Hanns Cibulka

deutscher Schriftsteller

Hanns Cibulka (* 20. September 1920 in Jägerndorf, Tschechoslowakei, heute: Krnov, Tschechien als Johannes Paul Cibulka; † 20. Juni 2004 in Gotha) war ein deutscher Schriftsteller (Lyriker, Erzähler und Tagebuchautor).

Leben Bearbeiten

Hanns Cibulka wurde als Sohn eines Appreturmeisters im mährisch-schlesischen Jägerndorf geboren und wuchs dort auf. Er erlernte zunächst den Beruf des Handelskaufmanns. Mit 19 Jahren eingezogen, musste er als Wehrmachtssoldat am Zweiten Weltkrieg von Anfang bis Ende teilnehmen, zuerst in Polen und der Ukraine, dann in Italien. Auf Sizilien kam er in britische Kriegsgefangenschaft, aus der er nach der Vertreibung der Eltern nicht mehr in die sudetenländische Heimat zurückkehren konnte.

Nach Thüringen gelangt, wechselte er 1948 in Jena zur Bibliothekslaufbahn und studierte 1949 bis 1951 an der Bibliotheksschule in Ost-Berlin. 1953 übernahm Cibulka die Leitung der Gothaer Heinrich-Heine-Bibliothek in der Orangerie Gotha, die er bis zu seiner Pensionierung 1985 innehatte.

Cibulka war, in erster Ehe, Vater eines Sohnes und einer Tochter.

Werk und Wirkungen Bearbeiten

Hanns Cibulka zählt zu den unabhängigen, kritischen Geistern unter den DDR-Autoren, die von dauerhaftem gesamtdeutschen Interesse bleiben.

Sein literarisches Werk umfasst Gedichte ebenso wie eine Tagebuchprosa spezifischen Charakters. Cibulka begann mit Versen, und lange dominierte die Lyrik sein Schaffen. Nach anfänglicher Orientierung an klassischen Vorbildern – Hölderlin, Platen, Rilke, Trakl – öffnete er sich bald auch den Einflüssen der internationalen Moderne. In der Folge entwickelte er seinen eigenen Stil bildkräftiger Intensität und höchster sprachlicher Konzentration. Dabei gelangte er vielfach zu Gedicht-Schöpfungen, die zu den eindrucksstärksten der neueren deutschen Literatur gehören.

Lyrik Bearbeiten

Thematisch ist der Bogen weit gespannt: Bis in die späten Jahre hinein wirkte das Trauma des Heimatverlustes nach, so wie die tief einschneidende Erfahrung des Krieges. Seine ersten Gedichte schrieb er als junger Wehrmachtssoldat in der Ukraine, sein Ukrainisches Largo, „ein stummes Bild des Schreckens“,[1] wurde 1968 veröffentlicht.

Im positiven Kontrapunkt dazu wurde das Erleben – noch – unversehrter Landschaft wichtig, zunächst der italienischen, darauf der deutschen: in der neuen Heimat Thüringen und an der Ostsee (Hiddensee, Rügen). Einfühlsame Porträts widmete Cibulka sodann den Großen der Vergangenheit in Musik, Kunst und Literatur, ebenso historisch bedeutsamen Gestalten des Protests und der Rebellion. Von den bedrängenden und bedrohlichen Entwicklungen der Gegenwart blendete er keine aus. So führte Cibulka, als einer der Ersten, auch in der Lyrik den fortschreitenden Ruin von Natur und Umwelt vor Augen.

Jenseits dessen jedoch erhielt das persönliche Erlebnisgedicht nach wie vor besonderen Raum. Hier fand Cibulka immer wieder zu einem überraschend unverbrauchten, unmittelbar bewegenden Ausdruck, zumal in der Elementarsphäre von Lieben und Sterben. In schwungvoll-vitalen „Trinkliedern“ zeigte er sich schließlich auch als Virtuose eines leichten, lockeren Tonfalls.

Tagebuchprosa Bearbeiten

Cibulka der Versautor war kein bloßer Geheimtipp: Von der konzessionslos repräsentativen Auswahl Gerhard Wolfs wurden zwischen 1986 und 1989 bei Reclam Leipzig noch über 30.000 Bändchen verkauft – eine für Gedichtpublikationen erstaunliche Zahl. Insgesamt erzielte er als Prosaist die größere Breitenwirkung. Seine Tagebuch-Notate, in denen sich erzählerische, schildernd-bildhafte und betrachtsam-reflexive Momente zwanglos verbanden, trafen seit Beginn der siebziger Jahre in der DDR auf ein zunehmend interessiertes Leserpublikum. Aktueller Anlass ist fast immer eine Reise oder ein längerer Aufenthalt in andersartiger, außeralltäglicher Umgebung. Erkennbar wird auch hier die zentrale Bedeutung des Landschaftserlebnisses.

Entsprechend lässt sich das runde Dutzend dieser Prosabücher nach Schauplätzen gruppieren: Anfang und Ende bildeten Tagebücher aus Italien: Sizilien, Umbrien, zuletzt Pisa und Venedig. Sanddornzeit eröffnete 1972 die Reihe der Ostseetagebücher. Die Dornburger Blätter – frühestes der Thüringer Tagebücher (1972) – rühmen dagegen die südliche Anmut der Gegend um die bekannten Goethe-Schlösser – der große Weimarer ist, im Nacherleben, überall gegenwärtig.

1974 hatte Cibulka für seine Liebeserklärung in K das Schloss Kochberg als Domizil erwählt. Er blättert in Briefen Goethes an Frau von Stein und belebt seine Erinnerungen an die Polin Halina aus Kremenez. Es ist eine Liebesgeschichte zwischen dem Soldaten im Zweiten Weltkrieg und einer jungen polnischen Frau, deren Spuren sich in den letzten Kriegstagen verliert. In Seedorn (1985) konfrontiert er erneut mit polnischer Geschichte, am Beispiel der Wiederbegegnung mit der ehemaligen polnischen Freundin Esther. Hier wird der mystische „Christophorus“ von Gerhart Hauptmann zum Gleichnis gegen Gefährdungen und Bedrohungen.

Swantow dann (1982), wieder ein „Ostseetagebuch“, diesmal während eines Sommers auf Rügen verortet, lässt in einem scheinbar abgeschiedenen Swantow unter Gleichgestimmten offiziell Verschwiegenes zur Sprache kommen. Kaum verhohlen übt das Werk Kritik an Realitäten der DDR, vor allem an den alarmierenden Umweltzerstörungen. Man hat mit Blick auf Swantow von Cibulka als einem ersten „Grünen“ unter ostdeutschen Autoren gesprochen. Die staatliche Repression blieb nicht aus, die Resonanz unter den Lesern war trotzdem, oder eben deswegen, groß. In einem weiteren „Thüringer Tagebuch“, Wegscheide (1988), wird die Kritik wiederholt, nun jedoch ins Grundsätzliche, Universelle erhoben: Zurückgezogen, in der Stille seiner Finnhütte am Thüringer Wald, resümiert der Autor die globale Situation: Es geht um nicht weniger als einen welthistorischen Bewusstseinswandel.

Nach der Wende in der DDR stieg gelegentlich einer Reise in die alte, nun völlig veränderte Heimat die Erinnerung an die verschollene Kindheits- und Jugendwelt zum Hauptthema auf (Am Brückenwehr, 1994). Zuvor schon war das sizilianische Kriegstagebuch aus dem Jahr 1943 erstmals gedruckt erschienen – mit dem Bericht über einen aktuellen Italien-Besuch gekoppelt, wurde es 2000 erneut herausgebracht. Im Gedenken an den hoch geschätzten Ezra Pound bezeichnet Cibulka hier bekenntnishaft seine eigene Position: „Der Künstler ist und bleibt ein Rebell, er leistet dort Widerstand, wo der Zeitgeist stagniert.“

Sonstiges Bearbeiten

 
Grabstein auf dem Gothaer Hauptfriedhof

Cibulka verstarb 2004 in Gotha; seine Urne wurde nach dem Willen seiner Frau auf dem Erfurter Hauptfriedhof beigesetzt. Im Juni 2013 bewilligte der Gothaer Stadtrat dem „verdienstvollen Gothaer“ eine Ehrengrabstätte auf dem Hauptfriedhof Gotha.[2] Im April 2014 wurde Cibulka in den dortigen Ehrenhain umgebettet. Am 25. Juni (10. Todestag war der 20. Juni 2014) wurde seine nunmehr letzte Ruhestätte mit einer öffentlichen Gedenkstunde eingeweiht.[3] Darüber hinaus benannte die Gothaer Stadtbibliothek „Heinrich Heine“ im März 2014 den Lese- und Veranstaltungssaal im neuen Anbau am Philosophenweg nach dem Schriftsteller „Hanns-Cibulka-Saal“.

Werke Bearbeiten

  • 1954: Märzlicht. Gedichte. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig.
  • 1959: Zwei Silben. Gedichte Volksverlag, Leipzig
  • 1960: Sizilianisches Tagebuch. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig.
  • 1962: Arioso. Gedichte. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig.
  • 1963: Umbrische Tage. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig.
  • 1968: Windrose. Gedichte. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig.
  • 1971: Sanddornzeit. Tagebuchblätter von Hiddensee. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig.
  • 1972: Dornburger Blätter. Briefe und Aufzeichnungen. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig.
  • 1973: Lichtschwalben. Gedichte. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig.
  • 1974: Liebeserklärung in K. Tagebuchaufzeichnungen. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig.
  • 1977: Lebensbaum. Gedichte. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig.
  • 1978: Das Buch Ruth. Aus den Aufzeichnungen des Archäologen Michael S. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig.
  • 1980: Der Rebstock. Gedichte. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig.
  • 1982: Swantow. Die Aufzeichnungen des Andreas Flemming. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig.
  • 1982: Gedichte Verlag Neues Leben, Berlin(Ost) (= Poesiealbum. 181)
  • 1984: Seit ein Gespräch wir sind / E noi siamo dialogo. Gedichte/Poesie. Zweisprachige Ausgabe. Forum/Quinta Generazione, Forli.
  • 1985: Seedorn. Tagebucherzählung. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig.
  • 1986/1989: Losgesprochen. Gedichte aus drei Jahrzehnten. Auswahl und Nachwort Gerhard Wolf. Reclam, Leipzig (= Reclams Universal-Bibliothek. 1100), ISBN 3-379-00209-7.
  • 1988: Wegscheide. Tagebucherzählung. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig, ISBN 3-354-00301-4.
  • 1989: Nachtwache. Tagebuch aus dem Kriege. Sizilien 1943. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Leipzig, ISBN 3-354-00508-4.
  • 1991: Ostseetagebücher. Reclam, Leipzig (= Reclam-Bibliothek, 1398) ISBN 3-379-00693-9.
  • 1992: Dornburger Blätter. Aufbau-Taschenbuch-Verlag, Berlin ISBN 3-7466-0150-9.
  • 1993: Thüringer Tagebücher. Reclam, Leipzig (= Reclam-Bibliothek. 1457) ISBN 3-379-01457-5.
  • 1994: Am Brückenwehr. Zwischen Kindheit und Wende. Reclam, Leipzig, ISBN 3-379-01490-7.
  • 1996: Die Heimkehr der verratenen Söhne. Tagebucherzählung. Reclam, Leipzig, ISBN 3-379-01553-9.
  • 1998; ²2005: Tagebuch einer späten Liebe. Reclam, Leipzig, ISBN 3-379-01615-2.
  • 2000: Sonnenflecken über Pisa. Reclam, Leipzig, ISBN 3-379-01700-0.
  • 2004: Späte Jahre. Reclam, Leipzig, ISBN 3-379-20083-2.
posthum
  • 2005: Jedes Wort ein Flügelschlag. Gedichte, Prosa, Notate. Hrsg. v. Günter Gerstmann. Notschriften-Verlag, Radebeul, ISBN 3-933753-78-3.
  • 2005: Die blaue Farbe des Windes. Ausgewählte Lyrik und Prosa. Aquarelle und Zeichnungen von Gudrun Kraft-Methfessel. Vorwort Heinz Puknus. Glaux Verlag Christine Jäger, Jena, ISBN 3-931743-87-X.
  • 2010: Labyrinth des Lebens. Ein Brevier Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Hans-Dieter Schütt. Eulenspiegel Verlag, Berlin, ISBN 978-3-359-02275-6.
  • 2013: Hanns Cibulka. Thüringer Tagebücher. Mit Graphiken von Gunter Herrmann. Notschriften-Verlag, Radebeul, ISBN 978-3-940200-88-4.
  • 2013: Hanns Cibulka. Wo deine Fragen offen sind. Gedichte. Auswahl und Nachwort Heinz Puknus. Wartburg Verlag (Edition Muschelkalk der Literarischen Gesellschaft Thüringen e. V.), Weimar, ISBN 978-3-86160-340-5.

Auszeichnungen Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Georg Maurer: Begabung und Verpflichtung. In: Neue Deutsche Literatur. 1955. H. 10, S. 139–142.
  • Adolf Endler: Mut zu besserem Leben. In: Neue Deutsche Literatur. 1961. H. 2, S. 126–129. (Zu: Sizilianisches Tagebuch)
  • Adolf Endler: Probleme eines begabten Lyrikers. In: Neue Deutsche Literatur. 1963. H. 3, S. 145–153. (Zu: Arioso)
  • Eduard Zake: Selbstbesinnung und Standortbestimmung. In: Neue Deutsche Literatur. 1972. H. 10, S. 166–169. (Zu: Sanddornzeit)
  • Bernd Leistner: Cibulkas Tagebücher. In: Weimarer Beiträge. 1978: H. 9, S. 24–44.
  • Bernd Leistner: Hanns Cibulka, „Lebensbaum“. In: Weimarer Beiträge. 1979, H. 4, S. 123–133. (Zu: Lyrikband)
  • Horst Schiefelbein: „Schreiben - das ist meine Liebeserklärung an das Leben“. Gespräch. In: Neues Deutschland, 2. September 1980.
  • Heinz Stade: „Das Letzte muss man spüren“. Gespräch. In: Sonntag, 28. September 1980.
  • Reinhard Losik: Alternative Töne von einem DDR-Lyriker. In: Frankfurter Rundschau, 2. Juni 1981.
  • Gerhard Dahne: Swantow oder Hinter Masken reden wir mit Masken. In: Neue Deutsche Literatur, H. 10. S. 125–129.
  • Klaus Höpcke: Sicht auf Swantow – Überzeugendes und Bezweifelbares. In: Sinn und Form, 1984, H. 1, S. 165–177.
  • Ulf Heise: Faszinierende Meditationen. In: Dresdner Neueste Nachrichten, 3. August 1988. (Zu: Wegscheide)
  • Siegfried Stadler: Der Einzelne, der andere mit sich trägt. Gespräch. In: Sächsisches Tageblatt, 14. Oktober 1989.
  • Günter Gerstmann: Der Tagebuchschreiber In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Frankfurt am Main, 30. Oktober 1990.
  • Konrad Franke: In Thüringen goethenah. In: Süddeutsche Zeitung, 5./6. Juni 1993. (Zu: Thüringer Tagebücher)
  • Konrad Franke: In Krnov. In: Süddeutsche Zeitung, 2. April 1994. (Zu: Am Brückenwehr)
  • Hans-Georg Albig: Umbruch war nur äußerlich. Gespräch. In: Thüringische Landeszeitung, 11. Februar 1995.
  • Günter Gerstmann: „Ich glaube an das spirituelle Zeitalter“. Gespräch. In: Palmbaum, Nr. 14, 1996, H. 2, S. 52–57.
  • Jürgen Israel: Wertkonservativer Dichter. In: Tag des Herrn, 17. September 2000.
  • Hans-Dieter Schütt: Der Langsamgeher. In: Neues Deutschland, 22. Juni 2004 (Nachruf).
  • Günter Burgmann: „Schreiben heißt: Sprechen mit dem Menschen“. Persönliche Notizen zum Ableben des Schriftstellers H. C. In: Der Vertriebene, 2004, H. 8, S. 30 f.
  • Günter Burgmann: Hanns Cibulka. Fünf Jahre nach seinem Tod. In: Der Vertriebene, 2009, H. 6, S. 29.
  • Wulf Kirsten: Freundschaft mit der Erde. In: Neues Deutschland, 20. September 2010 (zum 90. Geburtstag).
  • Günter Gerstmann: „Ich habe nichts als das Wort“. Beiträge zum Werk Hanns Cibulkas. Fotografien: Georg Jeske. Notschriften-Verlag, Radebeul 2010, ISBN 978-3-940200-56-3.
  • Dieter Fechner: Persönliche Begegnungen mit Thüringer Autoren im 20./21. Jahrhundert. Verlag Rockstuhl, Bad Langensalza 2014, ISBN 978-3-86777-718-6, Hanns Cibulka (1920–2004), S. 33–38.
  • Hans-Dieter Schütt: Wie das Dunkel leuchtet. Vor hundert Jahren wurde der Dichter Hanns Cibulka geboren. In: nd.Die Woche, 19./20. September 2020, S. 16.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Sebastian Kleinschmidt: Hanns Cibulka: „Ukrainisches Largo“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. Februar 2023, Nr. 42, S. 16.
  2. Claudia Klinger: Ehrengrab für Hanns Cibulka auf dem Hauptfriedhof Gotha. In: Thüringer Allgemeine, 7. Juni 2013.
  3. Heinz Puknus: Vor zehn Jahren starb Hanns Cibulka. Gedenkstunde in Gotha. In: Thüringer Allgemeine, 20. Juni 2014.

Weblinks Bearbeiten