn; gestorben 2. September 2007 in Tel Aviv) war die Sekretärin und Lebensgefährtin des Schriftstellers und Kafka-Herausgebers Max Brod.

Leben Bearbeiten

Ilse Esther Reich war eine Tochter des Oberbaurats Josef Reich und der Hedwig Nobel. Sie besuchte das Lyzeum in Troppau, ging zum Französischlernen an ein Lycée in Nancy und zum Englischlernen nach England. Hoffe floh 1939 mit Mann und zwei Kindern aus dem deutsch-besetzten Prag nach Frankreich und 1940 nach Palästina. Dort lernte sie Max Brod kennen und wurde seine Mitarbeiterin.[1] Hoffe veröffentlichte ab 1947 eigene Gedichte in deutschen und Schweizer Zeitungen und 1967 einen Gedichtband in München.

Max Brods Nachlass und die Kafka-Handschriften Bearbeiten

Max Brod hatte Ilse Ester Hoffe 1947 die Kafka-Handschriften aus seinem Besitz geschenkt, darunter Briefe und die Manuskripte von Kafkas Process, Beschreibung eines Kampfes und Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande. Er bestätigte die Schenkung 1952, indem er auf die jeweiligen Mappen mit Datum und Unterschrift schrieb: „Dies ist Eigentum von Ester Hoffe “, was diese mit dem Satz quittierte: „Ich nehme diese Schenkungen an. “ Nach Brods Tod 1968 erbte sie dessen literaturhistorisch bedeutenden Nachlass, darunter die Korrespondenz Max Brods und wichtige Manuskripte zum Werk Franz Kafkas, mit der Auflage, dass die materiellen Rechte und Ansprüche aus Kafkas Handschriften nach ihrem Tod ihren Erben zufallen sollten, diese aber verpflichtet seien, diesen Teil des Nachlasses „der Bibliothek der Hebräischen Universität Jerusalem oder der Städtischen Bibliothek Tel Aviv oder einem anderen öffentlichen Archiv im Inland oder Ausland“ zu übergeben und wissenschaftlich zugänglich zu machen.[2][3] Hoffes Umgang mit diesem Nachlass wurde wiederholt kritisiert, insbesondere dass sie immer wieder Teile daraus verkaufte oder auf Auktionen versteigern ließ, ohne dass sie bereit war, mit der literaturwissenschaftlichen Forschung zusammenzuarbeiten.[4][5] Auf diese Weise gelangte 1988 mit Der Process das Romanmanuskript Kafkas nach einer Versteigerung beim Auktionshaus Sotheby’s zunächst in eine private Sammlung, später in das Deutsche Literaturarchiv in Marbach. Bei der Versteigerung wurde der Preis von einer Million Pfund erzielt, umgerechnet damals 3,5 Millionen D-Mark, der höchste Betrag, der jemals für ein Manuskript der modernen Literatur gezahlt wurde.[2][6][7][8]

Andere Teile aus Brods und Kafkas Nachlass verblieben dagegen unzugänglich in Hoffes Besitz.[9][10] Nach ihrem Tod im hohen Alter von 101 Jahren machten sich Literaturwissenschaftler Hoffnung, den Nachlass erschließen zu können.[11][12]

Eva Hoffe und Ruth Wiesler (1932–2012), die beiden Töchter Esther Hoffes, strengten nach dem Tod ihrer Mutter einen Prozess um den Nachlass Brods und Kafkas gegen die Israelische Nationalbibliothek an. Anfang Januar 2010 verfügte ein Gericht in Tel Aviv, dass sie sich bis spätestens 15. Januar 2010 mit dem israelischen Nationalarchiv und der Nationalbibliothek über den Zugang zu fünf Bankschließfächern mit Manuskripten Kafkas einigen müssen, sonst würden die Safes von Gerichts wegen zwangsweise geöffnet.[13]

Am 20. Januar 2010 wurde bekannt, dass die Öffnung angeordnet wurde. Ein vom Gericht bestellter Gutachter sollte die Rechtmäßigkeit der Schenkungsurkunde von Max Brod an die Familie Hoffe überprüfen. Die Schwestern wollten den Nachlass von Brod und die verbliebenen Kafka-Dokumente an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach verkaufen. Dagegen erhob die Israelische Nationalbibliothek in Jerusalem Anspruch auf Herausgabe des Nachlasses. In der Tat gaben die israelischen Gerichte durch alle Instanzen der Nationalbibliothek recht, zuletzt im August 2016 am Obersten Gericht der Richter Eljakim Rubinstein.[2][14] Dan Miron kritisierte dieses Urteil in Ha´aretz scharf, denn mit dem Urteil des Obersten Gerichts würden völlig unangebracht "nationalistisches Denken und lokale Interessen über die universellen und objektiven Interessen der literarischen Kultur" gestellt.[15] Eva Hoffe kommentierte das Urteil mit den vielsagenden Worten, es zeige und belege den "Willen, Besitz zu ergreifen, nicht Recht zu sprechen."[16] Und in der Tat mutet es seltsam an, dass das Gericht aus eigener Machtvollkommenheit bestimmte, an welche Institution der Nachlass gehen sollte, anstatt diese Entscheidung der Schlusserbin Eva Hoffe zu überlassen, wie Max Brod das ausdrücklich verfügt hatte.

Literatur Bearbeiten

  • Alisa Douer: Neuland. Israelische Künstler österreichischer Herkunft. Picus, Wien 1997, ISBN 3-85452-407-2, S. 166f. (Begleitbuch zu der gleichnamigen Ausstellung).
  • Benjamin Balint: Kafkas letzter Prozess. Übersetzung aus dem Englischen Anne Emmert. Berlin : Berenberg, 2019, ISBN 978-3-946334-48-4
  • Renate Wall: Verbrannt, verboten, vergessen. Kleines Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1933 bis 1945. Köln : Pahl-Rugenstein, 1989, S. 66

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Nachruf in: Süddeutsche Zeitung, 18. September 2007, S. 16
  2. a b c Andreas Kilcher: Epischer Streit findet ein Ende, in Neue Zürcher Zeitung vom 13. August 2016, abgerufen am 19. Februar 2018
  3. Benjamin Balint: Kafkas letzter Prozess. Berenberg Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-946334-48-4, S. 41.
  4. vgl. die Vorwürfe von Klaus Wagenbach: Kneipenszene mit Frieda. In: Der Spiegel. Nr. 35, 1982, S. 160 (online).
  5. Wieland Freund: Kafka-Papiere überstanden Katzen und Wasser. In: Die Welt (online), 7. Juli 2008
  6. Terry Trucco: A Kafka Manuscript Is Sold for $1.98 Million. In: The New York Times, 18. September 1988.
  7. Rita Reif: Kafka's Manuscript Of 'The Trial' to Go On the Auction Block. In: The New York Times, 20. September 1988.
  8. SWR: Kafka - Der letzte Prozess (Memento vom 22. November 2016 im Internet Archive), 20. November 2016, 10:40 Uhr, 51 min., ab 26. min., abgerufen am 21. November 2016
  9. vgl. Brigitte Desalm: Die Spur der Schrift (Memento vom 28. September 2007 im Internet Archive). In: Kölner Stadtanzeiger, 4./5. Oktober 1998
  10. Andreas B. Kilcher: Kafka als Zeichner, in: IASLonline, 23. Februar 2005
  11. Sendung Kultur heute, Deutschlandfunk, 7. Juli 2008
  12. Ofer Aderet: Bidding war erupts over Kafka's Tel Aviv legacy. In: Haaretz, 10. Juli 2008
  13. Jüdische Allgemeine, 7. Januar 2010 (auf Basis eines Berichts der Haaretz)
  14. Benjamin Balint: Kafkas letzter Prozess in Die Zeit vom 12. September 2016 [1], abgerufen am 19. Februar 2018
  15. Benjamin Balint: Kafkas letzter Prozeß. Berenberg Verlag, Berlin, ISBN 978-3-946334-48-4, S. 233.
  16. Benjamin Balint: Kafkas letzter Prozeß. Berenberg Verlag, Berlin, ISBN 978-3-946334-48-4, S. 232.