Bosporus-Deutsche

deutsche Einwanderer in der Türkei

Als Bosporus-Deutsche werden Deutsche in der Türkei bezeichnet, deren Familien oft schon seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dauerhaft in Istanbul lebten. Ihre Anzahl in der Metropole am Bosporus beträgt heute etwa 25.000.[1]

Kirche der evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei in Beyoğlu
Die historische Sommerresidenz des deutschen Botschafters in Tarabya

Geschichte Bearbeiten

Allgemein werden die in Istanbul lebenden europäischen Ausländer, zum Beispiel italienische Kaufleute sowie die Reste der heute weitgehend verschwundenen, bis 1922 noch einen erheblichen Anteil der Bevölkerung Istanbuls stellenden christlichen Bevölkerung (Griechen, Armenier) als Levantiner („Leventi“) bezeichnet. Einige Stadtteile von Istanbul, beispielsweise Beyoğlu (Pera), sind heute noch durch die damals verbreitete Jugendstilarchitektur geprägt.

Die ersten deutschen Einwanderer in Istanbul kamen als Handwerker und Geschäftsleute, später auch als Berater der Deutschen Militärmissionen zum Aufbau der osmanischen Armee, wie beispielsweise Colmar von der Goltz und Otto Liman von Sanders.[2]

1846 wurde das Deutsche Krankenhaus in Istanbul gegründet (2013 geschlossen), 1868 die Deutsche Oberrealschule (heute Deutsche Schule Istanbul, Özel Alman Lisesi), 1884 dann das İstanbul Lisesi.

Der deutsche Journalist Friedrich Schrader, der von 1891 bis 1918 in Istanbul lebte und arbeitete. In seinem Buch Eine Flüchtlingsreise durch die Ukraine beschreibt das Schicksal der deutschen Gemeinschaft in Istanbul nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg 1918.[3] Fast alle Österreicher und Deutsche wurden von den Alliierten interniert und deportiert, eine Ausnahme bildeten Angehörige des osmanischen Hofes wie der Hofkapellmeister Paul Lange.

Während der Zeit des Nationalsozialismus fanden zahlreiche aus Deutschland vertriebene Wissenschaftler und Künstler Zuflucht in der Türkei, darunter bekannte Personen wie der Bildhauer Rudolf Belling, der Architekt Bruno Taut und der Komponist Paul Hindemith. Geschätzt werden etwa 1000 direkt betroffene Personen, dazu kommen mitgeflüchtete Familienangehörige; Österreicher mitgerechnet, die ab 1938 zwangsweise Deutsche (oder staatenlos) wurden.

Die dritte Welle kam seit den 1970er Jahren, vorwiegend durch Vertreter deutscher Wirtschaftsunternehmen, ebenso wie Mitarbeiter in deren türkischen Partnerfirmen.

Aussagen des Goethe-Instituts vom August 2005 zufolge leben in der 10-bis-12-Millionen-Stadt Istanbul 40.000 deutsche Staatsbürger. Den weiteren Aussagen des Instituts zufolge leben auch immer mehr deutsche Künstler in Istanbul.[4] Kemal Derviş, Sohn einer deutschen Einwanderin und eines Türken, hat es 2001–2002 bis zum Wirtschaftsminister und 2002–2005 zum Parlamentsabgeordneten in der Türkei gebracht.[5]

Institutionen Bearbeiten

Auch heute existiert noch eine deutsche Gemeinde. Seit langer Zeit bestehende Gebäude sind das ehemalige Botschaftsgebäude und heutige Generalkonsulat nahe dem Taksim-Platz, die parkähnliche ehemalige Sommerresidenz des deutschen Botschafters in Tarabya am Bosporus, das İstanbul Lisesi sowie die Deutsche Schule in Istanbul. Des Weiteren existieren deutschsprachige evangelische und katholische Kirchengemeinden.

Vereine

Es gibt zwei Vereine deutscher Einwanderer: zum einen den 1847 gegründeten Verein Teutonia,[6] zum anderen die 1992 gegründete Die Brücke.[7]

Forschungsinstitute

Die 1929 gegründete Abteilung Istanbul des Deutschen Archäologischen Institutes hat ihren Sitz im Gebäude des deutschen Generalkonsulates beim Taksim-Platz. Seit 1989 besteht das Orient-Institut Istanbul als Forschungsinstitut im Verbund der Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland, es hat seinen Sitz im ehemaligen Gebäude der Teutonia.

Siehe auch Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Hubert Wilschowitz: Deutschsprachige Katholische Gemeinde in der Türkei 1954–1979. Ein Überblick in Berichten, Aufsätzen und Geschichten. Blümel, Istanbul 1979.
  • Martin Kriebel: Die Anfänge der deutschen evangelischen Gemeinde in Konstantinopel - Istanbul von 1843 bis 1850. Istanbul 1993.
  • Anne Dietrich: Deutschsein in Istanbul. Nationalisierung und Orientierung in der deutschsprachigen Community von 1843 bis 1956. Leske & Budrich, Opladen 1998, ISBN 3-8100-2188-1.
  • Barbara Radt: Geschichte der Teutonia. Deutsches Vereinsleben in Istanbul 1847–2000. Deutsches Orient-Institut, Istanbul 2001, ISBN 3-935556-97-7.
  • Marcel Geser: Geschichte des deutschen Kindergartens Istanbul (= Pera-Blätter 19). Deutsches Orient-Institut, Istanbul 2007 (Digitalisat).
  • Matthias von Kummer (Hrsg.): Deutsche Präsenz am Bosporus. 130 Jahre Kaiserliches Botschaftspalais - 120 Jahre historische Sommerresidenz des deutschen Botschafters in Tarabya. Zero Books, Istanbul 2009, ISBN 978-6-05560731-9 (Inhaltsverzeichnis).
  • Peter Wehr: Christ sein in der Fremde. Die deutschsprachige katholische Gemeinde in Istanbul zwischen Anpassung und Bewahrung. Logos, Berlin 2009, ISBN 978-3-8325-2067-0.
  • Marcel Geser: Zwischen Missionierung und „Stärkung des Deutschtums“. Der Deutsche Kindergarten in Konstantinopel von seinen Anfängen bis 1918 (= Istanbuler Texte und Studien 20). Ergon, Würzburg 2010, ISBN 978-3-8991-3744-6 (Digitalisat).
  • Christin Pschichholz: Zwischen Diaspora, Diakonie und deutscher Orientpolitik. Deutsche evangelische Gemeinden in Istanbul und Kleinasien in osmanischer Zeit. Kohlhammer, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-17-022025-6.
  • Erald Pauw (Hrsg.): Daheim in Konstantinopel. Deutsche Spuren am Bosporus ab 1850. Pagma, Nürnberg 2014, ISBN 978-3-9810758-5-4 (Inhaltsverzeichnis).

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Baedeker Allianz Reiseführer Istanbul, S. 17, abgerufen am 16. Juli 2009.
  2. Jehuda Wallach: Anatomie einer Militärhilfe. Die preußisch-deutschen Militärmissionen in der Türkei 1835–1919 (= Schriftenreihe des Instituts für Deutsche Geschichte, Universität Tel Aviv Band 1) Düsseldorf 1976.
  3. Friedrich Schrader: Eine Flüchtlingsreise durch die Ukraine. Tagebuchblätter meiner Flucht aus Konstantinopel. J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1919, S. 1–27 (Digitalisat).
  4. Goethe Institut (Memento vom 21. Juni 2009 im Internet Archive).
  5. Kemal Dervis Biografie
  6. Deutsches Generalkonsulat Istanbul, Webseite des Vereins.
  7. Webseite des Vereins.