Harry Wörz

deutscher Bauzeichner, mehrfach freigesprochener Verdächtigter

Harry Wörz (* 3. Mai 1966 in Birkenfeld) wurde in der Öffentlichkeit als Justizopfer bekannt. Ein Gericht sprach ihn im Januar 1998 des versuchten Totschlags an seiner damaligen Ehefrau schuldig. Wörz saß von Ende April 1997 bis zu seiner vorläufigen Haftentlassung im November 2001 viereinhalb Jahre im Gefängnis. Ein Wiederaufnahmeverfahren endete im Dezember 2010 mit Freispruch. Der Fall erregte bundesweit Aufsehen. Die weiteren Hauptverdächtigen, ein Beamter des ermittelnden Polizeireviers und der Vater der Geschädigten, wurden nie juristisch belangt.

Biografie Bearbeiten

Nach dem Besuch der Grund- und Hauptschule absolvierte Harry Wörz eine Ausbildung zum Gas- und Wasserinstallateur. Später holte er die Mittlere Reife nach und machte eine Umschulung zum Bauzeichner. Im September 1994[1] heiratete er eine Polizistin, im März 1995 wurde ein gemeinsamer Sohn geboren.[2] Ein Jahr nach der Geburt zog die Frau aus der gemeinsamen Wohnung aus und begann ein Verhältnis mit einem verheirateten Kollegen. Harry Wörz lebt seit 2001 in einer Beziehung zu einer anderen Frau, mit der er eine Tochter hat.

Strafverfahren Bearbeiten

Verhaftung Bearbeiten

Am 29. April 1997 verhaftete die Polizei Wörz in seinem Wohnort Gräfenhausen. Seine wieder bei ihren Eltern in Birkenfeld wohnende Ex-Frau war in den frühen Morgenstunden mit einem Schal stranguliert worden. Ihr Vater, ein Polizeibeamter, schlief zu diesem Zeitpunkt in der Einliegerwohnung des Hauses und fand seine Tochter nach zwei Uhr nachts bewusstlos auf. Durch Erste-Hilfe-Maßnahmen belebte er seine Tochter wieder. Diese ist seither, bedingt durch schwere Hirnschäden infolge Sauerstoffmangels, ein Pflegefall und kann keine Aussagen über den Täter machen. Die Ermittlungen der Pforzheimer Polizei richteten sich anfänglich neben Wörz auf den Geliebten des Opfers, ebenfalls ein Polizeibeamter. Dessen Ehefrau gab ihm jedoch ein Alibi, woraufhin dieser Ermittlungsansatz nicht weiter verfolgt wurde.

Urteile Bearbeiten

Am 16. Januar 1998 verurteilte das Landgericht Karlsruhe Harry Wörz wegen versuchten Totschlags zu elf Jahren Gefängnis. Dagegen legte er Revision ein, die der Bundesgerichtshof im August 1998 verwarf. Das Urteil des Landgerichts Karlsruhe war damit rechtskräftig.

Zivilprozess Bearbeiten

Die Eltern des Opfers verklagten Wörz im Oktober 1999 vor dem Landgericht Karlsruhe auf 300.000 DM (inflationsbereinigt heute ca. 240.000 Euro) Schmerzensgeld und Schadenersatz für ihre dauerhaft auf Pflege angewiesene Tochter. Am 6. April 2001 wurde die Klage mit der Begründung abgewiesen, es bestünden erhebliche Zweifel an der Schuld des Beklagten. Das Landgericht fügte der ausführlichen Beweiswürdigung in seinem Urteil einige kritische Anmerkungen zu den Ermittlungen der Pforzheimer Polizei hinzu.[3]

Für dieses Zivilverfahren hatte sich Wörz am 28. März 2000 einem Lügendetektortest beim Experten Udo Undeutsch unterzogen. Dessen Gutachten kam zum Ergebnis, Wörz sage die Wahrheit. Für das Urteil hatte der Test aber keine Bedeutung.

Wiederaufnahmeverfahren Bearbeiten

Im Oktober 2001 stellte Wörz beim Landgericht Mannheim einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Dieser wurde abgelehnt, wogegen er Beschwerde einlegte. Am 30. November 2001 ordnete das Oberlandesgericht Karlsruhe die Prüfung des Falls und Wörz' vorläufige Entlassung aus der Haft an. Im März 2004 lehnte das Landgericht Mannheim ein Wiederaufnahmeverfahren erneut ab. Auch dagegen legte Wörz vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe Beschwerde ein. Dieses verfügte nunmehr die Wiederaufnahme des Verfahrens. Der neue Prozess begann am 30. Mai 2005. Nach 19 Verhandlungstagen wurde Wörz am 6. Oktober 2005 „aus Mangel an Beweisen“ freigesprochen.

Im Oktober 2006 hob der Bundesgerichtshof unter dem Vorsitzenden Richter Armin Nack den Freispruch auf.[4] Daraufhin begann am 22. April 2009 ein weiteres Verfahren vor dem Landgericht Mannheim, das am 22. Oktober 2009 wiederum mit Freispruch endete.[5][6] Die Kammer hielt es für wahrscheinlich, dass der damalige Geliebte der Frau der Täter sei. Bei der Urteilsfindung spielten gravierende Ermittlungsfehler von Polizei und Staatsanwaltschaft eine Rolle, die im Ergebnis zu der Verurteilung im ersten Verfahren geführt hatten. Das Urteil wurde zunächst nicht rechtskräftig, da der anwaltliche Vertreter der Nebenklage und die Staatsanwaltschaft Revision einlegten.[7] Diese wurde vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe am 15. Dezember 2010 verworfen,[8] womit Wörz rechtskräftig freigesprochen ist.[9][10] Am 14. Januar 2013 stellte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe sämtliche Ermittlungen ein. Für einen anderen Täter gebe es keinen Anfangsverdacht, teilte die Behörde mit.[11]

Entschädigung Bearbeiten

2012 erhielt Harry Wörz zwei Vorschüsse: den einen auf die Haftentschädigung in Höhe von 41.900 Euro (25 Euro pro Hafttag),[12] den anderen auf den Ausgleich des materiellen Schadens. 2014 sprach ihm die Generalstaatsanwaltschaft wegen strafverfolgungsbedingter Erwerbsunfähigkeit eine zeitlich befristete monatliche Zahlung zu.[13]

Am 25. Juli 2014 wurde bekannt, dass Wörz das Land Baden-Württemberg auf weitere Entschädigungszahlungen verklagt hatte.[14] Er forderte 86.000 Euro Verdienstausfall und 26.000 Euro Schadensersatz für die Kosten seiner Anwälte und die Möbel aus seiner Wohnung, die aufgelöst worden war, während er in Haft saß.[15]

Ende 2016 einigte Wörz sich schließlich mit dem Land Baden-Württemberg auf eine Entschädigungssumme von 450.000 Euro.[16][17]

Der Fall in den Medien Bearbeiten

Die Verfahren gegen Harry Wörz fanden ein großes mediales Echo. So bezeichnete Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online das Verfahren als einen der „ungewöhnlichsten Prozesse der deutschen Rechtsgeschichte“[18] und begleitete den Fall mit weiteren Berichten.[19] Auch das ZDF, der SWR sowie zahlreiche (auch überregionale) Zeitungen berichteten über die Prozesse gegen Wörz.[20][21][22]

Gunther Scholz drehte drei Dokumentarfilme (2001, 2006 und 2010) über den Fall. Im Juli 2013 begannen die Produktionsfirma teamWorx und der SWR mit Dreharbeiten für den Fernsehfilm Unter Anklage: Der Fall Harry Wörz, der die Ereignisse widerspiegelt und (erstmals) am 29. Januar 2014 im Ersten gezeigt wurde.[23]

Literatur Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Urteil des Landgerichts Mannheim vom Oktober 2005, Ks 400 Js 37766/01 (PDF)
  2. Die ganze Geschichte (Memento vom 29. Oktober 2010 im Internet Archive) (Selbstdarstellung von Seite harrywoerz.de)
  3. Urteil Landgericht Karlsruhe vom 6. April 2001 8 O 152/99
  4. BGH 1 StR 180/06 - Urteil vom 16. Oktober 2006
  5. Harry Wörz freigesprochen@1@2Vorlage:Toter Link/www.swp.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2018. Suche in Webarchiven). Südwest Presse online vom 22. Oktober 2009
  6. Freispruch für Harry Wörz Homepage des Südwestrundfunks
  7. Staatsanwaltschaft legt Revision ein www.focus.de
  8. BGH 1 StR 254/10 - Urteil vom 15. Dezember 2010
  9. Harry Wörz ist endgültig ein freier Mann in: Spiegel Online vom 15. Dezember 2010
  10. Harry Wörz ist endgültig frei in SWR.de - Nachrichten vom 15. Dezember 2010
  11. Spiegel Online vom 14. Januar 2013
  12. Justizopfer: Harry Wörz bekommt 41.900 Euro Haftentschädigung. In: Badische Zeitung. 19. Januar 2012, online auf Badische-Zeitung.de, abgerufen am 31. Januar 2017.
  13. Justizopfer: Harry Wörz erhält Entschädigung. In: Der Spiegel. 17. April 2014, online auf Spiegel.de, abgerufen am 31. Januar 2017.
  14. Gisela Friedrichsen: Justizopfer: Harry Wörz klagt auf weitere Entschädigung. In: Der Spiegel. 25. Juli 2014, online auf Spiegel.de, abgerufen am 31. Januar 2017.
  15. Landgericht Karlsruhe: Justizopfer Harry Wörz fordert höhere Entschädigung. In: Badische Zeitung. 8. Juni 2015, online auf Badische-Zeitung.de, abgerufen am 31. Januar 2017.
  16. Vergleich in Baden-Württemberg: 450.000 Euro Entschädigung für Justizopfer Harry Wörz. In: Legal Tribune Online zum Beschluss des Landgerichts Karlsruhe, Az. 10 O 370/14, auf LTO.de, abgerufen am 31. Januar 2017.
  17. Harry Wörz bekommt 450.000 Euro vom Land. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Januar 2017, abgerufen am 20. Februar 2017.
  18. Spiegel Online (Hrsg.): Geliebter verstrickt sich in Widersprüche, 12. Mai 2009. Abgerufen am 8. Mai 2011.
  19. Julia Jüttner: Letzte Chance für Harry Wörz, 22. April 2009. Abgerufen am 8. Mai 2011.
  20. ZDF (Hrsg.): Justizdrama beendet: Harry Wörz freigesprochen@1@2Vorlage:Toter Link/www.heute.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2018. Suche in Webarchiven), 15. Dezember 2010. Abgerufen am 8. Mai 2011.
  21. SWR Online (Hrsg.): Freispruch für Harry Wörz aufgehoben, 17. Oktober 2006. (Kopie auf harrywoerz.de; PDF; 79 kB)
  22. FAZ.NET (Hrsg.): Prozeß gegen Harry Wörz wird wieder neu aufgerollt, 16. Oktober 2006. Abgerufen am 8. Mai 2011.
  23. Das Erste online - Programm - Unter Anklage: Der Fall Harry Wörz. Abgerufen am 18. Januar 2014.