Der Barnabasbrief (Barnabae epistula), abg. Barn, ist eine Schrift des frühen Christentums. Sie entstand zwischen 70 und 132 n. Chr. (oft wird eine Entstehung um 130 n. Chr. vermutet) und wird zu den so genannten Apostolischen Vätern gerechnet. Die Bezeichnung als „Brief“ trifft nicht ganz zu, eher ist es eine theologische Abhandlung, die an die Form eines Briefes angelehnt ist. Wie manche andere frühkirchliche Briefe ist auch Barn nicht an eine bestimmte Gemeinde adressiert. Der Text des Briefes gibt keinen Namen des Autors an. Der Barnabasbrief hat nichts zu tun mit dem sogenannten Barnabasevangelium, das manche islamische Ansichten widerspiegelt und erst ca. im 15. Jahrhundert entstand.

Entstehung Bearbeiten

Der Autor des Briefes ist unbekannt. Sein Name mag Barnabas gewesen sein. Dass es sich um den neutestamentlichen Barnabas handelt, den Begleiter des Paulus, gilt als unwahrscheinlich. Der Brief benützt beim Argumentieren das in Alexandrien beliebte Mittel der Allegorie, und er wird zuerst in Alexandrien erwähnt. Daher wird vermutet, er sei dort entstanden.

Der Barnabasbrief wird zumeist aufgrund historischer Bezüge (Barn 16,3–4) auf die Zeit zwischen der Zerstörung des jüdischen Tempels in Jerusalem (70 n. Chr.) und dem Beginn des Bar-Kochba-Aufstandes (im Jahre 132) datiert.[1] Eine genauere Datierung gilt dann als schwieriger, wobei einige Theologen aufgrund fehlender Zitate aus neutestamentlichen Schriften eine relativ frühe Entstehung (ungefähr um 100 n. Chr.) annehmen. Eine kurze, isolierte Referenz in Barn 4,14 zum Matthäusevangelium 20,16 bzw. 22,14, kann auch Teil der damals noch verbreiteten mündlichen Überlieferung sein. Solche mündlichen Traditionen sind etwa in Barn 7,3 und 7,5 erkennbar.

Rezeption in der Alten Kirche Bearbeiten

Der Brief stand bei einigen Kirchenvätern (Clemens von Alexandria[2], Origenes, Hieronymus) in hohem Ansehen und ist im Codex Sinaiticus ohne Abgrenzung von den anderen kanonischen Büchern des neuen Testaments enthalten. Eusebius von Caesarea rechnet ihn nicht zum Neuen Testament, sondern zu den unechten Schriften (Kirchengeschichte III,25,4).

Textüberlieferung Bearbeiten

Der griechische Text ist vollständig im Codex Sinaiticus (4. Jh.) und dem Codex Hierosolymitanus (11. Jh.) erhalten. Daneben gibt es auch eine teilweise erhaltene, aber ungenaue lateinische Übersetzung aus dem 4. oder 5. Jahrhundert sowie einige spätere Handschriften.

Charakterisierung Bearbeiten

Ferdinand R. Prostmeier bezeichnet den Barn als „brieflich gerahmten Traktat“.[3] Gemäß Susanne Hausammann ist der Barn „kein Brief, sondern ein ethisch-theologischer Traktat eines christlichen Lehrers mit einer rudimentären brieflichen Rahmung eines Lehrschreibens“; sie nennt ihn daher „Barnabas-Traktat“.[4] Der Barn ist ähnlich umfangreich wie der Römerbrief.[5]

Der Barn wird oft als judenfeindlich eingeschätzt: „Mit ihrer radikal judenfeindlichen Einstellung steht die Schrift in der urchristlichen Literatur einzig da“,[6] aber Hausammann hält die Bezeichnung als „judenfeindlich“ für „mehr irreführend als zutreffend“.[7]

Inhalt Bearbeiten

Der Inhalt gliedert sich in zwei Teile: einen dogmatischen und einen ethischen Teil. Im ersten Abschnitt setzt sich die Abhandlung mit dem Konflikt zwischen altem Bund (Judentum) und neuem Bund (Christentum) auseinander. Der Autor bemüht sich, die jüdische Lehre als überholt und von der christlichen abgelöst darzustellen. Die Juden würden das Alte Testament aufgrund ihrer wörtlichen Auslegung nicht richtig verstehen; die richtige Interpretation sei die allegorische. Die Anordnungen Gottes über Opfer, Beschneidung und Speisen seien von Anfang an in einem höheren, geistigen Sinn gemeint gewesen, ihre körperliche Durchführung sei auch in vorchristlicher Zeit nie Gottes Wille gewesen. Zudem würden die Juden die Schrift nicht verstehen, weil „ein böser Engel sie beschwatzte.“ Sie seien „wegen ihrer Sünden“ des Bundes mit Gott „nicht würdig“. So würden Jerusalem und Israel „dem Untergang anheimgegeben.“ Dies ist eventuell eine Reaktion auf ein Wiedererstarken der jüdischen Gemeinden nach der Zerstörung des Tempels. Insofern gibt der Brief Einblick in die theologischen Auseinandersetzungen in der frühen Kirche.

Der zweite Abschnitt beschreibt, wie auch die Didache, die Zwei-Wege-Lehre.

Im Barnabasbrief findet sich erstmals eine theologische Begründung, warum die Christen den Sonntag und nicht den Sabbat als Feiertag halten: Der achte Tag ist der erste Tag der Neuen Schöpfung, die Ostern an einem Sonntag begonnen hat.

Der Barnabasbrief weist eine Reihe theologischer und sprachlicher Parallelen zum Hebräerbrief auf, sodass über eine gemeinsame Autorschaft spekuliert worden ist.

Interessant ist weiter, dass alttestamentliche Apokryphen als kanonische Schriften angesehen werden: In Barn 4,3 und Barn 16,5 wird aus dem Buch Henoch zitiert, und Barn 12,1 zitiert aus dem 4. Buch Esra.

Literatur Bearbeiten

Quellenausgaben und Kommentare

  • Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche Parallelausgabe. JCB Mohr, Tübingen 1992. ISBN 3-16-145887-7
  • Der Barnabasbrief. Übersetzt und erklärt von Ferdinand R. Prostmeier. Reihe: Kommentar zu den Apostolischen Vätern (KAV, Bd. 8). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1999. ISBN 3-525-51683-5
  • Didache (Apostellehre). Barnabasbrief. Zweiter Klemensbrief. Schrift an Diognet. Eingeleitet, hrsg., übertr. und erl. von Klaus Wengst. Schriften des Urchristentums 2. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt (1984) 2004. ISBN 3-534-18262-6
  • Der Barnabasbrief. Erklärt von Hans Windisch. Reihe: Handbuch zum Neuen Testament, Erg.-Bd.: Die Apostolischen Väter 3. Mohr, Tübingen 1920

Sekundärliteratur

  • Susanne Hausammann: Alte Kirche. Zur Geschichte und Theologie der Alten Kirche, Bd. 1: Frühchristliche Schriftsteller, 2001, S. 16–23.
  • Klaus Wengst: Art. Barnabasbrief. In: Theologische Realenzyklopädie 5 (1980), S. 238–241
  • Klaus Wengst: Tradition und Theologie des Barnabasbriefes. Arbeiten zur Kirchengeschichte 42. de Gruyter, Berlin u. a. 1971 ISBN 3-11-003975-3
  • Ferdinand R. Prostmeier: Antijüdische Polemik im Rahmen christlicher Hermeneutik. Zum Streit über christliche Identität in der Alten Kirche. In: Zeitschrift für Antikes Christentum 6 (2002) 38–58.
  • Philippe Bobichon, "L'Epître de Barnabé" in Histoire de la littérature grecque chrétienne, t. II/5 : De Paul apôtre à Irénée de Lyon,  : B. Pouderon et E. Norelli (dir.), Paris, Cerf, 2013, pp. 440–454.
  • James N. Rhodes: The Epistle of Barnabas and the Deuteronomic Tradition. Polemics, Paraenesis, and the Legacy of the Golden-Calf Incident. WUNT 2/188. Mohr Siebeck, Tübingen 2004, ISBN 3-16-148377-4
  • Ferdinand R. Prostmeier: The Epistle of Barnabas. In: The Apostolic Fathers. An Introduction, hrsg. von Wilhelm Pratscher. Baylor University Press: Waco (TX) 2010, 27–45. ISBN 978-1-60258-308-5

Siehe auch: Kirchenväter, Kirchenlehrer, katholische Briefe

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Eine sorgfältige Analyse der Gesichtspunkte für die Datierung liefert Jonathan Bernier: Rethinking the Dates of the New Testament. The Evidence for Early Composition. Grand Rapids 2022, S. 261–266.
  2. Eusebius schreibt über Klemens, dass dieser sich auch auf bestrittene Schriften – d. h. Schriften, denen widersprochen wird – beruft, wie etwa auf Barn (Kirchengeshichte VI,13,6).
  3. Prostmeier: Barnabasbrief, in: WiBiLex
  4. Hausammann: Alte Kirche, Bd. 1, 2001, S. 16f.
  5. Franz Stuhlhofer: Der Gebrauch der Bibel von Jesus bis Euseb, Wuppertal 1988, S. 38f.
  6. Berthold Altaner, Alfred Stuiber: Patrologie. Freiburg/Breisgau 1978, S. 54.
  7. Hausammann: Alte Kirche, Bd. 1, 2001, S. 18.