Dünndarmfehlbesiedlung

Bakterielle Falschbesiedlung des Dünndarms
Klassifikation nach ICD-10
K59.9 Funktionelle Darmstörung, nicht näher bezeichnet
K63.8 Sonstige näher bezeichnete Krankheiten des Darmes
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Unter einer Dünndarmfehlbesiedlung (Abk.: DDFB, engl. small bowel (bacterial) overgrowth (syndrome); auch SIBO für Small Intestinal Bacterial Overgrowth) versteht man eine bakterielle Falschbesiedlung des Dünndarms mit mehr als 105 Keimen pro ml.[1] Sie kann Ursache unterschiedlicher Beschwerden sein. Jüngere Meta-Analysen belegen eine hohe Prävalenz der Dünndarmfehlbesiedelung unter Patienten mit Reizdarmsyndrom.[2]

Methan-dominante Dünndarmfehlbesiedlung Bearbeiten

Das Archaeon Methanobrevibacter smithii wurde mit Symptomen der Dünndarmfehlbesiedlung in Verbindung gebracht, die zu einem positiven Methan-Atemtest führen. Zusätzlich zum Archaeon können einige Bakterien auch Methan produzieren, wie die Mitglieder der Gattungen Clostridien und Bacteroides genus. Die Produktion von Methan ist daher möglicherweise weder bakteriell noch auf den Dünndarm beschränkt.[3] 2020 wurde vorgeschlagen diesen Zustand als separates Krankheitsbild „Überwachsen des Darms [Methanogen]“ – IMO (intestinal-methanogen Overgrowth) einzustufen.[4]

Ursachen Bearbeiten

Die DDFB tritt typischerweise beim Kurzdarmsyndrom,[5] bei einem Defekt der Ileozäkalklappe,[6] bei Divertikeln oder Dünndarmstenosen infolge von z. B. Morbus Crohn, bei chronischer intestinaler Pseudoobstruktion, beim Syndrom der blinden beziehungsweise ausgeschalteten Schlinge nach Operationen am Dünndarm[7] und bei einer exokrinen Pankreasinsuffizienz auf. Auch Störungen der Peristaltik beispielsweise infolge Sklerodermie oder diabetischer Enteropathie können ursächlich sein.[1]

Krankheitsbild Bearbeiten

Eine DDFB kann, insbesondere auch durch eine damit einhergehende Schädigung der Darmzotten und der damit verbundenen Störung der Resorption (Malassimilationssyndrom), zu unterschiedlichen gesundheitlichen Störungen und Beschwerden wie Arthritiden, Blähungen, Colitis, chronischer Diarrhoe (Durchfall), Fatigue,[8] Steatorrhoe, Gewichtsverlust, Mangelerscheinungen, Bauchschmerzen und Anämie führen.[1][5][9][10]

Eine Beteiligung an der Entstehung oder dem Fortschreiten eines Idiopathischen Parkinson-Syndroms wird diskutiert.[11]

Diagnostik Bearbeiten

Beweisend ist eine streng anaerob endoskopisch gewonnene Probe (Aspirat) von Flüssigkeit aus dem Dünndarm, in der sich mehr als 105 Keime pro ml finden. Als ergänzende Laborbefunde sind Anämie, Hypalbuminämie und ein Mangel an den Vitaminen A, D, K und B12 charakteristisch. Bei gleichzeitig normalem Folsäurespiegel ist auch ein nicht durch die Gabe von intrinsischem Faktor behebbarer Mangel an Vitamin B12 typisch.

Kommt es im Rahmen einer DDFB zu vermehrter Zuckervergärung (beispielsweise nach oraler Gabe von Glucose oder Lactulose), zeigt der Wasserstoffatemtest einen erhöhten Wasserstoffanteil. Auch im Nüchternzustand ist dieser Wert erhöht, da die DDFB zu einer kontinuierlichen Umsetzung der vom Körper kontinuierlich produzierten Verdauungssäfte im Dünndarm führt.[9][1] Der Grenzwert des Anstiegs der Wasserstoffkonzentration in der Atemluft in einem Wasserstoffatemtest, ab dem der Test als positiv zu werten ist, wird von Experten unterschiedlich angesetzt:

  • 20 ppm[1]
  • 10 ppm, sofern während des Tests keine Symptome auftreten[12]
  • 5 ppm, sofern während des Tests Symptome auftreten.[12]

Zur Ursachenklärung ist ein bildgebendes Verfahren, z. B. MRT des Dünndarmes nach Sellink, oder ein Enteroklysma (Doppelkontrast-Röntgendarstellung nach Sellink) erforderlich.[7]

Therapie Bearbeiten

Eine kausale Therapie kann durch eine Operation erfolgen, indem z. B. Stenosen oder blinde Schlingen beseitigt werden.[9][1] Zur konservativen Therapie können – meist nur vorübergehend wirksam – Antibiotikagaben eingesetzt werden. Bessert sich die Symptomatik im Verlauf einer Antibiotika-Therapie, spricht man auch von einer „antibiotikaresponsiven Enteritis“ (ARE).

Vorwiegend wird auf eine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten gesetzt um Bakterien, die sich an der falschen Stelle befinden, „auszuhungern“. Empfehlungen setzen auf den zeitlich begrenzten Verzicht auf Kohlenhydrate, Milchprodukte und bestimmter Fruchtsorten, während andere Nahrungsmittel wie beispielsweise Gemüse und Nüsse in die tägliche Ernährung integriert werden.[13] Bei einer Ernährungsumstellung ist zu beachten, dass sich die Auswahl der zu vermeidenden Nahrungsmittel nach der Art der bakteriellen Fehlbesiedelung zu richten hat.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c d e f G. Michels u. a.: Klinikmanual Innere Medizin. Springer, 2009, ISBN 978-3-540-89109-3, S. 354–355. (online)
  2. Binrui Chen, John Jae-Woo Kim, Yawen Zhang, Lijun Du, Ning Dai: Prevalence and predictors of small intestinal bacterial overgrowth in irritable bowel syndrome: a systematic review and meta-analysis. In: Journal of Gastroenterology. Band 53, Nr. 7, 1. Juli 2018, ISSN 1435-5922, S. 807–818, doi:10.1007/s00535-018-1476-9.
  3. Will Takakura, Mark Pimentel: Small Intestinal Bacterial Overgrowth and Irritable Bowel Syndrome – An Update. In: Frontiers in Psychiatry. 11. Jahrgang, 10. Juli 2020, ISSN 1664-0640, S. 664, doi:10.3389/fpsyt.2020.00664, PMID 32754068.
  4. Ralf Kirkamm: Verstopfung/Obstipation - sind falsche Darmbakterien die Ursache? Abgerufen am 23. Mai 2021.
  5. a b J. Schölmerich: Medizinische Therapie 2007/ 2008. Springer, 2007, ISBN 978-3-540-48553-7, S. 828. (online)
  6. W. G. Guder: Das Laborbuch für Klinik und Praxis. Urban&Fischer, 2005, ISBN 3-437-23340-8, S. 202. (online)
  7. a b P. Layer, U. Rosien u. a. (Hrsg.): Praktische Gastroenterologie. 4. Auflage. Urban & Fischer, 2011, ISBN 978-3-437-23372-2, S. 219.
  8. S. V. Rana, S. Sharma, A. Malik, J. Kaur, K. K. Prasad: Small intestinal bacterial overgrowth and orocecal transit time in patients of inflammatory bowel disease. In: Digestive Diseases and Sciences. Band 58, Nr. 9, September 2013, ISSN 1573-2568, S. 2594–2598, doi:10.1007/s10620-013-2694-x, PMID 23649377.
  9. a b c W. Piper: Innere Medizin. Springer, 2006, ISBN 3-540-33725-3, S. 387. (online)
  10. W. G. Guder: Das Laborbuch für Klinik und Praxis. Urban&Fischer, 2005, ISBN 3-437-23340-8, S. 199 und 690. (online)
  11. Adela Dănău, Laura Dumitrescu, Antonia Lefter, Delia Tulbă, Bogdan Ovidiu Popescu: Small Intestinal Bacterial Overgrowth as Potential Therapeutic Target in Parkinson’s Disease. In: International Journal of Molecular Sciences. Band 22, Nr. 21, Januar 2021, ISSN 1422-0067, S. 11663, doi:10.3390/ijms222111663, PMID 34769091.
  12. a b M. Ledochowski: H2-Atemteste. Verlag Ledochowski, 2008, ISBN 978-3-9502468-0-3.
  13. NDR: Ernährung bei Dünndarm-Fehlbesiedlung. Abgerufen am 14. Dezember 2020.