Dispositionsmaxime

Verfahrensgrundsatz im Zivilprozess

Die Dispositionsmaxime (auch: Verfügungsgrundsatz) ist der bedeutendste Verfahrensgrundsatz (Prozessmaxime) im Zivilprozess. Sie besagt, dass das Verfahren, nach dem ein zivilrechtlicher Rechtsstreit vor Gericht ausgetragen wird, grundsätzlich durch die Parteien beherrscht wird. Die Dispositionsmaxime ist ebenso wie der materiell-rechtliche Grundsatz der Vertragsfreiheit – dessen prozessuales Pendant sie bildet – Ausdruck des allgemeinen Prinzips der Privatautonomie.

Zivilprozess Bearbeiten

Aufgrund des Dispositionsprinzips kann das Zivilgericht in einer zivilrechtlichen Streitsache nicht aus eigenem Entschluss heraus von Amts wegen tätig werden, vielmehr bleibt es der betroffenen Partei überlassen, ob sie Klage erheben (§ 253 Abs. 1 ZPO) und den rechtlichen Streit auf diese Weise gerichtlich anhängig machen will oder nicht („Wo kein Kläger, da kein Richter“ – nullo actore nullus iudex). Dabei kann die klägerische Partei das Verfahren einleiten, ohne dass es der Mitwirkung einer Anklagebehörde bedarf.

Ebenso kann die Klägerseite das Verfahren ohne richterliche oder behördliche Zustimmung durch Klagerücknahme wieder beenden (§ 269 ZPO). Auf der anderen Seite kann sich die beklagte Partei durch Anerkenntnis den Ansprüchen des Klägers unterwerfen und erspart dem Gericht damit eine weitere Untersuchung des Falls. Auch hier hat sich das Gericht an den Parteiwillen zu halten und darf nicht auf eigene Initiative weitere Nachforschungen anstellen oder eine andere Entscheidung fällen.

Auch den Umfang ihrer Klage bzw. ihrer Verteidigung kann die Partei selbständig regeln. Das Gericht ist an die Parteianträge gebunden und darf in der Regel nicht darüber hinausgehen, also einer Partei nicht etwas zusprechen, was diese gar nicht beantragt hat (lat. „ne ultra petita“ – nicht über das Verlangte hinaus; für das deutsche Zivilprozessrecht in § 308 ZPO geregelt).

Verwaltungsprozess Bearbeiten

In der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit gilt der Dispositionsgrundsatz ebenfalls. Der Kläger kann das Verfahren einseitig beenden, indem er die Klage zurücknimmt (§ 92 VwGO), er kann eine Klageänderung vornehmen (§ 91 VwGO), beide Parteien können einen Vergleich schließen (§ 106 VwGO) oder die beidseitige Erledigung erklären (§ 161 VwGO).

Strafprozess Bearbeiten

Gegensatz der Dispositionsmaxime ist die im kontinentaleuropäischen Strafprozessrecht maßgebliche Offizialmaxime, nach der die Staatsanwaltschaft Herrin des Verfahrens ist. Nur die Staatsanwaltschaft kann Anklage erheben oder die Einstellung eines Verfahrens betreiben. Eine Ausnahme ist das Privatklageverfahren.

Historisch existierten auch Verfahrensarten mit Dispositionsmaxime, so der in der Constitutio Criminalis Carolina angelegte Akkusationsprozess.[1]

Mündliche Verhandlung Bearbeiten

Das Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist verzichtbar. Die Entscheidung ergeht in diesem Fall im schriftlichen Verfahren. Dies begründet sich daraus, dass Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nur vorschreibt, dass die Prozessparteien eine mündliche Verhandlung verlangen können. Verzichten aber die Parteien aus freien Stücken auf eine solche mündliche Verhandlung, steht dies zu ihrer Disposition.

Instanzenzug Bearbeiten

Auch bei der Überprüfung von Gerichtsentscheidungen kommt die Dispositionsmaxime zur Anwendung: Die Obergerichte können keinen Einfluss auf Rechtsstreitigkeiten nehmen und sich auch nicht offiziell zu den darin entschiedenen Rechtsfragen äußern, bevor nicht eine Partei zulässigerweise ein Rechtsmittel eingelegt hat (Abänderungsverbot).

Anglo-amerikanisches Prozessrecht Bearbeiten

In den meisten Ländern des angelsächsischen Rechtskreises wird hingegen auch der Strafprozess im Wesentlichen als Parteiprozess aufgefasst, in dem die Dispositionsmaxime gilt und sich Staatsanwaltschaft und Angeklagter wie in einem zivilen Rechtsstreit als Parteien gegenüberstehen.

Die Dispositionsmaxime ist nicht zu verwechseln mit dem Beibringungs- oder Verhandlungsgrundsatz, der nicht die Verfügung über den Streitgegenstand, sondern die Sachverhaltsermittlung betrifft und besagt, dass das Gericht an die von den Parteien vorgebrachten Tatsachenbehauptungen und Beweismittel gebunden ist.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Peter Oestmann, Wege zur Rechtsgeschichte: Gerichtsbarkeit und Verfahren, 2015, S. 212–213.