Clementinum

Gebäudekomplex in Prag, Sitz der Tschechischen Nationalbibliothek

Das Clementinum (tschechisch Klementinum) war ein Jesuitenkolleg in Prag. Das umfangreiche Barockgebäude liegt unmittelbar an der Karlsbrücke (bzw. ihrem Altstädter Brückenturm) in der Altstadt. Es beherbergt heute die Tschechische Nationalbibliothek sowie mehrere wissenschaftliche Institute. Der Gebäudekomplex wird seit 15. November 1995 als Nationales Kulturdenkmal Tschechiens geführt.[1]

Das Clementinum (Ostseite)

Jesuitenniederlassung 1556–1773 Bearbeiten

 
Astronomischer Turm
 
Brunnen im Rebenhof des Prager Clementinums, Francesco della Torre u. Giovanni Battista Passerini, 1676

Der Jesuitenorden kam auf Einladung des böhmischen Landesherrn Kaiser Ferdinand 1556 nach Prag. Er wies den Jesuiten das leer stehende ehemalige baufällige Dominikanerkloster zu, in dem sie ein Gymnasium als Konkurrenz zur utraquistischen Karls-Universität aufbauen sollten. Bereits 1562 erhielt dieses erweiterte Rechte, der Vergabe niederer akademischer Titel (Akademisches Gymnasium).[2]

In den ersten Jahrzehnten litten die Prager Jesuiten unter dauernder Finanznot. Studenten und Lehrkräfte lebten unter sehr einfachen Bedingungen in dem verfallenen Kloster. Mit dem Einsetzen der Gegenreformation in Böhmen erhielt der Orden Ende des 16. Jahrhunderts vermehrt Zuwendungen und konnte Restaurierungsarbeiten durchführen sowie erste Neubauten errichten.

1616 wurde das Clementinum zur Katholischen Universität erhoben. Nach der Schlacht am Weißen Berg 1620 übernahmen die Jesuiten auch die Leitung der Prager Karls-Universität. 1654 vereinigte Kaiser Ferdinand III. das Clementinum mit der Karls-Universität.

In den folgenden Jahrzehnten erwarben die Jesuiten etwa dreißig Grundstücke der Umgebung und errichteten dort bis 1726 den zweitgrößten Gebäudekomplex in Prag nach der Burg.

In der Sternwarte wurden vor allem Zeit- und Positionsbeobachtungen durchgeführt, seit 1752 gab es dort auch meteorologische Messungen. 1751 wurde außerdem ein Mathematikmuseum eröffnet, dessen erster Direktor Joseph Stepling war.

Nutzung seit 1773 Bearbeiten

Nach der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 ging der Komplex in den Besitz der Krone über. Die österreichische Kaiserin und böhmische Königin Maria Theresia gab ihn 1781 an verschiedene Institutionen zur Nutzung.

Gymnasium

Das Akademische Gymnasium wurde wahrscheinlich zunächst von Prämonstratensern weitergeführt und bestand im Clementinum bis in die 1870er Jahre, danach an anderen Standorten.

Observatorium

Das Observatorium wurde weitergeführt, ab 1775 wurden dort tägliche Wetterbeobachtungen aufgezeichnet. Später führte das Mathematische Museum die Arbeit an der Sternwarte fort, seit 1953 das Astronomische Institut der Akademie der Wissenschaften der ČSR.

Nationalbibliothek

Außerdem begründete die Kaiserin 1781 die Nationalbibliothek, an die die vorherigen Buchbestände übergingen.

Karlsuniversität

Teile des Gebäudes wurden an die Karls-Universität zur Nutzung übergeben.

Musikbibliothek mit Mozarteum

Das Mozarteum entstand 1837 als älteste Mozart-Gedenkstätte der Welt im Clementinum und ist ein Teil der Musikbibliothek.

Gebäudekomplex Bearbeiten

 
Kirche St. Klement

Der heutige Gebäudekomplex wurde von 1653 bis 1726 im Barockstil errichtet. Er ist mit etwa zwei Hektar Grundfläche der zweitgrößte in der Stadt nach der Prager Burg. Dazu gehören die St.-Klemens-Kirche und die Salvatorkirche, sowie die Spiegelkapelle, die Kapelle Mariä Himmelfahrt, der barocke Bibliotheksaal und der astronomische Turm, die öffentlich zugänglich sind.[3]

Heute Bearbeiten

Heute ist das Clementinum Sitz der Nationalbibliothek der Tschechischen Republik. Es beherbergt außerdem das Astronomische Institut der Akademie der Wissenschaften. Aufgrund seiner durch die Hochwasser der Moldau stark gefährdeten Lage bestehen aktuell Pläne, die Nationalbibliothek auf das Letná-Plateau zu verlegen. Der Wettbewerbsentwurf von Jan Kaplicky, ein Beispiel für Blob-Architektur, steht aber noch in heftiger Diskussion.

Siehe auch Bearbeiten

  • Vom Klementinum zu unterscheiden sind das Jesuitenkolleg in der Prager Neustadt (1628–1773)[4] und das Jesuitengymnasium auf der Kleinseite (1625–1773).[5]
  • Nach dem Klementinum ist der gleichnamige Asteroid (3386) Klementinum benannt.[6]
  • Das Kloster Velehrad wurde 1990 von den Jesuiten neu besiedelt.
  • Jesuitenschule
  • Carolinum (Karolinum), historisches Hauptgebäude der Karls-Universität Prag

Literatur Bearbeiten

  • Kateřina Hekrdlová, Zděnek Franc: The Clementinum Library. 220th anniversary of serving the public. = Klementinská knihovna. K 220. výročí zveřejnění. Národní Knihovna České Republiky, Prag 1997, ISBN 80-7050-282-7.
  • Jaroslava Kašparová, Karel Mačák: Utilitas matheseos. Jezuitská matematika v Klementinu (1602–1773). = Jesuit mathematics in the Clementinum (1602–1773). Národni Knihovna České Republiky, Prag 2002, ISBN 80-7050-408-0 (Ausstellungskatalog).
  • Zdislav Šíma: Astronomie a Klementinum. = Astronomy and Clementinum. Narodní Knihovna České Republiky, Prag 2001, ISBN 80-7050-386-6.

Weblinks Bearbeiten

Commons: Clementinum – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Klementinum. ÚSKP 175. In: pamatkovykatalog.cz. Národní památkový ústav; (tschechisch).
  2. vgl. auch Winfried Eberhard: Geschichtliche Einführung in: Joachim Bahlcke, Winfried Eberhard, Miloslav Polívka (Hrsg.): Handbuch der historischen Stätten. Band: Böhmen und Mähren (= Kröners Taschenausgabe. Band 329). Kröner, Stuttgart 1998, ISBN 3-520-32901-8, S. LXXXV., kurze Erwähnung
  3. Klementinum Prag to go; mit Beschreibung des Komplexes und Geschichte
  4. Novoměstská jezuitská kolej s kostelem sv. Ignáce. ÚSKP 47331/1-1222. In: pamatkovykatalog.cz. Národní památkový ústav; (tschechisch).
  5. Jezuitský klášter s kostelem sv. Mikuláše a zvonicí. ÚSKP 38926/1-491. In: pamatkovykatalog.cz. Národní památkový ústav; (tschechisch).
  6. (3386) Klementinum = 1956 EG = 1980 FA = 1982 RV1 = 2019 BY8. IAU Minor Planet Center, abgerufen am 9. Mai 2022 (englisch).

Koordinaten: 50° 5′ 12″ N, 14° 24′ 57″ O