Gruen-Effekt

psychologischer Effekt, bei dem Besucher eines Einkaufszentrums durch dessen Gestaltung überwältigt, verwirrt und manipulierbar gemacht werden sollen
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Der Gruen-Effekt ist ein nach dem Erbauer des ersten Einkaufszentrums, Victor Gruen, benannter Effekt der Verwirrung, der bei Besuchern großer Einkaufszentren festgestellt werden kann. Er wird von Kaufhäusern bewusst eingesetzt, um die Besucher zu ungewollten Spontankäufen zu verleiten.

Bon Marché, Paris – Innenansicht
Shopping Mall, Vergnügungszone

Definition Bearbeiten

Als 1956 das erste überdachte, zweistöckige Einkaufszentrum in der Stadt Southdale (nahe Minneapolis) errichtet wird, bot es die optimale Gelegenheit, das Einkaufsverhalten der Kunden zu beobachten und zu analysieren. Die an diesen Untersuchungen beteiligten Psychologen stellten fest, dass Größe und Erscheinung eines solchen Einkaufszentrums eine besondere Sogwirkung auf die Kunden haben. In dem Moment, in dem ein Kunde ein Einkaufszentrum betritt und von der Größe, der gewollten Unübersichtlichkeit und dem Glanz des Einkaufszentrums überwältigt wird, vergisst er seine ursprünglichen Ziele und wird für Verkaufsmanipulationen empfänglich. Er wird zum Spontankäufer.[1][2]

Merkmale Bearbeiten

Der Gruen-Effekt zeigt sich bei den betroffenen Personen an Merkmalen wie einer Verlangsamung des Gehens, einem verschwommenen Blick und einem Gefühl von Verwirrung. Sie verweisen auf eine veränderte psychische Verfassung, in der Menschen anfälliger für Manipulationen sind.

Marktforscher gehen davon aus, dass die Hälfte aller Einkäufe spontan erfolgen und auf den Gruen-Effekt zurückzuführen sind.[3]

Anwendung Bearbeiten

 
Fashion-Outlet-Center in Montabaur

Gruen entwickelte das Modell einer Einkaufsstadt, die auch Vorbild heutiger Einkaufszentren wurde, in denen mehrere Einzelhandelsgeschäfte und Dienstleistungsangebote unter einem Dach zu einer Stadt in der Stadt so verbunden sind, dass die Kunden dort gerne lange verweilen. Dazu tragen auch die Integration von Cafés und Restaurants bei.[4] Nach Erkenntnissen, dass ein zu starke geschlossene Wirkung bei manchen Personen klaustrophobische Ängste hervorrufen kann, ging man inzwischen dazu über, Gebäude mit Glasdächern zu versehen und offener zu gestalten. Um die eigene Zeit zu schaffen, kann Kunstlicht eingesetzt werden, das gegen Abend fehlendes Tageslicht ausgleicht.

Beim Bau von Einkaufszentren oder Casinos wird versucht, den beschriebenen Effekt hervorzurufen, indem das Einkaufszentrum möglichst als abgeschlossene Welt dargestellt wird, in der das Leben innerhalb einer eigenen Zeit abläuft. Die Trennung der Shopping-Zeit von der Realzeit erfolgt beispielsweise durch vollständige Überdachung des Gebäudes und Einsatz von Kunstlicht, das zu jedem Zeitpunkt dieselbe Umgebungshelligkeit erzeugt. Der gezielte Einsatz von Musik und Hintergrundgeräuschen trägt ebenfalls zum Gruen-Effekt bei. Der Effekt kann durch die Integration von Vergnügungszonen oder Essbereichen verstärkt werden.

Eine weitere Vartiante sind die Outlet Center, die kleine Städte simulieren, in denen Anbieten von Markenprodukten preiswert angeboten werden. Sie sind nur teilweise überdacht, erzeugen aber durch Eingangstore, Wegeführung und Gestaltung ebenfalls die Wirkung einer Geschlossenheit, durch die Sicherheit und Freude am ausgiebigen „Shoppen“ die Kaufbereitschaft zu erhöhen. Dazu dient eine gut bewachte Umgebung, ein idyllisch anmutenden Design, etwa durch Fachwerkfassaden, Gepflegtheit und Sauberkeit des gesamten Bereichs.[5]

Auch Supermärkte, etwa der Lebensmittelbranche nutzen die Erfahrungen mit dem Gruen-Effekt wie das Verlangsamen, die Lenkung des Blicks bei der Produktplatzierung oder die Verwirrung durch häufigeren Umbau des Geschäfts.[6][7]

Literatur Bearbeiten

  • Jon Casimir: The Gruen transfer. [Australian Broadcasting Corporation (Körperschaft)]. HarperCollins Publishers, Pymble, New South Wales 2010, ISBN 978-0-7333-2787-2.
  • Giandomenico Amendola: Urban mindscapes reflected in shop windows. In: Godela Weiss-Sussex, Franco Bianchini (Hrsg.): Urban mindscapes of Europe. (= European studies; Bd. 23) [Urban Mindscape of Europe Conference (2004 : Leicester)] Editions Rodopi, Amsterdam 2006, ISBN 978-90-420-2104-4, S. 81–96, darin auf S. 92.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Katharina Weingartner, Anette Baldauf: The Gruen effect. Victor Gruen and the Shopping Mall. Dokumentarfilm 2012. (Englisch mit deutschen Untertiteln).
  2. Victor Gruen (Autor), Anette Baldauf (Hrsg.): Shopping Town: Memoiren eines Stadtplaners (1903–1980). Böhlau Verlag, Wien 2014.
  3. Carlos Water: Wie Ikea den Gruen-Effekt beherrscht. 17. Oktober 2018. Abgerufen am 31. August 2022.
  4. Fotomaterial des Modells einer Shopping Town von Victor Gruen. Abgerufen am 1. September 2022
  5. FOC Ochtrup. Virtueller Rundgang. Youtube-Video. Abgerufen am 1. September 2022.
  6. Die Tricks der Supermärkte RPR1Redaktion vom 25. August 2018. Abgerufen am 1. September 2022.
  7. So einfach lassen sich Kunden im Supermarkt manipulieren. Welt, Wissenschaft vom 27. März 2022. Abgerufen am 1. September 2022.